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»Der Haushalt ist nicht gerecht, weil er Armut schafft«

Rede von Gesine Lötzsch,

2. Lesung Haushalt 2012; EP 11 Arbeit am 24.11.2011

Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE):

Vielen Dank. ‑ Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich mit der Frage auseinandersetzen, ob dieser Haushalt gerecht, ob er sozial oder ob er christlich ist.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Das ist er!)

Die Bundesregierung und die Koalition wollen uns einreden, der Haushalt würde alle in der Gesellschaft gleich belasten und wäre sozial ausgewogen. Doch jeder, der die Zahlen kennt, weiß, dass das gelogen ist,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

denn die größten Kürzungen im Bundeshaushalt wurden dort vorgenommen, wo die Menschen, die am wenigsten haben, am härtesten getroffen werden, und Menschen, die nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, werden von den Kürzungen vollständig verschont. Sie werden eben nicht zur Kasse gebeten, was richtig wäre.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Max Straubinger (CDU/CSU): 8 Prozent dürften 50 Prozent der Einkommensteuer zahlen!)

Im Etat „Arbeit und Soziales“ sind 4,7 Milliarden Euro gestrichen worden. Gleichzeitig bekommt der Verteidigungsminister ‑ bei Beachtung von Haushaltswahrheit und -klarheit ‑ 1,6 Milliarden Euro mehr. An dieser Stelle muss man wirklich ganz deutlich sagen: Hier stimmen die Verhältnisse wirklich nicht mehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein gerechter Haushalt sieht anders aus: Steuererhöhungen für diejenigen, die die Krise verursacht haben und immer noch an ihr verdienen. Ein gerechter Haushalt, Frau von der Leyen, würde nicht die Menschen bestrafen, die ihre Arbeit verloren haben und unverschuldet in Armut geraten sind. Vor allem würde ein gerechter Haushalt, der auch nur einen Hauch von christlichem Anspruch widerspiegelt, nicht zulassen, dass immer mehr Kinder in unserem Land in Armut leben müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie versuchen ‑ das haben Sie in den Beratungen getan; Sie werden das in Ihrer Rede gleich wiederholen ‑, die Kürzungen im Haushalt schönzureden. Ihr Argument, dass Sie uns häufig vorgetragen haben, lautet: In konjunkturell guten Zeiten geht die Arbeitslosigkeit zurück; deshalb brauchen wir weniger Geld für Arbeitslose. Aber wie sieht diese Arbeit aus? Sie haben das in Ihrer Antwort auf die schriftlichen Fragen meiner Kolleginnen Jutta Krellmann und Sabine Zimmermann selbst gesagt: Diese neue Arbeit stellt eine dramatische Zunahme von Leiharbeit und Niedriglöhnen dar. Das hat mit Gerechtigkeit wirklich nichts zu tun, Frau Ministerin.

(Beifall bei der LINKEN)

Schauen wir einmal genau hin: Im Oktober ist die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Vorjahr um 3,7 Prozent gesunken. Das ist gut. Im gleichen Zeitraum sank aber die Zahl der Teilnehmer an Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung um 21 Prozent. Wie erklären Sie eigentlich Menschen, die endlich aus der Arbeitslosigkeit herauskommen wollen, die bereit sind, sich immer wieder zu qualifizieren, dass Sie kein Geld mehr für Qualifikation ausgeben wollen? Ich glaube, das können Sie niemandem mit gutem Gewissen erklären.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir lesen ja jeden Tag in den Zeitungen ‑ es hat auch schon in der Debatte eine Rolle gespielt ‑, dass in Deutschland Fachkräfte fehlen. Wir lesen aber viel zu selten, dass es diese Bundesregierung und diese Ministerin ist, die Menschen die Chance verbaut, wieder in Arbeit zu kommen. Das ist nicht gerecht! Das ist nicht christlich, Frau Ministerin!

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Woher wissen Sie denn, was christlich ist?)

