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Deutschland - Europas Steuerparadies

Rede von Barbara Höll,

Was hat Rot-Grün für Steuergeschenke an die Unternehmen ausgereicht! Immer wieder haben wir gehört: Arbeitsplätze entstehen; es wird investiert werden. Wurde investiert? Zum Teil, aber nicht in Arbeitsplätze, sondern in Unternehmensübernahmen und Ähnliches. Viele Arbeitsplätze wurden sogar auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vernichtet. Das ist eine Politik, die mit den Linken nicht zu machen ist.Barbara Höll in der Aktuellen Stunde zur Steuerpolitik der Bundesregierung.

"Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kuhn, ich kann Ihrer Einschätzung nicht zustimmen, dass das eine chaotische Steuerpolitik ist. Ich denke, das, was wir erleben, ist zwar Verbalakrobatik - es geht immer mit Getöse ein bisschen hin und her und es wird immer wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben -, aber inhaltlich ist das eine Fortsetzung der Politik, die auch Sie betrieben haben, also eine Fortsetzung neoliberaler Wirtschaftspolitik - nichts anderes. (Beifall bei der LINKEN) Die CDU/CSU hat es vor der Wahl ganz klar erklärt: Es soll eine Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozentpunkte geben, das heißt, eine zusätzliche Belastung für diejenigen Menschen, die sowieso schon wenig Einkommen haben. Die SPD dagegen hat ihr Wahlversprechen unmittelbar nach erfolgter Wahl gebrochen und hat auf die 2 Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung von Frau Merkel noch 1 Prozentpunkt draufgepackt. Das ist wohl wahr. Wahr ist auch, dass sich der designierte zukünftige Parteivorsitzende nun in seinen Worten etwas besinnt und tatsächlich davon spricht, dass die Staatsquote vielleicht erhöht werden sollte und dass man vielleicht doch einen starken Staat braucht. In der Realität sieht das dann aber so aus, dass Herr Steinbrück zwar in einem "Spiegel"-Interview erklärt, dass wir ein strukturelles Einnahmeproblem haben; aber das Einzige, was ihm dazu einfällt - davon bin ich enttäuscht -, ist die Mehrwertsteuererhöhung. Die Mehrwertsteuererhöhung - da sind wir uns sicher einig - wirkt nicht nur konjunkturdämpfend, sondern sie wirkt konjunkturbehindernd. Sie wird in der Situation, in der wir uns hier befinden, tatsächlich zu wirtschaftlichen Einbrüchen führen. Aber das Problem ist doch nicht - wie Sie im Koalitionsvertrag beschreiben -, dass wir die Steuersätze so gestalten müssten, dass wir international wettbewerbsfähig sind. Deutschland ist Exportweltmeister - wer ist denn wettbewerbsfähig, wenn nicht wir? (Beifall bei der LINKEN) Unser Problem ist die Binnennachfrage. Gerade auf die Binnennachfrage werden die 3 Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung wirken. Für eine vierköpfige Familie wird das bedeuten, dass im nächsten Jahr mindestens 1 100 Euro an Mehrbelastung auf sie zukommt. Das bedeutet einen Entzug von Kaufkraft und eine weitere Schwächung der Binnennachfrage. Das liegt einfach auf der Hand, darum braucht man nicht weiter herumzureden. Es ist wirklich bedauerlich, dass Sie nicht die Kraft aufbringen, tatsächlich einmal darüber nachzudenken, wie man die strukturellen Einnahmeprobleme, die es in diesem Haushalt gibt, beseitigen kann. Dazu liegt viel auf dem Tisch. Herr Steinbrück, wenn Sie unser Steuerkonzept noch nicht wahrgenommen haben - was ich nicht ganz glaube -, sende ich es Ihnen gerne zu; Sie können es dann in Ruhe lesen und sich damit auseinander setzen. Natürlich haben wir Möglichkeiten. Wir haben die Möglichkeit, die Erbschaftsbesteuerung neu zu gestalten. Wir hören hier seit Monaten, dass auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gewartet werde. Das Bundesverfassungsgericht hat schon drei Urteile gesprochen, die hier immer noch nicht richtig umgesetzt worden sind. Wir haben die Möglichkeit der Vermögensbesteuerung. Wir haben die Möglichkeit, kurzfristig auch einmal eine Vermögensabgabe zu überlegen. (Florian Pronold [SPD]: Das ist aber alles nichts für den Bundeshaushalt!) Wir haben außerdem natürlich die Möglichkeit, die Einkommensteuer sozial gerecht zu gestalten, zum Beispiel indem man das steuerfreie Existenzminimum weiter ausdehnt, aber auch den Spitzensteuersatz wieder anhebt. Niemand schreibt uns vor, dass der bei 42 Prozent liegen muss. Auch bei 53 Prozent ist die deutsche Wirtschaft nicht kaputtgegangen (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Wirtschaft hat ihn gar nicht gehabt! Die Wirtschaft hatte keine 53 Prozent!) und sind die Menschen, die in dieser Bundesrepublik Deutschland ein sehr hohes Einkommen haben, die Spitzenverdiener, nun weiß Gott nicht verarmt. Sie hängen der neoliberalen Politik weiter an. Sie sind beratungsresistent und nehmen die Wirklichkeit nicht wahr. (Beifall bei der LINKEN) Man muss es immer wieder betonen: Die Haushaltssituation, in der wir uns befinden, so schlecht sie ist, ist nicht gott- oder naturgegeben; sie ist von der Politik gemacht. Das sollten sich alle die vor Augen führen, die in den letzten 16 Jahren hier die politische Verantwortung getragen haben. Was hat Rot-Grün für Steuergeschenke an die Unternehmen ausgereicht! Immer wieder haben wir gehört: Arbeitsplätze entstehen; es wird investiert werden. Wurde investiert? Ja, zum Teil, aber nicht in Arbeitsplätze, sondern in Unternehmensübernahmen und Ähnliches. Viele Arbeitsplätze wurden sogar auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vernichtet. Das ist eine Politik, die mit uns nicht zu machen ist. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist gar nichts zu machen!) Schauen Sie einfach einmal ein bisschen in die Presse - das kann man nicht oft genug raten -: Deutschland ist ein Steuerparadies, im europaweiten Vergleich auf alle Fälle. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst einmal mit Sie auch einfach noch einmal in den Jahreswirtschaftsbericht! Im Ergebnis nehmen Sie selbst an, dass sich in diesem Jahr die Einkommenssituation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur der WASG zurechtkommen!) Das kann man nachlesen. Schauen minimal verbessern wird, aber dass die Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen massiv steigen werden, um über 7 Prozent, während bei den anderen Einkommen nicht einmal eine Zunahme um 1 Prozent erwartet wird. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt das die WASG oder die PDS?) Das ist eine Politik, die nicht zur Lösung der sozialen Probleme führt, sondern im Gegenteil die soziale Schieflage hier in Deutschland verstärken wird und die Armut erhöhen wird. Das ist eine neoliberale Politik, die mit uns nicht zu machen ist. Deshalb lehnen wir das ab. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN)"