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Bundesregierung verschläft digitalen Wandel

Rede von Halina Wawzyniak,

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Gabriel, Sie haben jetzt in Ihrer 22 Minuten langen Regierungserklärung zum Thema „Zukunftsfähigkeit sichern – Die Chancen des digitalen Wandels nutzen“ für zwei Minuten vier digitale Themen angeschnitten. Ich dachte ja eigentlich, heute käme Digi-Siggi, der Checker des Digitalen. Sie sind aber Analog-Siggi geblieben.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wäre schön gewesen!)

Dieser Umgang mit Chancen des digitalen Wandels ist ein Problem. Wir brauchen - besser gestern als heute - Antworten auf die Herausforderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, und zwar solche, von denen alle profitieren können. Wie Sie mit diesem Thema umgehen, ist wenig zukunftsfähig.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Ach was!)

Dabei steht doch im Jahreswirtschaftsbericht sogar etwas zum Digitalen. Ich sage Ihnen gleich etwas zu dem, was da ab Ziffer 110 steht, nämlich zu Netzneutralität, Störerhaftung und Breitbandausbau.

(Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wichtige Themen!)

-Ja, diese wichtigen Themen kamen ja leider nicht vor.

Dass die Störerhaftung beim Betreiben offener WLAN-Netze das größte Hindernis für die Verbreitung öffentlicher Funknetze ist, gilt als unbestritten. Und dass offene Funknetze hilfreich wären, um Menschen mit geringem Einkommen und Geflüchteten einen Internetzugang zu ermöglichen und innovative Geschäftsideen zu fördern, liegt auf der Hand.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Doch statt die Störerhaftung abzuschaffen, zementieren Sie sie. Grüne und Linke haben einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, dem könnten Sie zustimmen. Wenn Sie uns nicht vertrauen, dann vertrauen Sie dem Arbeitskreis Urheberrecht der SPD-Bundestagsfraktion. Der fordert nämlich, dass WLAN-Anbieter als Zugangsanbieter nicht für Rechtsverletzungen ihrer Nutzer haften, auch nicht im Rahmen der Störerhaftung. Und da hat der Arbeitskreis Urheberrecht der SPD-Bundestagsfraktion recht.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun soll der Telekom erlaubt werden, DSL-Anschlüsse mithilfe des Einsatzes des sogenannten VDSL2-Vectoring an den Hauptverteilern zu beschleunigen. Dumm nur, dass dadurch verhindert wird, dass Konkurrenten der Telekom ihre Technologie einsetzen können

(Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und das verhindert den Glasfaserausbau!)

und ein neues Quasimonopol der Telekom geschaffen wird. Kein Wunder, dass die Mitbewerber überlegen, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Na dann: Viel Spaß!)

Sie geben beim Breitbandausbau veralteten Technologien den Vorrang, anstatt den Glasfaserausbau zu unterstützen. Sie können damit zwar möglicherweise in ein paar Jahren das Erreichen eines niedrigen Ziels verkünden, aber in zehn Jahren stehen wir vor demselben Problem. Sie vertagen die Lösung des Problems und verspielen eine große Chance.

Sie sagen, Sie wollen Start-ups fördern, um endlich einen Gegenpol zum Silicon Valley in Kalifornien zu schaffen. Ein Grundpfeiler für Chancengerechtigkeit kleiner IT-Unternehmen ist aber die Netzneutralität. Doch statt jetzt tätig zu werden und wenigstens das bisschen Netzneutralität aus der EU-Verordnung abzusichern, warten Sie lieber ab und lassen so die Start-ups im Stich. Handeln Sie doch einfach, wie im Antrag der Linken empfohlen. Wenn Sie dann noch etwas für kleine und mittlere Unternehmen machen wollen, dann setzten Sie doch einfach bei öffentlichen Aufträgen auf Open-Source-Software und nicht auf Software großer Konzerne.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über die Veränderungen der Erwerbsarbeitswelt durch Digitalisierung wäre noch viel zu sagen. Ich will nur kurz auf die Situation von Click- und Crowdworkern aufmerksam machen, die sich von einem schlecht bezahlten Auftrag zum nächsten hangeln. Der Mindestlohn greift hier nicht, viele sind selbstständig. Es wäre also an der Zeit, ein Mindesthonorar einzuführen, das allen prekär arbeitenden Selbstständigen zugutekäme.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man darüber spricht, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, könnte man auch über viele andere Themen sprechen, nämlich Datenschutz, Urheberrecht, IT-Sicherheit, Bildung, Weiterbildung, Nachhaltigkeit und Landwirtschaft. Kluge, konkrete und zügige Maßnahmen würden dabei helfen, die Chancen der Digitalisierung so zu nutzen, dass alle davon profitieren. Aber, wir haben es gehört, diese Regierung hat nicht einmal Ideen, geschweige denn einen Plan, den man umsetzen könnte.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)