Frau von der Leyen, Sie haben Ihre Partei, die CDU, aufgefordert, endlich einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland einzuführen. Das war eine richtige und längst überfällige Forderung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Alle Vorurteile, die von der CDU ‑ von der FDP will ich jetzt gar nicht reden ‑ gegen einen gesetzlichen Mindestlohn vorgebracht wurden, sind wissenschaftlich widerlegt worden. Der Mindestlohn vernichtet keine Arbeitsplätze. Das wissen wir aus den Erfahrungen fast aller anderen Länder der Europäischen Union. Ich finde, es ist moralisch wirklich verwerflich, wenn ein Arbeitgeber meint, einen Menschen für sich arbeiten lassen zu können, ohne ihn so zu bezahlen, dass er davon leben kann. Wie kann eine christliche Partei solche Arbeitgeber nur unterstützen, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der LINKEN)

Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern einen unwürdigen Lohn bezahlen, werden von der Bundesregierung dafür sogar noch belohnt, weil sie mit Steuergeldern subventioniert werden. Das muss endlich ein Ende haben!

(Beifall bei der LINKEN)

Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter gerecht entlohnen wollen, werden von der Bundesregierung bestraft, denn sie müssen sich gegen unlautere Konkurrenz wehren.

Ihr Parteitag hat nun keine Mindestlöhne beschlossen. Sie konnten sich mit dieser Idee nicht durchsetzen. Die radikalen Marktideologen haben sich in der CDU wiederum durchgesetzt. Wir haben bereits bei der Debatte um den Einzelplan Wirtschaft gesehen, dass das die dominierende Haltung in Ihrer Partei ist. Das hat mit christlich-sozial nichts zu tun. Wenn Sie an Ihre Wurzeln, an Ihre Werte anknüpfen wollen, dann müssen Sie endlich umsteuern. Ansonsten wird man Ihnen den Titel „christlich“ nicht mehr verleihen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ewige Mantra der christlich-liberalen Koalition lautet ja: Leistung muss sich wieder lohnen. ‑ Wenn wir uns aber die Politik dieser Bundesregierung anschauen, dann sehen wir, dass sich Leistung eben nicht lohnt. Im Gegenteil: 10 Prozent der Gesellschaft, die 60 Prozent des Vermögens haben, können ihr Geld im Schlaf verdienen. Sie lassen das Geld an den Börsen der Welt für sich arbeiten. Menschen, die für ihre Arbeitsleitung nicht einmal einen würdigen Lohn bekommen, werden jedoch Ihren Spruch „Leistung muss sich wieder lohnen“ nur als zynisch empfinden können.

(Beifall bei der LINKEN - Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Das höre ich in dieser Debatte schon zum zehnten Mal!)

Wer will, dass sich Leistung wieder lohnt, der muss wirklich um gesetzliche Mindestlöhne kämpfen und leistungslose Spekulationsgewinne kräftig besteuern. Anders ist Gerechtigkeit nicht zu haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieser Haushalt ist ungerecht, weil er Armut schafft. Sie bekämpfen nicht die Armut, sondern Sie schaffen neue Armut. Es ist doch ein unglaublicher Vorgang, dass die Bundesregierung bis heute nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen, was Hartz IV betrifft, umgesetzt hat.

(Karl Schiewerling (CDU/CSU): Was erzählen Sie da? Natürlich haben wir das umgesetzt!)

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass die Ermittlung der Hartz-IV-Regelsätze verfassungswidrig ist. Unsere Fraktion hat der SPD und den Grünen angeboten, gemeinsam gegen diesen Verfassungsverstoß zu klagen. Leider haben diese Fraktionen das abgelehnt. Das ist schade, aber man kann ja einen zweiten Anlauf nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sogenannte Bildungspaket kommt nicht einmal bei der Hälfte der Menschen an, die darauf einen Anspruch haben. Der Mehrheit wird also ein Teil des Existenzminimums vorenthalten. Besonders bedrückend finde ich aber, dass dieses sogenannte Teilhabe- und Bildungspaket in vielen Fällen sogar eine gegenteilige Wirkung hat. Bedürftige Kinder bekommen in vielen Kommunen kein kostenloses Mittagessen mehr. Die Eltern müssen jetzt, egal ob sie die bürokratischen Hürden dieses Pakets überwunden haben oder nicht, einen Zuschuss bezahlen, weil es ja das Bildungspaket gibt. Damit verschlechtert sich in der Realität die Situation armer Kinder. Das ist nicht gerecht! Das ist nicht christlich! Das ist einfach nur beschämend, Frau von der Leyen!

