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Demokratische Kontrolle duldet keine kontroll - und rechtsfreien Räume

Rede von Wolfgang Neskovic,

Die bisherige Kontrolle durch das PKG ist nicht mehr als ein parlamentarisches Feigenblatt für die Tätigkeit der Nachrichtendienste. Neun Parlamentarier sollen einen Apparat mit insgesamt ca. 10000 Mitarbeitern kontrollieren. Obwohl vom Volk direkt gewählt, dürfen sie weniger wissen als jene. Von Rechtsbrüchen erhalten sie in der Regel nur aus der Presse Kenntnis. Eine Reform der parlamentarischen Kontrolle verdient diesen Namen deshalb nur, wenn kontrollfreie Räume geschlossen und wirksame Sanktionen gegen Informationsunterdrückung und Rechtsbruch eingeführt werden! Wolfgang Neskovic in der Debatte um eine wirksamere Kontrolle der Geheimdienste.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der britische Philosoph und Mathematiker Isaac Newton sagte einmal: Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean. Sie werden erahnen, warum ich diesen Einstieg wähle. Ich meine, das Zitat klingt heute wie eine treffende Bestandsaufnahme in Hinblick auf den Kenntnisstand des Parlamentarischen Kontrollgremiums bei den Aktivitäten der Nachrichtendienste in den letzten Jahren. Auf die nötige Spitze getrieben lässt sich sagen: Wenn wir im Gremium überhaupt etwas wissen, haben wir es in allererster Hinsicht einer investigativen Presse, in allerletzter Hinsicht unserem Privileg, im Parlamentarischen Kontrollgremium vom Dienst persönlich und direkt informiert zu werden, zu verdanken. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das glaube ich gern!) Die wichtigste Informationsquelle eines Mitgliedes des PKGr ist - Herr Körper hat es neulich selbst im „Spiegel“ gesagt - die Tages- und Wochenpresse, so wie sie jedem Bürger dieses Landes zur Verfügung steht. Wenn Sie also etwas über die momentane Kontrolldichte beim Parlamentarischen Kontrollgremium erfahren wollen, müssen Sie eigentlich nur Zeitung lesen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dann können Sie sich ausmalen, ob die Mitglieder des PKGr gerade etwas nachzufragen haben oder im Augenblick eher zu einer gemächlichen Arbeitsatmosphäre verurteilt sind. Selbst wenn wir etwas nachzufragen haben, beginnt eine Irrfahrt wirkungsloser Kontrolle. Dead reckoning - zu deutsch: unsicheres Schätzen - nannte man zu Lebzeiten Newtons eine Methode der Bestimmung der Position auf den Weiten des Ozeans, weil sie in der Regel nutzlos war und nicht selten böse endete. Unsicheres Schätzen vollzieht sich heute, wenn ein neunköpfiges Gremium der Regierung bei der Überwachung von etwa 10 000 Mitarbeitern hinterhernavigiert. Wir wissen in der Regel nicht, was diese 10 000 Mitarbeiter gerade tun. Wir wissen viel zu wenig über die Arbeitsweise der Geheimdienste, über ihre innere Struktur. Durch die bloße Wahl in das Parlamentarische Kontrollgremium wird der Abgeordnete nicht automatisch zu einem Geheimdienstexperten. (Beifall bei der LINKEN - Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie sicher nicht! - Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt auch Ausnahmen, Herr Neškovi?!) Dennoch segelt er ohne Mannschaft und zudem ohne Stellvertreter. Die Kontrolle des Gremiums erstreckt sich nur auf das Material, das man ihm zur Verfügung stellt. Mit anderen Worten: Der zu Kontrollierende bestimmt das Ausmaß der Kontrolle. (Beifall bei der LINKEN) Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean. Dummerweise sind wir als Parlamentarier - ob wir wollen oder nicht - für den ganzen Ozean zuständig; denn im Bereich geheimdienstlicher Tätigkeit darf es keine kontrollfreien Räume geben. Darum geht es. Die Demokratie darf keine kontrollfreien Räume dulden. (Beifall bei der LINKEN) Mit unserer Wahl zum Abgeordneten ist uns zugleich die Verpflichtung übertragen, das Handeln der Exekutive und damit auch die Tätigkeit der Geheimdienste dauerhaft, umfassend und effektiv zu kontrollieren. Für die Erfüllung dieser Aufgabe ist das bestehende Kontrollgremiumsgesetz eine völlig unzureichende Grundlage. Wir brauchen - ich sage das im Ernst - eine ernsthafte, aufrichtige, informierte und gutwillige Diskussion darüber, also das, was ich insbesondere im Rechtsausschuss schmerzlich vermisse: einen Diskurs im habermasschen Sinne. Der Gesetzesantrag der FDP bildet hierfür eine Grundlage. Er geht allerdings nicht weit genug. Eine sichere Navigation in den Untiefen geheimdienstlicher Tätigkeit erfordert weit mehr. Ich nenne Ihnen die wichtigsten Forderungen. Nötig für eine wirksame politische Kontrolle ist stets die Möglichkeit der Sanktion. Kontrolle ohne Sanktion ist wie ein Mast ohne Segel; sie bringt nichts. (Beifall bei der LINKEN) Eine wirkungsvolle Sanktion wäre zum Beispiel die Berechtigung jedes Gremiumsmitgliedes, zumindest Rechtsbrüche öffentlich zu machen. Rechtsbrüche sind nie geheimhaltungsbedürftig! (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Zum anderen meinen wir, dass sich die Kontrollbefugnis auch auf solche Vorgänge beziehen muss, die die partnerschaftliche Zusammenarbeit betreffen. Wenn ein Partnerdienst dem BND Informationen zur Verfügung stellt, dann stellt er sie, um in der Sprache des § 2 b zu bleiben, auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Verfügung. Es widerspricht jeder demokratischen Legitimierung, dass 6 500 Bedienstete des BND über mehr sensible Informationen verfügen dürfen als ein unmittelbar vom Volk gewählter, zur Geheimhaltung verpflichteter Parlamentarier, der zudem von der absoluten Mehrheit des Bundestages in das Gremium entsandt wurde. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber bitter!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Wolfgang Neškovi? (DIE LINKE): Ich bin am Schluss. - Ich habe Ihnen zwei Positionsbestimmungen genannt. Ich werde in der parlamentarischen Beratung weitere benennen, damit wir endlich einen sicheren Kurs setzen können, zu einer effektiven Kontrolle der Geheimdienste. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN)