In der Debatte zum UN-Biodiversiätätsgipfel Ende Mai in Bonn kritisierte der Naturschutzpolitische Sprecher Lutz Heilmnann die Bundesregierung für ihr zögerliches Vorgehen. Die nationale Biodiversiätsstrategie sei völlig unverbindlich und lediglich eine Absichtserklärung. Zudem blieben die Vorschläge zum weltweiten Schutzsgebietsnetz weit hinter den internationalen Anforderungen zurück. Die Schaffung eines Systems zum Ausgleich der Nutzung genetischer Ressourcen ist fraglich.
Sehr geehrter Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Deutschland, der Saubermann beim Schutz der Artenvielfalt? Diesen Eindruck möchte die Bundesregierung derzeit mit ihrer Hochglanzkampagne zur 9. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens zum Schutz der Artenvielfalt in zwei Wochen in Bonn vermitteln. Ihre nationale Strategie zum Schutz der Artenvielfalt feiern Sie jedenfalls wie das achte Weltwunder.
(Hans-Michael Goldmann (FDP): Zu Recht!)
Eine solche Strategie vorzulegen, war aber eine der Verpflichtungen des Übereinkommens. Deutschland muss mit seiner Strategie damit Rechenschaft ablegen, wie es die Verpflichtungen des Übereinkommens in Deutschland gestalten will.
Schauen wir uns die Strategie etwas genauer an. Dafür, dass mehrere Bundesregierungen 15 Jahre dafür gebraucht haben, ist das Ergebnis recht mager. Ich befürchte sogar: Ohne den Druck der in Bonn stattfindenden Vertragsstaatenkonferenz gäbe es die Strategie heute noch nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, ich frage Sie: Warum hat das so lange gedauert?
Ich gebe durchaus zu, dass die Strategie in weiten Teilen ein prosaisches Meisterwerk ist. Aber immer wenn es ans Eingemachte und ums Konkrete geht: Fehlanzeige! Es fehlen erstens konkrete Maßnahmen, um die Ziele zügig und effektiv zu erreichen, zweitens die Verbindlichkeit der Strategie und die konkrete Überprüfbarkeit der Ziele, drittens Sanktionsmöglichkeiten zur Durchsetzung der Ziele, viertens ein Konzept für ein Biodiversitätsmonitoring und fünftens vor allem eine wirksame öffentliche Kontrolle. Deshalb fordern wir die Änderung des Umweltrechtsbehelfsgesetzes. Das dort enthaltene Drittschutzerfordernis als Klageberechtigung muss abgeschafft werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Nur wenn Ihnen die Naturschutzverbände auf die Finger hauen und nicht nur schauen können, werden Sie sich wirklich anstrengen.
(Hans-Michael Goldmann (FDP): Na, na!)
Die Begeisterung der Naturschutzverbände über Ihre Strategie hält sich im Übrigen in Grenzen. Ich zitiere den Vorsitzenden des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Professor Hubert Weiger:
"Seit Jahrzehnten bekannte, vielfach gesetzlich bereits vorgeschriebene Ziele und Allgemeinplätze werden erneut als Vision beschrieben, die man lediglich anstrebt."
Ich denke, dieser Verriss erster Güte spricht für sich. Aber Staatssekretär Müller hat die Auffassung der Bundesregierung gestern im Umweltausschuss auf den Punkt gebracht: Es sei schon ein Wert an sich, dass die Strategie existiert. Ich sage Ihnen: Es reicht uns nicht. Es reicht nicht, um beim Erhalt der biologischen Vielfalt voranzukommen, und es reicht erst recht nicht für eine verantwortungsbewusste Regierungsarbeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber selbst den Koalitionsfraktionen scheint das nicht zu reichen. Anders kann ich Ihren Entschließungsantrag, der gestern im Umweltausschuss vorlag, nicht interpretieren.
Einige Zahlen: In Deutschland sind 30 Prozent von den 14 000 in der Roten Liste aufgeführten Arten in ihrem Bestand bedroht. 70 Prozent der Biotope sind gefährdet. Und was tun Sie? Ich möchte Sie an die kleine Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes im letzten Jahr erinnern. Mit der haben Sie im Artenschutz eine Zweiklassengesellschaft geschaffen. Nach nationalem Recht geschützte Arten verdienen anscheinend einen deutlich geringeren Schutz als nach europäischem Recht geschützte Arten. Das wollen Sie nun im Zuge der großen Novelle mit der Schaffung des Umweltgesetzbuches beheben - so Ihre damalige Äußerung.
Ob das Umweltgesetzbuch in dieser Wahlperiode noch das Licht der Welt erblickt, steht indes in den Sternen. Herr Minister, momentan treten dabei Ihre bayerischen Kollegen und derzeitigen Wahlkämpfer Seehofer und Glos kräftig auf die Bremse. Denen oder ihrer Lobby ist unter anderem die Eingriffsregelung ein Dorn im Auge. Gerade aber die Ausgleichsverpflichtung bei Eingriffen in die Natur hat sich in der Praxis als wirksames Mittel des Natur- und somit Artenschutzes erwiesen. Ich denke, hier wäre einmal ein Machtwort der Kanzlerin, die gerade schwatzt, erforderlich.
(Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und der FDP: Oh! Hans-Michael Goldmann (FDP): Das war aber ein Eingriff, den Sie da vorgenommen haben!)
Ein Indikator für die Bedrohung der Artenvielfalt ist der anhaltend hohe Flächenverbrauch von 110 Hektar pro Tag. Angestrebt haben Sie einen Rückgang auf 30 Hektar pro Tag bis zum Jahr 2020. Davon sind Sie allerdings meilenweit entfernt. Konkret bedeutet das die massive Zerschneidung der Landschaft durch Straßenbau, neue Landebahnen, Industriegelände und Gewerbe- und Wohngebiete auf der sogenannten grünen Wiese. Letztlich ist auch die industrielle Intensivnutzung durch Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft für den Verlust der biologischen Vielfalt maßgeblich mitverantwortlich.
(Hans-Michael Goldmann (FDP): Das ist Ihre Botschaft gen Osten!)
All das wird von Ihnen mit erheblichen Summen unterstützt. Wenn nur ein Bruchteil dieser Milliarden dem Naturschutz und dem Schutz der Artenvielfalt zur Verfügung gestellt würde, wären wir einen Schritt weiter. Aber was macht unser Umweltminister? Er kürzt, um die Konferenz in Bonn durchzuführen, erst einmal die Ausgaben für den Naturschutz in Deutschland.
Dabei geht es auf der Konferenz auch ums Geld. 30 Milliarden Euro würde ein effektiver weltweiter Gebietsschutz bis zum Jahr 2015 kosten. Wir als Linke fordern die Bundesregierung auf, sich an der Finanzierung eines globalen Schutzgebietsnetzes in angemessenem Umfang und zügig zu beteiligen;
(Beifall bei der LINKEN)
denn die angestrebte Schaffung eines globalen Schutzgebietsnetzes bis 2010 kommt kaum voran.
Von besonderer Bedeutung ist der Schutz der letzten intakten Ur-, Mangroven- und Buchenwälder Mitteleuropas. Die müssen sofort unter Schutz gestellt werden. Wir brauchen endlich gesetzliche Regelungen, die die Einfuhr und den Handel von Urwaldhölzern aus illegalem Einschlag unter Strafe stellen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir brauchen ein europäisches Buchenwaldschutz- und Aufforstungskonzept. Bis zum Jahr 2012 ist ein Schutzgebietsnetz für die Meere einzurichten. In diesen Schutzgebieten müssen die Müllentsorgung, der Abbau von Bodenschätzen, die Fischerei, die Förderung von Öl und Gas und die Entnahme von Sand und Kies ausgeschlossen werden.
Herr Gabriel, ich weiß nicht, wie weit Sie mit Ihrer Freiwilligeninitiative „LifeWeb“ kommen werden. Ich frage mich aber, warum Sie den Mitgliedstaaten ein freiwilliges Engagement vorschlagen, wenn die Ausweisung der Schutzgebiete eine Verpflichtung des Übereinkommens ist. Eine Verpflichtung ist eine Verpflichtung. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Daran ändert sich auch nichts, wenn Sie der Wirtschaft eine Freiwilligeninitiative schmackhaft machen wollen. Sie brauchen es niemandem schmackhaft zu machen. Sie müssen es fordern, weil Sie das Übereinkommen dazu verpflichtet. Mit Verlaub, Herr Minister, Ihr süffisanter Satz, dass sonst nämlich keiner käme, bedeutet, dass Sie dieser völkerrechtlich verbindlichen Zusage von 190 Staaten anscheinend keinen Wert beimessen. Die Beteiligung an der Schaffung des globalen Schutzgebietsnetzes ist kein freiwilliger Beitrag. Lassen Sie es, die Verbindlichkeit mit einer Freiwilligeninitiative inhaltlich zu unterwandern und rhetorisch aufzuweichen!
(Beifall bei der LINKEN)
Ich komme nun zum ABS-Regime. Es geht dabei nicht um das Antiblockiersystem, das wir aus dem Auto kennen. Es geht vielmehr um einen gerechten Vorteilsausgleich. Vorteilsausgleich wofür? Ich erkläre es kurz.
Stellen Sie sich vor, irgendwo im brasilianischen Amazonasgebiet lebt eine Dorfgemeinschaft, die seit Jahrhunderten ein bestimmtes Pflanzenmittel zur Schmerzbekämpfung herstellt. Davon bekommt nun ein großer Pharmakonzern Wind und möchte das nutzen, um nach diesem Vorbild Tabletten herzustellen und dann natürlich - wir leben im Kapitalismus - gewinnbringend zu verkaufen.