(Beifall bei der LINKEN - Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Weil diese Eltern ihrer Verantwortung nicht nachkommen!)

- Der Zwischenruf zur Verantwortung ist sehr schön. Den nehme ich gerne auf. Sie und Frau von der Leyen an der Spitze entwickeln geradezu einen missionarischen Eifer, arme Menschen erziehen zu wollen, anstatt ihnen zu helfen.

Ich frage Sie: Warum sind Sie eigentlich so gleichgültig und nachsichtig gegenüber dem gierigen Verhalten von einigen wenigen Spekulanten? Warum kommt da Ihr missionarischer Eifer nicht durch, Frau von der Leyen?

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Dafür ist ihr nicht Ministerium zuständig!)

- Auch diesen Zwischenruf nehme ich gerne auf, Herr Kollege. Als Volksvertreter, auch Sie, Herr Abgeordneter, sind wir für die gesamte Politik zuständig. Ich glaube, vielen in der CDU ist schon aufgefallen, dass sich Frau von der Leyen für vieles in der Politik, für die gesamte Politik zuständig fühlt, was nicht jedem in ihrer Partei gut gefällt. Auch das ist uns aufgefallen.

(Beifall bei der LINKEN)

Kommen wir zurück zum Teilhabe- und Bildungspaket. Eine Mutter muss alle möglichen bürokratischen Nachweise erbringen, um einen 10-Euro-Gutschein für ihr Kind zu bekommen. Dagegen ist es nach Auffassung des Finanzministers gar kein Problem, wenn sich Banker einmal um 55,5 Milliarden Euro verrechnen.

(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Der hat denen den Kopf gewaschen!)

Frau von der Leyen, unter Ihrer Herrschaft sind die Sanktionen gegen Arbeitslose sprunghaft angestiegen. Warum kämpfen Sie in Ihrer Regierung nicht lieber einmal dafür, dass Herr Schäuble endlich gegen diejenigen Sanktionen verhängt, die Schulden in Höhe von 335 Milliarden Euro zu verantworten haben? So viel hat die Finanzkrise laut Berechnung der Bundesbank die deutschen Steuerzahler seit 2008 gekostet. Ich glaube, die Verhältnisse müssen endlich in Ordnung gebracht werden. Wir brauchen keine verschärften Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger, sondern endlich verschärfte Sanktionen gegen diejenigen, die unseren volkswirtschaftlichen Reichtum verspekulieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Abschließend möchte ich einige Anmerkungen zur wachsenden Altersarmut in unserem Land machen. Frau Kollegin Hagedorn ist schon darauf eingegangen. 14 Prozent aller Menschen ab 65 gelten als arm. Wir wollen endlich wieder Renten, die vor Armut schützen. Wir brauchen heute gute Löhne, damit die zukünftigen Rentner einmal eine gute Rente bekommen. Aber was wir jetzt schon brauchen, sind klare Entscheidungen für eine solidarische Mindestrente, die diesen Namen wirklich verdient, damit Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, im Alter nicht arm sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe anfangs die Frage aufgeworfen, ob dieser Haushalt gerecht ist, ob er sozial ist und ob er christlich ist. Ich komme zu dem Schluss: Dieser Haushalt ist ungerecht, er ist unsolidarisch, und christlich ist er schon gar nicht.

Wir lehnen ihn ab.

(Beifall bei der LINKEN)