Lobbyisten und die Bundesregierung
Harald Weinberg (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss doch noch einmal darauf zurückkommen: Es geht mir hier und heute um einen Posten, der nicht im Haushalt zu finden ist, für die Glaubwürdigkeit von Politik aber das A und O ist, nämlich das Vertrauenskapital. Das hat diese Bundesregierung in der Gesundheitspolitik deutlich verspielt; denn Gesetze werden offenkundig nicht von den zuständigen Ministerien alleine geschrieben, sondern in wesentlichen Teilen von Lobbyisten.
(Jens Spahn (CDU/CSU): Jetzt fängt der auch noch an! Wie oft muss man es Ihnen erklären?)
Ich komme gleich noch einmal dazu. Sie brauchen es mir nicht zu erklären; ich weiß es schon. Es entsteht der Eindruck, dass diese Koalition Politik macht, die man mit Einfluss kaufen kann.
(Jens Spahn (CDU/CSU): Oh!)
Damit wird die Demokratie entwertet, und das ist gefährlich für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn (CDU/CSU): Das erzählen uns die Kommunisten!)
Wir sprechen hier wieder über das Thema Pharmaindustrie. Die Bundesregierung lässt sich öffentlich dafür feiern, dass sie eine Nutzenbewertung für neue Arzneimittel eingeführt hat. Wir haben das in einer Rede ich kann mich noch daran erinnern; Kathrin Vogler hat die Rede gehalten ausdrücklich gelobt.
Sie wollen ja zwischendurch immer gerne Lob. Wir haben das ausdrücklich gelobt. Zu diesem Lob gäbe es auch allen Grund, würde die Regierung es ernst damit meinen. Dann nämlich müssten die Pharmakonzerne erstmals den Nutzen ihrer Produkte nachweisen, bevor sie sie zulasten der Beitragszahler abrechnen dürfen. Wir wollen das. Wir wollen Transparenz statt Mauschelei.
Nun ist die Bundesregierung dabei ertappt worden, dass sie einen Änderungsantrag von der Pharmalobby abgeschrieben oder aber von den Augen der Pharmalobby abgelesen hat, wie es Herr Bahr gerade gesagt hat.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)
Fakt ist demnach: Diese Nutzenbewertung soll verwässert werden. Nicht mehr ein unabhängiges Institut, sondern das Bundesministerium soll künftig per Rechtsverordnung festlegen können, wie geprüft wird. Bitte, denken Sie einmal darüber nach: Lobbyarbeit besteht nicht nur darin, alles abzuwenden, sondern eventuell einen großen Schaden abzuwenden und einen kleinen hinzunehmen. Ich denke, das ist die Lobbyarbeit, die hier dahinter steckt.
Die Pharmalobby hat noch eines draufgesetzt: Sie hat bei der weltweit umsatzstärksten Anwaltskanzlei gleich einen Vorschlag für diese Rechtsverordnung in Auftrag gegeben.
(Jens Spahn (CDU/CSU): Wen interessiert denn das?)
Da darf man doch wirklich gespannt sein, ob diese Bundesregierung auch diese Vorarbeit dankbar eins zu eins übernehmen wird. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger in diesem Land fragen sich: Wer macht hier eigentlich die Gesetze? Das Parlament? Wer macht die Verordnungen? Die Bundesregierung?
Der Eindruck ist auch durch die aktuellen Dementis der Bundesregierung nicht vom Tisch, dass hier einiges outgesourct und vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller und von der Londoner Rechtsanwaltskanzlei Clifford Chance übernommen wird. Ich bin sicher: Das ist kein Einzelfall. Es ist nur so, dass es in diesem konkreten Fall öffentlich geworden ist.
Aber nicht nur die Pharmaindustrie wird hofiert. Gleiches gilt auch für die privaten Krankenversicherungen.
(Otto Fricke (FDP): Welcher Lobbyist hat Ihnen diese Rede geschrieben?)
An dieser Stelle muss ich allerdings eines sagen: Mit Herrn Spahn verbindet mich selten etwas, aber in der Frage der Zusatztarife sind wir sogar einer Meinung;
(Jens Spahn (CDU/CSU): Wow!)
denn ich bin schon der Auffassung, dass die Zusatztarife, die Sie angesprochen haben, eigentlich das Kerngeschäft der privaten Krankenversicherung darstellen. Aber ich bin gleichzeitig der Meinung, dass die private Krankenversicherung eben keine Krankenvollversicherung anbieten soll. Da unterscheiden wir uns dann wieder deutlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich frage auch: Wer hat eigentlich die Wahltarife mit eingeführt?
