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Demokratische Pflicht

Rede von Wolfgang Neskovic,

Die Europäische Einigung stößt im Bundesdeutschen Grundgesetz auf eine Grenze. Das stellte das Bundesverfassungsgericht in seiner Lissabon-Entscheidung fest. Kernbefugnisse des Staates müssen also auf der nationalen Ebene verbleiben. Dazu gehört auch das Strafrecht. Die politische Mehrheit schert das wenig. Im Bundestag ist nun eine Vorlage in der Beratung mit der ein Stück europäisches Strafrecht durch die Hintertür eingeführt werden soll.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger,


mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will die Bundesregierung einen Rahmenbeschluss über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen umsetzen. Sie hat sich mit dieser Umsetzung nach Ablauf der Umsetzungsfrist drei Jahre Zeit gelassen. Das ist kein Grund zur Kritik. Sie hätte sich noch viel mehr Zeit nehmen sollen. Am Besten bis zum St. Nimmerleinstag.


Das Vorhaben ist erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Es widerspricht den Prinzipien von Rechtstaatlichkeit und Demokratie, die in Artikel 20 der Verfassung genannt werden. Es widerspricht damit Prinzipien, die der Ewigkeitsgarantie des Artikels 79 Absatz 3 des Grundgesetzes unterfallen, weil sie gegen alle Änderungen der Nachgeborenen vor Veränderungen geschützt sind.


Sie kennen die Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Danach kann es unter der Geltung des Grundgesetzes keine Vereinigten Staaten von Europa geben. Deshalb verbleiben auch die Kernbefugnisse eines Europäischen Staates bei den Mitgliedsstaaten. Dazu gehört auch das Strafrecht. Ein Europäisches Strafrecht kann es danach nur nach zwei Möglichkeiten geben, die beide völlig außer Blick- und Reichweite liegen.


Erstens: Wir geben uns eine neue gesamtdeutsche Verfassung, die eine weitergehende Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf die EU gestattet. Doch vor einer gesamtdeutschen Verfassung fürchtet sich die Mehrheit dieses Hauses seit der Wiedervereinigung. Sie fürchten den progressiven Gehalt dieser Verfassung.

Zweitens: Alle Staaten der EU würden die an den Grundrechten orientierten Kernelemente und Grundideen unseres Straf- und Strafprozessrechtes übernehmen.


Durch den hier in Rede stehenden Rahmenbeschluss und seine Umsetzung wird aber - wie schon beim europäischen Haftbefehl - europäisches Strafrecht durch die Hintertür eingeführt. Es spielt aber keine Rolle, ob Sie einen grundgesetzwidrigen Bereich nun durch die Hintertür oder durch die Vordertür betreten. Als Gesetzgeber des Grundgesetzes ist Ihnen der Zutritt gleichermaßen untersagt - zumindest solange die sehr unterschiedlichen Rechtsstandards der Mitgliedstaaten im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht im Sinne des bundesdeutschen Grundrechtsschutzes angeglichen worden sind.

Nach dem Gesetzentwurf sollen Geldstrafen und Geldbußen, die in einem anderen Mitgliedstaat verhängt wurden, in der Bundesrepublik wesentlich leichter als bisher vollstreckt werden.


Diese Vollstreckung ist bereits nach dem geltenden Recht möglich. Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen beinhaltet aus gutem Grund hohe rechtsstaatliche Hürden. Diese Hürden schützen die Bundesbürger vor unangemessenen Strafandrohungen und vor der Verfolgung wegen nicht nachvollziehbarer Tatbestände. Diesen unverzichtbaren Schutz will der Entwurf entfallen lassen. Stattdessen soll er innerhalb der EU durch das System der gegenseitigen Anerkennung ersetzt werden.


Es soll ein Prinzip, das für Produkte und Dienstleistung entwickelt wurde, auf die Strafverfolgung von Menschen Anwendung finden. Im Wirtschafsrecht sollte es die (wirtschaftliche) Freiheit der Bürgerinnen und Bürger erweitern. Im Strafrecht soll es nun als Instrument eingesetzt werden, um so den europaweiten Import von Unfreiheiten in die Bundesrepublik zu ermöglichen. Nicht Freiheitsrechte werden also anerkannt, sondern die Befugnis zur Beschränkung der grundrechtlichen Freiheiten. Der Rahmenbeschluss ordnet also die Verkehrsfähigkeit und die damit mögliche Durchsetzung von Unfreiheiten an.


Mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung werden die sehr unterschiedlichen Rechtsstandards und Rechtsgrundsätze in Strafverfahren in den europäischen Mitgliedstaaten als gleichwertig behandelt, obwohl die Anforderungen - etwa an Beweisverfahren, Beweiserhebungen und Beweisverwertungen - sehr unterschiedlich sind.


