Zum Hauptinhalt springen

Die Herrschaft der grauen Mäuse

Rede von Wolfgang Neskovic,

Der Gesetzentwurf der Grünen zu Neuregelung der Wahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht leidet unter einem entscheidenden Konstruktionsfehler: dem hohen Wahlquorum. Wenn sich eine Dreiviertel-Mehrheit des Deutschen Bundestages einigen müsste auf einen Bewerber, so klingt das nach viel Beteiligung der Opposition. Was gut klingt, ist lange noch nicht gut. Denn diese riesige Stimmenzahl würde vor allem solchen Kandidaten nutzen, die in jeder Hinsicht angepasst sind: Graue Mäuse statt streitbare Persönlichkeiten. Wolfgang Nešković erläuterte die Haltung seiner Fraktion zu einem Entwurf mit guten Absichten und schlechter Umsetzung.

Sehr geehrter Herr/Frau Präsident(in), meine sehr verehrten Damen und Herren, (sehr geehrte Frau Ministerin Zypries),

im Bundesverfassungsgericht richten derzeit nur drei Frauen und kein einziger Mensch mit einer Ostbiographie. Fast alle Richterinnen und Richter haben ihre bildungsbürgerliche Herkunft in der Mittelschicht. Das hat ganz einfache Ursachen. Die Besetzung des Gerichtes ist seit jeher die tatsächliche Alleinbefugnis der Christ- und Sozialdemokraten. Die Grünen wollen das ändern.

Zu ihrem Entwurf sagte ich für meine Fraktion vor fast einem Jahr sinngemäß: Erst wenn die Macht sich im Diskurs der Vielfalt bewähren muss, ist sie legitimiert.

Die Macht des Bundesverfassungsgerichtes, seine Deutungshoheit über den Verfassungstext muss eine Macht sein, in der sich die Vielfalt der Gesellschaft abbildet. Denn: Richter sprechen im Namen des Volkes. Deswegen muss sich die Vielfalt des Volkes tendenziell bei der Besetzung von Gerichten widerspiegeln. Hierzu gehören:

Die Vielfalt der unterschiedlichen Gesellschaftsvorstellungen.

Die soziale Vielfalt.

Die Vielfalt moralischer und ethischer Auffassungen.

Die Vielfalt der Biographien, die auch aus denen des Ostens besteht.

Und die - ich möchte sagen - "Zweifalt" einer im 21. Jahrhundert eigentlich selbstverständlichen paritätischen Besetzung der Richterbänke mit ebensoviel Frauen wie Männern. Genau dies will der Gesetzentwurf sicherstellen. Insoweit findet er auch unsere Unterstützung.

Wir teilen auch das Anliegen der Grünen, eine öffentliche Anhörung für die Richterwahl vorzusehen.

Anders als die meisten Kritiker des Entwurfes sind auch wir der Auffassung, dass die öffentliche Anhörung der richtige Weg ist, um die Richterwahl aus den Hinterzimmern in die öffentliche Wahrnehmung zu holen. Wir brauchen mehr Transparenz und Teilhabe der Öffentlichkeit.

Genau das erreichen wir mit der öffentlichen Anhörung der Bewerber. Vielfach ist geäußert worden, diese Art der Prüfung der Kandidaten sei des Amtes und der Funktion der Verfassungsrichter unwürdig. Ich meine unwürdiger als der derzeitige, sich im Verborgenen abspielende Abnickvorgang kann die Richterwahl nicht sein.

Dass in einer Anhörung nicht nur die juristischen Fähigkeiten, sondern auch die gesellschaftspolitischen Wertungshorizonte der Bewerber offenbar werden können, stört nur den, der nicht anerkennen mag, dass Richter generell bei der Auslegung von Gesetzen eine politische - nicht parteipolitische- Tätigkeit ausüben. Das Gegenteil zu behaupten, gehört zu den Lebenslügen der Justiz. Gerade bei Verfassungsrichtern ist die politische Gestaltungsmacht evident.

Es ist deswegen ein ganz natürlicher Vorgang, wenn die Parlamentarier auch den persönlichen Wertungshorizont der Kandidaten kennenlernen wollen. Und auch die Bevölkerung sollte wissen dürfen, wer da über sie zu Gericht sitzt.

Wer sich vor der öffentlichen Anhörung ängstigt, dem empfehle ich zur Normalisierung seiner Emotionen den Blick nach Schleswig-Holstein. Dort sieht das Richterwahlgesetz seit siebzehn Jahren die öffentliche Anhörung von Richtern vor. Kritik an diesem Verfahren ist bislang nicht bekannt geworden. Was für die Wahl von Richtern mit weit weniger politischen Gestaltungsmöglichkeiten geeignet ist, wird für die Besetzung eines anerkanntermaßen politisch wirkenden Gerichtes wohl kaum von Schaden sein.

Trotz dieser zu begrüßenden Vorstellungen im Gesetzentwurf wird die Linke nicht zustimmen, sondern sich der Stimme enthalten.

Der Entwurf sieht vor, dass für die Richterwahl eine Dreiviertelmehrheit des Bundestages erforderlich sein wird. In einer Demokratie reicht grundsätzlich die einfache Mehrheit aus. Denn im Kern lebt die Demokratie vom Wettstreit um diese Mehrheit. Diese Mehrheit hat für eine begrenzte Zeit das Vertrauen und damit die Entscheidungsmacht. Trifft sie Entscheidungen, so hat sie diese zu verantworten. Das bedeutet, dass die getroffenen Entscheidungen sich auch darauf auswirken, ob die Macht erhalten oder abgegeben werden muss. Sie stellen also einen wesentlichen Teil des Wettstreits um Mehrheit und Macht dar.

Wenn dieser Zusammenhang aufgelöst wird, indem - wegen des hohen Quorums von dreiviertel - die Minderheit gleichberechtigt an der Entscheidung beteiligt wird, gibt die Mehrheit in diesem Bereich die Entscheidungsverantwortung auf. Damit wird dieser Entscheidungsgegenstand dem demokratischen Wettstreit zwischen Minderheit und Mehrheit entzogen.

Da beide die Entscheidung zu verantworten haben, kann der mit der Entscheidung unzufriedene Wähler die Mehrheit nicht mehr mit der Wahl der Minderheit sanktionieren. Deswegen sind Entscheidungsquoren, die darauf ausgerichtet sind, die Opposition in die Entscheidungsverantwortung einzubeziehen, grundsätzlich abzulehnen und auf wenige Ausnahmefälle zu beschränken.

Die Richterwahl - auch die von Verfassungsrichtern - liefert keine Gründe für eine solche Ausnahmeregelung. Im Gegenteil: Es ist absehbar, dass dadurch eine Personalpolitik des kleinsten gemeinsamen Nenners begünstigt werden würde.

Das ist anders ausgedrückt die Etablierung der Herrschaft der grauen Mäuse

Profilierte Richterpersönlichkeiten, die der Minderheit nicht passen, hätten keine Chance mehr, obwohl sie eine sie legitimierende demokratische Mehrheit hinter sich hätten.

Das widerstreitet dem demokratischen Prinzip des Wettbewerbes zwischen Mehrheit und Minderheit.

Ich danke Ihnen.