"Rede von Hüseyin Aydin (DIE LINKE.) zur Beratung des Antrags "WTO-Liberalisierungsrunde stoppen" der Abgeordneten Ulla Lötzer, Hüseyin Aydin, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE."
Sehr geehrte Damen und Herren, Nach den Zahlen der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung FAO leiden in der Welt mehr als 850 Millionen Menschen an chronischer Unterernährung. Jährlich sterben bis zu 30 Millionen Menschen an Hunger und dessen Folgen. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich unbeschreibliches Leid. Darin sind wir uns einig. Doch worin findet es seine Ursache? Fallen die Hungernden Missernten und Heuschreckenplagen zum Opfer? Die Antwort lautet in aller Regel: Nein. Tatsache ist, dass heute nicht einmal 10 % der Hungernden in so genannten „Katastrophengebieten“ leben. Es ist die Armut, die tötet. Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt von weniger als 1 Euro und 72 Cent pro Tag. Es gibt genug Nahrungsmittel auf der Welt. Aber viele, zu viele Menschen haben schlichtweg nicht das Geld, um sie kaufen zu können.Nein! Die Hungertoten fallen nicht Naturkatastrophen zum Opfer. Ihr Elend hat einen Namen: Kapitalismus. Nehmen wir das Beispiel Niger, wo im vergangenen Jahr der Hunger grassierte. Uns wurde erzählt, eine Heuschreckenplage sei daran schuld gewesen. In Wirklichkeit betrug der Ernteausfall gerade mal 11 Prozent! Doch diese Verknappung reichte aus, um die Preise für das Getreide in die Höhe zu treiben. Die Grundnahrungsmittel wurden für viele Einwohner unerschwinglich. Folge: Das Getreide wurde in das benachbarte Nigeria exportiert, wo die Kunden die höheren Preise zahlen konnten. Das ist die Logik des freien Marktes! Diese Logik hat eine Kehrseite. Dem unbeschreiblichen Elend steht ebenso unbeschreiblicher Reichtum gegenüber. Die drei reichsten Personen verfügen über mehr Reichtum, als alle afrikanischen Länder südlich der Sahara zusammen! Ein Ölmulti wie BP macht einen Jahresumsatz, der hundert Mal höher ist, als der Staatshaushalt des Ölförderlandes Tschad. Die neoliberale Globalisierung treibt den Gegensatz zwischen arm und reich auf der Welt in immer obszönere Dimensionen. Meine Damen und Herren, Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat die so genannten Millenniumsziele der UNO zu ihrem Leitmotiv erklärt. Das ist gut so. Erstes Millenniumsziel ist die Halbierung von Hunger und extremer Armut bis zum Jahr 2015. Leider sind wir aber zehn Jahre, nachdem die FAO das erste Mal dieses Ziel formuliert hat, nicht weiter gekommen. Im Gegenteil. Seit 1995, so die FAO, hat sich die Zahl der Hungernden um weitere 28 Millionen Menschen erhöht! Diese Tatsache wirft einen dunklen Schatten auf die bestehende Welthandelsordnung. Seit zehn Jahren besteht die WTO - und der Hunger nimmt weiter zu. Dieser Zusammenhang ergibt sich aus der Rolle, die die WTO bislang spielt. Die WTO ist ein System, in dem Länder gezwungen werden, Mechanismen zum Schutz der heimischen Wirtschaft abzubauen. Die Wirkungen sind verheerend. Nehmen wir etwa das Beispiel Burkina Faso. Burkina Faso hat seine Zölle auf Milchprodukte auf 5 % abgesenkt. Das Ergebnis: Die einheimische Landwirtschaft ist gegen das exportsubventionierte Milchpulver aus Europa nicht mehr konkurrenzfähig. Obwohl zehn Prozent der Bevölkerung von Burkina Faso Milchviehhirten sind, trinkt die Bevölkerung in der Hauptstadt Wagadugu nur noch Milch aus dem Pulver von Nestlé, Cowbell oder anderen Multis! Das ist gut für die Profite der großen Konzerne. Aber es vernichtet die Existenzgrundlage der afrikanischen Viehhirten. Die einzige Lösung besteht darin, den Zoll auf Milchprodukte wieder anzuheben. In Kenia etwa werden 60% auf Milcheinfuhren und andere agrarische Produkte erhoben. Doch was fordert die laufende WTO-Runde? Entwicklungsländer wie Kenia haben eine pauschale Zollsenkung in Landwirtschaft und nicht-agrarischen Gütern vorzunehmen! Und die Bundesregierung will uns weismachen, derzeit verhandele man eine „Entwicklungsrunde“. Was für eine Farce! Die vorliegenden Anträge der Regierungsparteien - von der FDP ganz zu schweigen - wiederholen in monotoner Weise die alte Leier: Marktöffnung, Privatisierung, Freihandel etc. etc. würden den Entwicklungsländern nützen. Der Punkt ist: Selbst im reichen Europa zerrüttet diese Politik den Sozialstaat und verschärft die Armutsprobleme. In Afrika zerstört diese Politik Menschenleben. Meine Damen und Herren, Nur der Antrag der Linksfraktion macht deutlich, dass die ganze Richtung der Welthandelspolitik falsch ist. Die Grünen sagen, die WTO-Ministerkonferenz von Hongkong solle Zwischenschritt zu einer fairen und entwicklungsorientierten Welthandelsrunde sein. Bei allem Respekt: In welcher Welt leben Sie? In Hongkong ging es um wirtschaftliche Interessen und um Absatzmärkte. Entwicklungspolitik ist mit der gegenwärtigen Welthandelsrunde unvereinbar. Sie muss gestoppt werden. Wir als Linke sind mit dieser Meinung nicht allein. Ich war zusammen mit anderen Kollegen und Kolleginnen der Linksfraktion beim Weltsozialforum in Caracas. Wir wurden dort Zeuge einer anderen Form der Globalisierung - der Globalisierung von unten. In seiner Abschlusserklärung verurteilte das Weltsozialforum die WTO-Konferenz von Hongkong als einen Schritt zu einer umfassenden Liberalisierung der Märkte. Der anti-neoliberale Widerstand, der 1999 in Seattle das erste Mal eine WTO-Konferenz zum Scheitern brachte, trägt Früchte. Die Bewegung ermutigt die ärmsten Länder, sich nicht jedem Diktat der großen Mächte zu beugen. Der Beschluss von Hongkong, die europäischen Exportsubventionen auslaufen zu lassen, ist ein Erfolg der globalisierungskritischen Bewegung. Die bitteren Pillen, die das Freihandelsregime der WTO den armen Ländern verschreiben will, sind weltweit längst als Verarmungsprogramm durchschaut worden. In Mali wurde das Wassersystem wieder verstaatlicht. In Burkina Faso wurde die Zerschlagung des staatlichen Eisenbahnwesens abgewendet. Das sind die Erfolge, auf denen wir aufbauen. Zusammen mit der außerparlamentarischen Bewegung gilt es nun, die von der WTO geforderte pauschale Absenkung der Zölle in den Entwicklungsländern zu stoppen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Globalisierung treibt den Gegensatz zwischen arm und reich auf der Welt in immer obszönere Dimensionen
Rede
von
Hüseyin Aydin,