Die Krisenursachen sind nicht nur das Resultat liberalisierter und deregulierter Finanzmärkte, sondern auch einer einseitigen und verfehlten Wirtschaftspolitik zu Gunsten der Wettberwerbs- und Profitsteigerung deutscher Unternehmen. Die Folge waren riesige Außenhandelsüberschüsse und ein beispielloses Lohndumping in Deutschland. Bezahlen müssen diese Politik nicht nur die Griechen, Spanier und Portugiesen, sondern auch die Menschen in Deutschland. Klaus Ernst fordert deshalb von der Bundesregierung eine Garantie, dass die Milliarden, die zur Rettung des Euros bereitgestellt werden, nicht durch Kürzungen bei den Sozialhaushalten in der Bundesrepublik finanziert werden.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein wenig reibe ich mir bei dieser Debatte die Augen. Am 17. Mai 2010 sagte unser Bundestagspräsident:
Spätestens vor anderthalb Jahren haben wir beim drohenden Kollaps der internationalen Finanzmärkte erkannt, dass wir Regelungen für zulässige internationale Finanzgeschäfte durchsetzen müssen.
„Vor anderthalb Jahren haben wir ... erkannt“! Wen meint der Präsident des Deutschen Bundestages mit „wir“? Offensichtlich nicht Sie von der Koalition, denn Sie haben es nicht erkannt,
(Beifall bei der LINKEN)
sonst hätten wir heute nicht die Situation, dass wir immer noch darüber reden: Gibt es jetzt eine Finanztransaktionssteuer oder nicht? Müssen wir regeln oder nicht? Die FDP würde am liebsten überhaupt nicht regeln. Die schwimmt ja nur mit dem allgemeinen Mainstream mit. Das ist doch die Realität. Herr Köhler sagte am 29. April:
Die Politik muss ihr Primat über die Finanzmärkte zurückgewinnen. Sie hat den Interessen der Finanzmarktakteure zu viel Raum ohne Regeln überlassen.
Als Oskar Lafontaine das an diesem Tisch vor zwei Jahren gesagt hat, hat sich hier keine Hand gerührt. Sie haben darüber nur den Kopf geschüttelt.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich reibe mir auch deshalb die Augen, weil vor zwölf Jahren der Rücktritt von Lafontaine auch damit zusammenhing, dass nicht einmal seine eigene Partei die Regulierung der Finanzmärkte mitmachen wollte. Das ist die Realität! Und jetzt diskutieren wir endlich über das, was notwendig ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Friedrich, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Am 12. Mai haben Sie in der Süddeutschen Zeitung gesagt:
Wir verlangen harte und umgehende Konsequenzen für die Regulierung der Finanzmärkte.
Da stimmen wir Ihnen zu. Aber Sie sind eine Regierung und keine Appellierung. Sie müssen handeln und nicht nur immer fordern, was die anderen zu tun haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Vollkommen zu kurz in dieser Debatte kommt die Frage nach den Ursachen für diese Krise. Da wird natürlich von den Finanzmärkten gesprochen. Aber ich sage Ihnen: Die eigentlichen Probleme haben wir als Bundesrepublik Deutschland zum großen Teil mit verursacht. Wir haben ein Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft von 1967. In diesem Gesetz steht, dass wir Maßnahmen zur Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu organisieren haben, vor allem der Bund und die Länder. Dort heißt es:
Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.
Wo ist eigentlich das „außenwirtschaftliche Gleichgewicht“? Ist Ihnen entgangen, dass wir von 2000 bis 2008 Außenhandelsüberschüsse von circa 1,3 Billionen Euro gegenüber anderen Ländern angehäuft haben? Was heißt das? Das heißt, wir verkaufen viel mehr, als wir importieren. Das bedeutet natürlich, dass den Ländern, die bei uns kaufen, irgendwann das Geld ausgeht, wenn sie nicht gleichzeitig ihre Waren oder Dienstleistungen an uns verkaufen können. Warum können sie nicht an uns verkaufen? Weil Sie diese Außenhandelorientierung damit durchgesetzt haben, dass Sie bei uns permanent die Löhne gedrückt haben, dass sie bei uns permanent die Arbeitsbedingungen so verschlechtert haben, dass die Löhne billiger wurden. Im Ergebnis ist die bundesrepublikanische Nachfrage natürlich nicht mehr so hoch, um die Importe entsprechend gewährleisten zu können. Das ist unser Problem. Das nehmen Sie nicht einmal zur Kenntnis.
Das Ganze hätte nur funktioniert, wenn die Löhne bei uns mit der wirtschaftlichen Entwicklung mitgehalten hätten und wir aufgrund dieser Tatsache zum Beispiel mehr griechischen Wein, spanische Oliven oder portugiesische Sardinen gekauft hätten, wenn wir also tatsächlich dazu beigetragen hätten, mit unserer Kaufkraft Importe zu fördern. Das konnten wir nicht. Ihre Lohnsenkungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland ist eine Ursache dafür.
(Beifall bei der LINKEN)
Die sinkenden Löhne sind verantwortlich für die Ungleichgewichte in Europa. Die deutschen Arbeitnehmer, die deutschen Rentner, die deutschen Studenten und auch die deutschen Arbeitslosen haben letztendlich das finanziert, was bei den Exporteuren, bei den Unternehmen gelandet ist. Das ist unter anderem die Ursache für die Ungleichgewichte in Europa.
Was machen Sie jetzt? Jetzt schlagen Sie vor, dass die Länder bitte schön mehr sparen sollen als bisher. Wie sollen die das machen? Jeder weiß, dass die Maßnahmen, die Griechenland ergreifen muss, zusammen mit unseren Forderungen dazu führen, dass das Wachstum in Griechenland abstürzen wird. Jeder weiß, dass das, was wir von Portugal und von Spanien fordern, dazu führen wird, dass das Wirtschaftswachstum dort abstürzen wird. Ebenso weiß jeder, dass das, was Sie den Griechen, den Portugiesen und den Spaniern zumuten, auch bei uns in der Bundesrepublik geplant ist. Auch bei uns wollen Sie die Sanierung letztendlich auf diese Art und Weise durchsetzen.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb fordere ich an dieser Stelle von der Bundesregierung eine ganz klare Aussage zu folgendem Punkt: Geben Sie eine Garantie ab, dass die Milliarden von Geldern, die wir für die Rettung des Euros bereitstellen, nicht durch Kürzungen bei den Sozialhaushalten in der Bundesrepublik Deutschland finanziert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Garantie fordern wir von Ihnen. Geben Sie die Garantie nicht ab, dann wird offensichtlich das zur Realität, was einige von Ihnen zumindest sind sie ehrlich schon sagen. Herr Seehofer in Bayern sagt zum Beispiel, eine Kürzung der Haushalte um 10 Prozent sei gar nicht so schlecht. Herr Koch sagt: Gehen wir halt an die Bildung oder an die Anzahl der Plätze in Kindertagesstätten. Wenn Sie diese Garantie nicht abgeben, heißt das, dass die Bürger Deutschlands zweimal für die Ungleichgewichte, die wir in Europa haben, zahlen. Sie zahlen zum einen durch sinkende Löhne, durch sinkende Renten, durch sinkende Transfereinkommen, und sie zahlen zum anderen durch die Zerstörung ihres Sozialstaates. Da werden wir Linken nicht mitspielen.
(Beifall bei der LINKEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): War es das jetzt? Um Gottes willen! Es ist gut, dass er aufgehört hat!)