Unterschiedlich sind auch die Straftatbestände. Es bestehen in Europa erhebliche Unterschiede bei der Beurteilung der Frage, welches Verhalten überhaupt als strafwürdig zu erachteten ist. Nach dem Willen der Entwurfsverfasser soll in siebenunddreißig sehr unbestimmt formulierten Deliktsgruppen bei der Vollstreckung von Geldsanktionen auf die Prüfung der beiderseitigen Sanktionierbarkeit verzichtet werden.


Doch diese Deliktsgruppen reichen von schweren Straftaten, wie zum Beispiel Terrorismus, Menschenhandel, Vergewaltigung und Flugzeugentführung bis zu einfachen Verkehrsdelikten. In dem Katalog der Deliktsgruppen auftauchende Schlagworte wie ”Cyberkriminalität”, ”Fremdenfeindlichkeit” und ”Sabotage” sind - mangels hinreichender Bestimmtheit - allenfalls Karikaturen einer rechtstaatlichen Regelung.


Die Anerkennung und Vollstreckung einer strafrechtlichen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates kann dabei auch zur Folge haben, dass die Bundesrepublik Delikte anerkennt, die sie in der eigenen Rechtsordnung nicht kennt, die ihr Parlament bewusst nicht für strafwürdig befand.


Das ist undemokratisch. Denn der Grundrechtseingriff eines Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern kann nicht auf der Grundlage des Rechts eines anderen Staates vorgenommen werden. Es ist zumindest auf dem Gebiet des Strafrechts eine unverzichtbare Bedingung der Demokratie, dass die Bürgerinnen und Bürger nur solchen Eingriffen in ihre Freiheit ausgesetzt sind, auf deren Regelung sie durch parlamentarische Rechtsetzung Einfluss nehmen konnten. Das erkennt auch das Bundesverfassungsgericht an, wenn es in seiner Lissabon-Entscheidung ausführt: ”Das Strafrecht in seinem Kernbestand dient nicht als rechtstechnisches Instrument zur Effektuierung einer internationalen Zusammenarbeit, sondern steht für die besonders sensible demokratische Entscheidung über das rechtsethische Minimum.”


Die gegenseitige Anerkennung ohne die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit kann aber auch in der Praxis zu ganz absurden Ergebnissen führen. Der Gesetzentwurf sieht - im Ansatz ist dem durchaus zuzustimmen - vor, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat gegen einen Jugendlichen verhängte Geldstrafe in eine Sanktion nach den Vorgaben des Jugendgerichtsgesetzes umzuwandeln ist. Das ist richtig, weil das am Erziehungsgedanken orientierte Jugendstrafrecht die Verhängung einer Geldstrafe gar nicht kennt. Wenn der Jugendliche in einem anderen Mitgliedstaat jedoch wegen eines Verhaltens verurteilt wurde, das die hiesige Rechtsordnung schon nicht als in irgendeiner Form sanktionswürdig betrachtet, dann steht der Jugendrichter vor einem unlösbaren Problem. Er soll mit den Mitteln des Jugendgerichtsgesetzes erzieherisch auf den Jugendlichen einwirken. Aus bundesdeutscher Sicht gibt es jedoch überhaupt nichts zu erziehen


Es gibt nur etwas zu lassen - am Besten gleich den gesamten Entwurf zur Umsetzung des Rahmenbeschluss, der solche Widersinnigkeit ermöglicht. Es droht Ihnen also nicht einmal Ungemach, wenn Sie auf den Bänken der Regierungsfraktion zur Abwechslung mal Rückgrat zeigen würden. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen in seiner Entscheidung zum Europäischen Haftbefehl gleichsam einen Freibrief ausgestellt.


Nie brauchte man so wenig Mut, um so viel Sinnvolles für die Bundesrepublik und die Freiheit ihrer Bürger zu stiften. Die ”Segelanweisung” des Bundesverfassungsgerichts lautet:


„Das Europäische Parlament, eigenständige Legitimationsquelle des europäischen Rechts, wird in dem Rechtssetzungsprozess lediglich angehört (vgl. Art. 39 Abs. 1 EU), was im Bereich der „dritten Säule“ den Anforderungen des Demokratieprinzips entspricht, weil die mitgliedschaftlichen Legislativorgane die politische Gestaltungsmacht im Rahmen der Umsetzung, notfalls auch durch Verweigerung der Umsetzung behalten.“


Das heißt: Sie können auch die Umsetzung schlicht verweigern. Sie haben also eine demokratische Pflicht, die Zweckmäßigkeit und Rechtsmäßigkeit eines Rahmenbeschlusses selbst zu prüfen und sind dann auch in der Lage, seine Umsetzung zu verweigern.


Kommen Sie dieser Pflicht also nach! Dafür sind Sie alle gewählt worden.


Ich danke Ihnen.