Rede (zu Protokoll) im Bundestag am 25. Oktober 2012-10-25; TOP 28
Zweite Lesung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, Drucksache 17/10146 und 17/11184
Still und leise , also ohne Debatte im Bundestag, sollte dieser Gesetzentwurf beschlossen werden. Das hat DIE LINKE weder bei der 1. Lesung am 27. September noch heute zugelassen. Nun gibt es wenigstens zu Protokoll gegebene Redebeiträge der Fraktionen und die Öffentlichkeit kann erfahren, worum es bei dieser Änderung des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) geht.
Als eine Form des Nachteilsausgleiches und zur Verbesserung der Mobilität gibt es das Recht auf (fast) unentgeltliche Beförderung für einige schwerbehinderte Menschen im öffentlichen Personennahverkehr. Dies ist im SGB IX geregelt.
Der vorliegende Gesetzentwurf hat zwei Ziele:
Erstens das Verwaltungsverfahren zwischen Bund, Ländern und Verkehrsträgern zu vereinfachen. Das müßte auch zu Kosteneinsparungen führen. Dagegen ist nichts einzuwenden und den dazu vorgeschlagenen Änderungen stimmt DIE LINKE – wie alle anderen Fraktionen - auch zu.
Zweites Ziel ist, die Eigenbeteiligung der berechtigten Personen durch Erhöhung des Preises der Wertmarke um 20 Prozent (von 60 auf 72 Euro) zum 1. Januar 2013 und weitere Erhöhungen in den Folgejahren durch „Dynamisierung“ zu vergrößern.
Die Begründungen dafür sind zum Teil absurd.
Eine Begründung ist, dass sich die Nutzungsmöglichkeiten erhöht haben, insbesondere durch den seit 2012 von der Deutschen Bahn gewährten erweiterten Bewegungsradius (bisher 50 Kilometer) bei Fahrten mit Nahverkehrszügen. Diese Regelung der Deutschen Bahn (nicht der Bundesregierung) ist die bisher einzige wirkliche Verbesserung seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention am 26. März 2009 für Menschen mit Behinderungen. Und weil sich etwas verbessert, sollen es die Betroffenen mal gleich durch Kürzung der insgesamt viel zu geringen Nachteilsausgleiche bezahlen. Immerhin: Bund und Länder wollen damit ihre jährlichen Einnahmen auf dem Rücken der Betroffenen von rund 45 Millionen auf 55 Millionen Euro erhöhen. Wird damit die angeblich kostenfreie Ausgabe der neuen Schwerbehindertenausweise (im Scheckkartenformat) gegenfinanziert?
Noch absurder ist eine zweite Begründung, nachzulesen in der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (Drucksache 17/11184): „Durch die Erhöhung der Eigenbeteiligung ist zugleich sichergestellt, dass weder der Bund noch die Länder aufgrund dieser Änderungen mit Einnahmeverlusten zu rechnen haben.“ Wie können Verwaltungsvereinfachungen und Bürokratieabbau eigentlich zu Einnahmeverlusten führen?
Für die CDU/CSU, SPD, FDP und die Grünen ist die Erhöhung der Gebühren angemessen und gerechtfertigt. Sicher: 12 Euro mehr oder weniger fallen im Portemonnaies eines Abgeordneten nicht auf. Bei den betroffenen schwerbehinderten Menschen jedoch sehr. Es sind die vielen kleinen Beiträge, die hier zu Buche schlagen. Es sind die Mehrkosten in Folge der Gesundheitsreformen, es sind die überproportional gestiegen Kosten für Miete und Mietnebenkosten, die hohen Benzinkosten, es ist die Absenkung der Grundsicherungsleistungen durch Einführung der Regelbedarfsstufe 3 und es sind für mehr als 580.000 Menschen mit Behinderungen auch die ab 1. Januar 2013 zu zahlenden Rundfunkgebühren.
Deswegen hat DIE LINKE einen Änderungsantrag vorgelegt, mit dem die Gebühren für die Wertmarke in der bisherigen Höhe beibehalten werden soll. Sollte der Änderungsantrag keine Mehrheit finden, werden wir dem Gesetzentwurf in Gänze ablehnen müssen. Bei allem Verständnis für leere öffentliche Kassen – hier soll das Geld an falscher Stelle kassiert werden.