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Der Abhörskandal von Dresden hat seine Ursachen auch auf der Bundesebene

Rede von Michael Leutert,

Rede zur Einschränkung des Versammlungsrechts durch Massenfunkzellenabfrage

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am 19. Februar dieses Jahres war ich in Dresden. Dort wurde an diesem Tag von vielen Tausenden Bürgerinnen und Bürgern aus Initiativen, Vereinen, Verbänden, Parteien, kirchlichen Gruppierungen und Gewerkschaften der größte Naziaufmarsch Europas zum wiederholten Male verhindert.

(Beifall bei der LINKEN)
Das ist eine zivilgesellschaftliche Leistung, auf die wir alle stolz sein sollten.

(Beifall bei der LINKEN)

Leider wurde an diesem Tag nicht nur der größte Naziaufmarsch Europas verhindert; die Polizei hat auch eine der größten Datenabfragen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Dresdens gestartet. Fast 1 Million Handydaten von 330 000 Bürgerinnen und Bürgern das sind ungefähr 10 Prozent der gesamten sächsischen Bevölkerung und zwei Drittel der Dresdnerinnen und Dresdner wurden erhoben. Dabei spielte es keine Rolle, wer erfasst wurde. Es wurden Unbeteiligte erfasst. Es wurden Demonstranten, Anwälte, Journalisten, Ärzte sowie Mitglieder der Landtage und des Bundestags erfasst.
Diese Vorgehensweise bei der Erhebung der Datensätze durch die Funkzellenabfrage ist ein klar rechtswidriger Akt, und zwar aus zwei Gründen. Der erste Grund ist: Eine Funkzellenabfrage ist in gewissem Sinne eine digitale Rasterfahndung. Die digitale Rasterfahndung ist deshalb hochproblematisch, weil sie in bestimmte Grundrechte ich nenne nur die Unschuldsvermutung als Beispiel eingreift. Sie ist daher nur bei schwersten Verbrechen vorgesehen dies hat der Gesetzgeber klar definiert : bei Mord, Totschlag, Kinderpornografie, Hochverrat oder Terrorismus. Ich frage Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was haben friedliche Proteste gegen Nazis mit diesen Kriterien zu tun? Was hier passiert ist, ist nichts anderes als eine beispiellose Kriminalisierung antifaschistischen Engagements.

(Beifall bei der LINKEN)

Die zweite Rechtswidrigkeit, die hier begangen wurde, ist: Wir wissen mittlerweile, dass die Funkzellenabfrage schon am 18. Februar begonnen wurde, sozusagen präventiv eingesetzt wurde. Das ist wiederum ein klarer Rechtsbruch. Wir wissen mittlerweile auch, dass Gespräche abgehört und SMS mitgelesen wurden.

Wir befassen uns heute im Bundestag damit, weil es sich nicht um eine rein sächsische Angelegenheit handelt, sondern weil die Ursachen auch auf Bundesebene zu suchen sind. Ich möchte daran erinnern, dass auf Bundesebene von der Regierung seit Jahren ein Klima geschaffen wurde, das mit dafür sorgt, dass antifaschistisches Engagement in unserer Gesellschaft kriminalisiert wird.

(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Das ist aberwitzig! - Günter Baumann (CDU/CSU): Unverschämt!)

- Hören Sie mir bitte zu! Dann werden Sie es vielleicht verstehen.
Es gibt seit einiger Zeit die sogenannte Extremismusklausel; diese haben Sie durchgesetzt. Das heißt, jede Initiative, die vom Bund Fördergelder für Aktionen gegen rechts haben möchte, muss unterschreiben, dass sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht.

(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Und damit haben Sie Probleme?)

Dies setzt aber die Vermutung voraus, dass Initiativen gegen Nazis nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen könnten. Bis zur Kriminalisierung ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihnen allen liegt der neue Verfassungsschutzbericht vor. Wenn Sie ihn genau lesen, stellen Sie fest, dass insbesondere in Ostdeutschland die Zahl der Straftaten und der Organisationsgrad der Nazis zunimmt. Wenn wir ernsthaft etwas dagegen tun wollen, müssen wir das antifaschistische Engagement in unserer Gesellschaft als Bestandteil ebendieser Gesellschaft stärken. Daher darf es erstens keine weiteren Mittelkürzungen in diesem Bereich geben. Zweitens muss klargestellt werden, dass Instrumente zur Terrorismusbekämpfung nicht gegen zivilgesellschaftliches Engagement eingesetzt werden dürfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Was wäre denn der nächste Schritt, wenn solche Instrumente gegen Antifa-Demonstranten eingesetzt würden? Drittens hoffe ich, dass sich nach den Vorfällen in Sachsen ab sofort die öffentliche Debatte über die Vorratsdatenspeicherung erledigt hat.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN]