Zum Hauptinhalt springen

Diamorphingestützte Substitutionsbehandlung ist sinnvoll!

Rede von Frank Spieth,

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Frank Spieth hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Frank Spieth (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Über 250 Kolleginnen und Kollegen haben den Gesetzentwurf zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung unterstützt und unterschrieben. Zugegebenermaßen hat er einen sperrigen Titel, der sich nicht ohne weiteres erschließt. Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob die Damen und Herren hier und die Zuschauer neben den taktischen Geschichten, die hier im Plenum deutlich werden, nachvollziehen können, um was es geht.

Ich möchte anhand eines ganz konkreten Falles versuchen, dem Ganzen ein Gesicht zu geben: Der 48-jährige Herbert S. wurde von den Mitarbeitern der Studienambulanz in der Grünen Straße in Frankfurt am Main buchstäblich von der Straße aufgelesen. 20 Jahre lang war er heroinsüchtig und die letzten fünf Jahre obdachlos. Er ist 1,81 Meter groß, wog aber zu Beginn der Therapie nur 41 Kilogramm. Sein Gesundheitszustand war miserabel.

Bei der Aufnahmeuntersuchung zeigte sich, dass er seine Schuhe nicht mehr ausziehen konnte. Das hatte einen Grund: Er trug mehrere Socken übereinander; die Füße waren voller Wunden, und das unterste Paar Socken klebte an diesen Wunden fest. Herbert S. war äußerst kontaktscheu, ein typischer Einzelgänger, von der Straße gezeichnet. Bisher hatte er aus Angst vor dem Entzug jede Therapie abgelehnt.

Eine Methadontherapie, die den Entzug lindern kann, kam für ihn nie infrage. Denn er hatte sich auf dem Schwarzmarkt bereits illegal Methadon beschafft und wusste, wie es wirkt. Unter Methadon fühlte er sich schlecht, antriebslos und depressiv. Methadon führte bei ihm dazu, dass er immer wieder maßlos Schnaps und Wein trank. Da aber die Kombination Alkohol und Methadon die Atmung lähmen kann - dies wird von den meisten Therapeuten bestätigt -, kommt es beim Betroffenen zu problematischen Folgen: Die mit Heroinkonsum verbundenen Entzugserscheinungen haben solche Auswirkungen, dass er letztendlich aus der Entzugsmaßnahme aussteigt und in der letzten Konsequenz wieder an der Nadel hängt. Es handelt sich also um einen Teufelskreis.

Für den schwerstabhängigen Herbert S., der ohne die Hilfe der Studienambulanz wahrscheinlich nicht mehr leben würde, war die Diamorphinbehandlung der einzige Ausweg. Die Aussicht auf eine Therapie ohne Entzugserscheinungen machte ihn neugierig, und er stimmte zu. Zunächst kümmerten sich die Mitarbeiter der Studienambulanz um ein Obdach. Als das gefunden war, begann die psychische Behandlung.

Ein großer Unterschied zwischen Diamorphin und Methadon ist die Halbwertszeit im Körper. Sie beträgt bei Methadon 24 Stunden, während Diamorphin schon nach drei Stunden zur Hälfte abgebaut ist. Daher muss Herbert S. die Studienambulanz auch morgens, mittags und abends aufsuchen. Diese Regelmäßigkeit hilft ihm, seinen Tag zu strukturieren. Den Therapeuten gibt dies die Möglichkeit, regelmäßig mit ihm zu sprechen.

Mittlerweile wiegt er 64 Kilogramm. Die Wunden haben zwar ihre Narben hinterlassen, sind aber geheilt. Vor vier Monaten hat dieser ehemals todgeweihte Mann sogar eine Arbeit gefunden. Es ist zwar nur ein 1-Euro-Job, aber er freut sich, wieder gebraucht zu werden. Nun geht er dreimal die Woche für die Stadt Frankfurt in die Parks und sammelt Müll auf. Er freut sich über diese Arbeit; denn durch sie hat er sein Einzelgängerdasein überwunden und ein stabilisierendes soziales Umfeld gefunden. Herbert S. ist nicht der einzige Abhängige, dem die Diamorphintherapie geholfen hat. Wir könnten dies durch zahlreiche weitere Beispiele belegen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, meine ich, dass die Erkenntnisse aus den Untersuchungen und die konkreten praktischen Erfahrungen eine andere Behandlung für diesen begrenzten Kreis von Personen - im Sinne einer Ultima Ratio - überhaupt nicht mehr zulassen. Dem muss endlich gefolgt werden. Ich unterstelle Ihnen überhaupt nichts. Ich weiß, dass sehr viele von Ihnen sehr starke christliche und soziale Wurzeln haben. An dieser Stelle habe ich aber erhebliche Zweifel; denn die Forderungen, die Sie hier aufstellen, sind in sich nicht schlüssig. Ihr Antrag ist im Kern nichts anderes als ein taktisches Reagieren auf diesen Gesetzentwurf. Das finde ich nicht erträglich.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Sie müssten jetzt bitte zum Ende kommen.

Frank Spieth (DIE LINKE):

Ich bin sofort fertig. Ich kann mich insofern nur meinen Vorrednerinnen und Vorrednern anschließen. Heben Sie den Fraktionszwang auf und machen Sie diese Entscheidung zur Gewissensentscheidung!

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)