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Demokratie kontra Finanzmärkte

Rede von Gesine Lötzsch,

Gesine Lötzsch zur Einbringung des Bundeshaushalts durch Finanzminister Wolfgang Schäuble

- Es gilt das gesprochene Wort! -

Dieser Haushaltsentwurf kommt mir vor wie ein antiker Torso:
Es fehlen Arme, Beine und der Kopf; nur der Rumpf ist da. Niemand in diesem Haus weiß, was die Bundesregierung an diesen Torso in den nächsten Wochen noch heimlich anfügen wird. Niemand weiß, welche Banken, welche Casinos über Schattenhaushalte und Rettungsschirme abgesichert werden sollen. Die Haushaltsberatungen sollen den demokratischen Schein wahren, doch eigentlich ist die Bundesregierung dabei, die wichtigste demokratische Institution, den Deutschen Bundestag, auszuhebeln. Die Bundesregierung fühlt sich nicht mehr dem demokratischen Bundestag, der von über 44 Millionen Menschen gewählt wurde, verpflichtet, sondern nur noch den undemokratischen Börsen und nie vom Volk gewählten Rating-Agenturen. Das ist mehr als ein Skandal! Der Finanzminister warnte den Bundestag davor, zu viel Mitspracherecht einzufordern. Das würde Entscheidungsprozesse verlangsamen und ein schnelles Reagieren auf die Finanzmärke unmöglich machen. Allein diese unglaubliche Warnung an das Parlament zeigt, dass diese Bundesregierung jede Achtung vor dem Bundestag verloren hat. Das dürfen wir uns nicht bieten lassen!
Die Bundesregierung wird von den Menschen nur noch als Steuereintreiberin für die Banken und Spekulanten wahrgenommen. Allein die Kosten der letzten Finanzkrise belaufen sich bis jetzt für die Steuerzahler auf 335 Mrd. Euro .- wie die Bundesbank berechnet hat. Das ist mehr als dieser Bundeshaushalt. Meine Damen und Herren von der FDP: In der Vergangenheit haben Sie immer gern behauptet, dass die Beschäftigten das erste halbe Jahr für sich und das zweite halbe Jahr für den Staat arbeiten. Jetzt haben wir bald die Situation, dass die Steuerzahler das zweite. H für notleidende Banken arbeiten. Das werden sich die Menschen nicht mehr lange gefallen lassen. Allein die Nervosität an den Börsen reicht der Bundesregierung aus, Milliarden-Entscheidungen über Nacht zu treffen. Die zunehmende Nervosität der Menschen über die Politik der Bundesregierung auf Ramschniveau – wie Ratingagenturen sagen würden - scheint diese Regierung aber nicht weiter zu stören. Das Parlament darf sich von den Finanzmärkten nicht den Zeittakt vorgeben lassen. Jeder Börsenspekulant kann mit einem Mausklick über Milliarden von Euro in Bruchteilen einer Sekunde entscheiden. Wenn der Finanzminister vom Bundestag verlangt, dass er sich an die Geschwindigkeit der Börsenspekulanten anpasst, dann fordert er nicht mehr und nicht weniger als die Abschaffung der Demokratie!
Hätte die Bundesregierung nach der Finanzkrise von 2008 die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, dann sähe die Welt heute anders aus. DIE LINKE hatte damals vorgeschlagen, die Finanzmärkte zu besteuern, Steueroasen auszutrocknen, gefährliche Finanzinstrumente zu verbieten, Hedgefonds zu regulieren und die Verursacher der Krise zur Verantwortung zu ziehen. Drei Jahre hatte die Kanzlerin Zeit gehabt, um diese Aufgaben abzuarbeiten, doch nichts ist passiert. Und weil die Bundesregierungen ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, rollt jetzt die nächste Finanzkrise auf uns zu. Und wieder wird von den gleichen Leuten argumentiert, dass wir ganz schnell Rettungsschirme für Banken aufspannen müssten und wir dann nach der Krise den Finanzmarkt regulieren könnten. Diesen faulen Tricks sollte nun wirklich keiner mehr glauben. DIE LINKE wird nur dann weiteren Euro-Rettungsmaßnahmen zustimmen, wenn gleichzeitig die Finanzmärkte reguliert und die Verursacher der Krise kräftig zur Kasse gebeten werden. Haushalt 2012
Der Finanzminister freut sich über die Steuermehreinnahmen. Das ist sein gutes Recht, doch nicht sein Verdienst. Die Exporterfolge ist vor allem auf die umfangreichen Konjunkturprogramme der Chinesen und der US-Amerikaner zurückzuführen. Die Bundesregierung war nur Trittbrettfahrer. Frau Merkel; Herr Schäuble, Sie hätten sich Verdienste erwerben können, wenn sie mit Steuererhöhungen für Millionäre die Lücke zwischen Arm und Reich etwas geschlossen hätten.
