Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Rösler, ich bin es ja von Ihrem Vorgänger gewohnt, dass hier immer relativ fröhlich der Aufschwung und die wirtschaftliche Lage umschrieben wird. So sprach er ja gerne vom XXL-Aufschwung. Dass Sie aber in diesem Tenor weitermachen, finde ich angesichts einer Situation, in der wirklich die Krisenhaftigkeit oder zumindest das Risiko einer nächsten Krise auch hier in Deutschland geradezu mit den Händen zu greifen ist, schon abenteuerlich.
Ebenso abenteuerlich ist es, wenn man übersieht, dass sich nach wie vor der Finanzsektor, der ja am Ende für die Durchfinanzierung der Realwirtschaft verantwortlich ist, in einer hoch krisenhaften Situation befindet, wenn man nicht zur Kenntnis nimmt ansonsten stoßen die Meinungen dieser Leute ja bei Ihnen immer auf offene Ohren , dass Herr Ackermann Ende letzter bzw. Anfang dieser Woche erklärt hat, dass man sich an eine Situation wie im Jahre 2008 erinnert fühlt, oder der Chef der KfW, Schröder - das ist ja schon erwähnt worden -, die Einschätzung vertritt, dass das Risiko höher ist als im Jahr 2008, weil mittlerweile die Staaten als Retter nicht mehr zur Verfügung stehen, und wenn man nicht zur Kenntnis nimmt, dass die neue Präsidentin des Internationalen Währungsfonds, Lagarde, es als großen Risikofaktor benennt, dass die Banken in Europa um mindestens 200 Milliarden Euro unterfinanziert sind. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ein Wirtschaftsminister, der diese Risiken nicht zur Kenntnis nimmt und während der Aussprache hier nicht thematisiert, ist für mich ein Risiko für dieses Land. Wenn man diese Gefahren nicht sieht, besteht nämlich die Gefahr, dass man darauf nicht reagiert.
Jetzt müsste man die Regulierung des Finanzsektors das ist ja in den letzten Jahren immer wieder verlautbart worden wirklich nachholen. Aus unserer Sicht müsste man sogar den ganzen Finanzsektor und damit auch die Banken an die Kette legen. Wir teilen die Auffassung von Ackermann, der vor kurzem selbst formuliert hat, dass er unsicher ist, ob die Banken die Daseinsvorsorge vernünftig organisieren. In der Tat müssen wir dafür sorgen, dass das geschieht. Das ist am ehesten möglich, wenn die Banken unter öffentliche Kontrolle gebracht werden. Die ganzen unnützen Geschäfte, die mit dem Begriff „Kasinogeschäfte“ umschrieben werden, müssen beendet werden, und alle Banken in Deutschland müssen so organisiert werden, wie bereits die Sparkassen organisiert sind. Die Sparkassen sind bekanntlich in öffentlicher Hand und immer die Stützpfeiler der Realwirtschaft gewesen. Für diese Organisation sind wir.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn man sich die realwirtschaftliche Seite, die Verteilungsseite, anschaut, stellt man fest, dass Ihr Blick auf die Realität vollkommen blauäugig ist. Denn der bereits auslaufende Aufschwung war ein Aufschwung, der bei der breiten Masse der Bevölkerung nie angekommen ist. Die Unternehmensgewinne sind in den letzten zehn Jahren, so auch zuletzt, massiv angestiegen; seit 2000 waren es, preisbereinigt, 35 Prozent. Bei den abhängig Beschäftigten haben wir – die Zahl ist schon häufig genannt worden – eine Reallohneinbuße von 4,5 Prozent zu verzeichnen. Das heißt, die Unternehmen haben in den letzten zehn Jahren ihre Gewinne um mehr als ein Drittel steigern können, und die abhängig Beschäftigten müssen heute mit weniger auskommen, und das in einem reichen Land, in dem mit immer höherer Produktivität gearbeitet wird. Das bringt die Ungerechtigkeit auf den Punkt; es ist ein Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein besonderer Skandal ist darüber hinaus, dass die Lohnkürzungen bei den 40 Prozent der Beschäftigten in diesem Lande, die ohnehin am wenigsten verdienen, in den letzten zehn Jahren am massivsten waren. Sie haben Lohnkürzungen in Höhe von 10, 20 und zum Teil mehr Prozent aufoktroyiert bekommen. Es ist wirklich ein riesiger Skandal, wenn diejenigen, denen es am schlechtesten geht, am stärksten zur Kasse gebeten werden.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Lohnquote, also der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, in unserem Land ist beständig gesunken. Anders ausgedrückt, damit das einmal ganz deutlich wird: Wäre der Anteil der Beschäftigten am Volkseinkommen seit 2000 gleich groß geblieben, dann hätten die abhängig Beschäftigten in Deutschland in diesen zehn Jahren 1 000 Milliarden Euro, also 1 Billion Euro, mehr bekommen müssen. Das ist in Euro ausgedrückt der Preis, der hinter dem Lohndumping der letzten zehn Jahre steckt. Es ist ein Skandal, dass die Beschäftigten so schamlos enteignet worden sind; denn das ist es, was in unserem Land passiert ist.
Für diese Politik war natürlich nicht nur die jetzige Regierung verantwortlich, sondern das waren alle Regierungen der vergangenen zehn Jahre. Diese Politik wurde von SPD und Grünen eingeleitet mit der Agenda 2010 mit Befristung, Leiharbeit und den Hartz-IV-Gesetzen, und sie wurde immer von dem Applaus von CDU/CSU und FDP begleitet und weiter fortgesetzt bis heute. Diejenigen, die unter dieser Politik leiden, müssen wissen, dass diese vier Fraktionen dafür verantwortlich sind.
Vor dem Hintergrund ist es kein Wunder, dass die Menschen kein Geld in die Geschäfte tragen und dass sich deshalb der Konsum so schlecht entwickelt.
Grund ist nicht ein vermeintlicher Käuferstreik. Die Rede vom Käuferstreik ist mehr als zynisch. Sagen Sie das einmal jemandem, der vielleicht nur 1 000, 1 100 oder 1 200 Euro verdient! Diese Leute haben keine Sparquote oder eher eine negative.
Die aktuelle Situation ist klar: Die Konjunktur ist bereits am Wegknicken. Alle Frühindikatoren stehen auf rot. Im zweiten Quartal wuchs die Wirtschaft nur um 0,1 Prozent. So ist es offiziell verkündet worden. Schaut man genau hin, stellt man fest, dass sie im zweiten Quartal bereits gesunken ist. Denn ein ganz erheblicher Teil dieses sogenannten Wirtschaftswachstums ging auf den Lageraufbau zurück. Entscheidend für diese Entwicklung ist auch, dass der private Konsum bereits im Minus ist. Das hat sehr viel mit dem Lohndumping zu tun. Deswegen wäre es notwendig quasi als ein Konjunkturprogramm , als Sofortmaßnahme zumindest einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro aufzulegen.
Das zweite große Problem ist aber, dass das Auslandsgeschäft längst schon wegbricht. Das ist natürlich kein Wunder angesichts der Tatsache, dass diese Regierung gerade angetreten ist, in Europa ein massives Sozialkürzungsprogramm aufzulegen. Auf Initiative Deutschlands sind EU-weit Kürzungsprogramme in einem Umfang von 400 Milliarden Euro aufgelegt worden. Da mit der Umsetzung bereits begonnen worden ist, ist es kein Wunder, dass sozusagen die Kunden der deutschen Wirtschaft immer weniger Geld haben, um in Deutschland einzukaufen.
Die deutsche Regierung hat dadurch selbst einen Beitrag dazu geleistet, dem Export einer wichtigen Stütze die Füße wegzuhauen, gleichzeitig aber nicht die Binnennachfrage so zu stärken, wie es notwendig wäre. Denn nach wie vor gelten in Deutschland Gesetze, die es fast verunmöglichen, gegen Lohndumping anzukommen.
Diese Tendenzen müssten umgekehrt werden. Wir bräuchten im Grunde eine Rückabwicklung der gesamten Agenda 2010: Befristungen müssten weg, die Leiharbeit müsste weg, gewerkschaftliche Rechte müssten gestärkt werden und zu guter Letzt ich betone es noch einmal, weil es eine Sofortmaßnahme ist, die schnell umzusetzen wäre : die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 10 Euro. Mit 10 Euro würde nicht nur den Menschen in diesem Lande geholfen; die 10 Euro wären auch ein Beitrag für Europa insgesamt. Das würde Europa voranbringen.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)