Bislang ist es in der Regel so, dass sich der Konzern das Rezept einfach aneignet - ich könnte auch sagen: klaut - ohne der Dorfgemeinschaft einen Ausgleich für den aus dem Wissen gezogenen Vorteil zu geben. Dieser Vorteilsausgleich ist aber eine der Verpflichtungen des Übereinkommens zum Schutz der Artenvielfalt. Eine Regelung, wie der Vorteilsausgleich erfolgen soll, besteht noch nicht. Die Schaffung ist das Ziel der bevorstehenden Vertragsstaatenkonferenz.
Wie soll das nun aussehen? Ganz einfach zusammengefasst kann man sagen: informieren, fragen, Vertrag schließen, zahlen. Wenn die Dorfgemeinschaft ihr Wissen nicht verkaufen will, ist eben Ebbe mit Geldverdienen. Wer sich dann das Wissen unrechtmäßig beschafft und verwendet, muss bestraft werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, in den Verhandlungen der Vertragsstaatenkonferenz und während des zweijährigen Konferenzvorsitzes alles daran zu setzen, dass ein solch rechtlich verbindlicher Vorteilsausgleich geschaffen wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Dorfgemeinschaften - in Fachkreisen auch indigene und lokale Gemeinschaften genannt - sind dabei an den Verhandlungen voll zu beteiligen. Ihnen muss darüber hinaus das Recht gewährt werden, eine Patentierung auszuschließen sowie die Weitergabe an Dritte zu beschränken.
(Hans-Michael Goldmann (FDP): Dann würde die ehemalige DDR nicht viel verdienen! Die hat nicht so viel zu verkaufen!)
Die Länder und deren indigene und lokale Gemeinschaften, die eine hohe biologische Vielfalt zu bieten haben, sollen eben nicht verpflichtet werden, uns ihre Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
Wir fordern in diesem Zusammenhang, insbesondere die Rolle sowie die Arbeit der Frauen bei der Nutzung und Verarbeitung von genetischen Ressourcen und der Anwendung von traditionellem Wissen zu achten und zu respektieren und dass ihnen für ihre Arbeit ein ordentlicher Lohn gezahlt wird.
(Hans-Michael Goldmann (FDP): Na endlich!)
Das vermisse ich selbst bei den Grünen, aber da vermisst man mittlerweile ja so einiges.
Ein paar Gedanken zum Thema Agrotreibstoffe. Dabei kommt nach einer kräftigen Panne von Minister Gabriel jetzt die Losung, man möge die Diskussion doch bitte wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Weltweit würden ja nur 2 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für Agrosprit genutzt. Hauptursache für Abholzungen sei eher der Futtermittelanbau, also der große Fleischkonsum.
Ich finde diese Argumentation recht platt. Natürlich gibt es eine Vielzahl anderer landwirtschaftlicher Nutzungen als den Anbau von Energiepflanzen. Die Nachfrage nach Nahrungs- und Futtermitteln wächst momentan weltweit, weil die Zahl der Menschen weiter wächst und weil viele Menschen zum Glück mehr, aber auch fleischlastiger essen. Gleichzeitig sinkt die Anbaufläche.
Wer ein wenig von Marktmechanismen versteht,
(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Also Sie nicht!)
der weiß, dass das Ganze zu steigenden Nahrungsmittelpreisen führen muss. Genau das geschieht derzeit. Genau in dieser Situation wollen die Industriestaaten noch zusätzlich zu den ganzen Problemen tropischen Agrosprit für ihre Autoarmada. „Bravo!“, kann ich da nur sagen. Da senden wir über die Rohstoffbörsen tolle Nachrichten in den Süden: Baut nicht mehr Bohnen und Reis, sondern Zuckerrohr und Soja an! Holzt eure letzten Wälder ab für Ethanol und Agrodiesel! Vertreibt die Kleinbauern!
Warum das alles? Weil sich unser Umweltminister nicht mit der Autoindustrie anlegen will. Da ist es vielleicht kein Zufall, dass er der EU-Kommission vorwirft, einen Wettbewerbskrieg gegen die deutschen Hersteller anzuzetteln. Denen wollten Sie mit dem Agrosprit ja einen Gefallen tun, damit diese weiter spritschluckende Kleinpanzer verkaufen können.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Zeit.
Lutz Heilmann (DIE LINKE):
Einen Gedanken noch. Herr Gabriel, was sind Sie: Auto- oder Umweltminister? Machen Sie endlich Ihre Arbeit!
Ich komme zum Schluss.
(Zurufe von der FDP: Oh! Oh!)
Deutschland muss noch viel tun, um Saubermann des Schutzes der Artenvielfalt zu werden. Dazu gehören erstens eine wirksame Strategie zum Schutz der Artenvielfalt, zweitens ein wirksamer Beitrag zur Schaffung eines globalen Schutzgebietsnetzes und drittens ein Starkmachen für einen gerechten Vorteilsausgleich für die Nutzung von Wissen und Natur.
(Hans-Michael Goldmann (FDP): Erlöse uns!)
Erreichen können wir das, indem Sie sich einen Ruck geben und dem Antrag meiner Fraktion zustimmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche einen schönen Tag.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))