Die Große Koalition hat 2007 beschlossen, dass man als Angestellter erst dann in eine private Krankenversicherung wechseln kann, wenn man mindestens drei Jahre und nicht nur ein Jahr lang ein entsprechendes Einkommen hat. Dadurch blieben mehr Menschen mit gutem Einkommen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das hat die Beiträge stabilisiert.
Die Privatversicherer klagten seitdem über einen „dramatischen Mitgliederschwund und den Wegfall besonders lukrativer Versicherungsnehmer“, so der Chef der Deutschen Krankenversicherung, Günter Dibbern. Seine Klagen wurden erhört: Schwarz-Gelb will diese Regelung nun rückgängig machen. Die private Krankenversicherung regt sich auf, die Bundesregierung springt. Ein Schelm, wer dabei denkt, dass die Spenden der Allianz-Versicherung von je 60 000 Euro im Jahr an CSU, CDU und FDP hier die Entscheidungsfindung etwas erleichtert hätten, oder?
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch etwas sagen, weil Sie immer die Beamten ansprechen: Ich habe noch keinen Beamten getroffen, der unter vernünftigen Bedingungen nicht viel lieber in der gesetzlichen Krankenversicherung als in der privaten Krankenversicherung wäre.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Jens Spahn (CDU/CSU: Das hilft ihnen aber nicht!)
Ähnlich sieht es bei der dritten Klientelgruppe von Schwarz-Gelb aus, nämlich bei den Arbeitgebern. Zwar werden Sie von der Koalition nun sagen, dass auch die Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung um 0,3 Prozentpunkte angehoben worden sind. Jedoch wollen Sie diesen Beitragssatz von dann 7,3 Prozent für die Arbeitgeber für alle Zeiten festschreiben. Alle künftigen Kostensteigerungen werden alleine von den Versicherten getragen. So merken auch die Arbeitgeber, dass ihre Parteispenden bei den Schwarzen und den Gelben gut angelegtes Geld sind.
(Jens Spahn (CDU/CSU): Weil Ihnen keiner was spendet!)
Für die gesetzlich Versicherten hingegen wird es bitter. Ihnen werden die künftigen Kosten aufgebürdet, insbesondere durch die kleinen Kopfpauschalen, also die neuen Zusatzbeiträge.
Im nächsten Jahr werden die Einnahmen und Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Beitragserhöhung aller Voraussicht nach ausgeglichen sein. Das stimmt, Herr Rösler. Im Jahr darauf wird es vermutlich Zusatzbeiträge in ähnlichem Umfang geben wie bereits in diesem Jahr, nämlich 8 bis 10 Euro. 2013 werden die Zusatzbeiträge schon durchschnittlich über 20 Euro monatlich betragen, vorausgesetzt, die Ausgaben- und Einnahmenentwicklung geht so weiter wie bisher. Wenn man dies hochrechnet, kommt man im Jahr 2020 auf einen Betrag von über 100 Euro pro Monat und pro gesetzlich Versicherten. Dann wäre auch für die gut verdiendenden gesetzlich Versicherten die Belastungsgrenze von 2 Prozent überschritten, und alle müssten einen Sozialausgleich erhalten. Das bedeutet, dass die Arbeitgeber weiterhin 7,3 Prozent zahlen, die Arbeitnehmer aber 7,3 Prozent plus 2 Prozent Zusatzbeiträge plus 0,9 Prozent Sonderbeitrag, also insgesamt 10,2 Prozent. Zuzahlungen und Gebühren sind noch nicht eingerechnet. Eine paritätische Finanzierung sieht anders aus.
(Beifall bei der LINKEN)
Tückisch an dieser Finanzreform des Gesundheitswesens sind also nicht die sofortigen Auswirkungen, sondern die Auswirkungen in einigen Jahren. Damit wird deutlich, dass diese Bundesregierung nicht das Wohl der 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten, sondern die Erfüllung ihrer Klientelaufgaben im Blick hat. Das ist eine Politik der sozialen Ungerechtigkeit. Das kostet Vertrauenskapital. Das gefährdet unsere Demokratie. Wir fordern Sie auf: Kehren Sie um! Verlassen Sie diesen Irrweg!
Danke.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jens Spahn (CDU/CSU): Geht es auch eine Nummer kleiner?)