Sie hätten sich Verdienste erwerben können, wenn sie mit einem gesetzlichen Mindestlohn mehr Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft geschaffen hätten. Die Steuermehreinnahmen durch eine Millionärssteuer, aber auch durch Mindestlöhne hätten alle Kürzungspakete, die vor allem die Armen in dieser Gesellschaft hart treffen, überflüssig gemacht. Nehmen Sie das unsozialen Kürzungspaketes zurück und bitte Sie die Millionäre zur Kasse!
Die Haushaltspraxis der Bundesregierung zeigt, dass Politik nicht mehr gewählt, sondern von Lobbyisten bestellt wird.
Schauen wir uns doch einmal an, was die Lobbyisten alles erreicht haben: Die Finanzmarktlobby hat bis heute eine Finanztransaktionssteuer verhindert. Der Finanzminister hatte schon 2 Mrd. € Einnahmen geplant und musste sie wieder aus dem Haushaltsentwurf streichen, weil angeblich eine europäische Einigung zur Finanztransaktionssteuer nicht möglich war. Doch der Finanzminister hatte doch mit dem Verbot der Leerverkäufe im Jahr 2010 gezeigt, dass Deutschland allein Maßstäbe setzen kann. Andere Länder sind dem deutschen Beispiel gefolgt. Genauso hätten wir schon längst eine europäische Finanztransaktionssteuer, wenn die Bundesregierung mit gutem Beispiel voran gegangen wäre.
Und Herr Schäuble: Sie werden sich doch von der FDP nicht aufhalten lassen! Die Atomlobby muss eine Milliarde Euro weniger Kernbrennstoffsteuer zahlen und die Militär- und Rüstungslobby verhindert die Kürzung von Rüstungsprojekten. Eigentlich sollte ja 1 Milliarde Euro im Rahmen der Bundeswehrreform eingespart werden. Wenn DIE LINKE den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert, dann sagen uns die anderen Parteien immer, dass das ein alter Hut wäre. Der Abzug sei doch so gut wie beschlossen. Wenn ich mir die Haushaltszahlen anschaue, dann habe ich ein ganz anderen Eindruck: Im Haushaltsjahr 2010 waren 831,2 Mio. € für Auslandseinsätze der Bundeswehr eingeplant.
Für 2012 werden durch die Bundesregierung mehr als eine Milliarde € eingeplant. Ich frage Sie, wenn Sie wirklich aus Afghanistan abziehen wollen, warum geben Sie jedes Jahr mehr Geld für Auslandseinsätze aus? Sie wollen nicht abziehen, weil es in Afghanistan nicht um mehr Demokratie geht, sondern um den Erhalt des größten Truppenübungsplatzes für die Bundeswehr und die Rüstungskonzerne. Hören Sie auf damit, weiter das Leben von Soldaten aufs Spiel zu setzen, nur damit weiter die Spenden der Rüstungsindustrie in ihre Parteikassen fließen. Arbeitsmarktpolitik
Frau von der Leyen ist jetzt mit einem absurden Vorschlag zur Euro-Rettung aufgefallen. Offensichtlich ist sie schon wieder auf dem Absprung und sucht neue Herausforderungen in der Finanz- und Europapolitik. Dabei vergisst sie die Arbeit, für die sie vom Bundespräsidenten vereidigt wurde. Frau von der Leyen könnte etwas tun, um eine zunehmende Altersarmut zu verhindern. Sie könnte etwas tun um die Ausdehnung des Niedriglohnsektor zu verhindern. Sie könnte etwas für die Langzeitarbeitslosen und deren Kinder tun. Doch auf all diesen Gebieten ist sie gescheitert, deshalb sucht sie jetzt schon wieder nach einer neuen Aufgabe.
Besonders deutlich wird ihr Scheitern am Beispiel der Bildungsgutscheine. Das ist wirklich ein bürokratisches Monster.
Selbst Sozialministerin Christina Haderthauer (CSU) meint zum Bildungspaket: "Man könnte fast meinen, dass die Ausgestaltung bewusst so kompliziert ist, weil man ja einiges spart, wenn das nicht viele in Anspruch nehmen." Mir wird Himmel Angst, wenn ich jetzt den Vorschlag höre, dass ausgerechnet Frau von der Leyen, die Sozialpolitik in Europa verzahnen möchte. Nein, so stellt sich DIE LINKE nicht eine europäische Sozialpolitik vor. Bevor wir Europäische Bildungsgutscheine á la Leyen einführen, muss sich grundsätzlich etwas in Deutschland und in Europa ändern: Die Politik muss wieder im Interesse der europäischen Völker gemacht werden und nicht im Interesse einer Handvoll Spekulanten. Herr Schäuble, legen Sie alle Karten auf den Tisch, damit wir nicht über einen Haushalts-Torso, sondern über die wirklichen Fakten ernsthaft diskutieren können.