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Bundesregierung und EU scheitern bei Krisenbekämpfung

Rede von Alexander Ulrich,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, Sie haben heute sehr viel über eine werteorientierte Außenpolitik geredet. Letzte Woche konnte ich Sie nach Japan und China begleiten; es war eine sehr interessante Reise. Aber angesichts dessen, dass wir in dieser Woche auch über Werte in der deutschen Politik reden, sollten Sie sich natürlich ein bisschen daraufhin überprüfen lassen, dass Politik in Deutschland nicht käuflich wird.
(Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Das musste ja mal wieder gesagt werden!)
Denn dann könnte man auch im Ausland noch stärker für eine Werteorientierung werben. Ganz nebenbei, die FDP könnte einen guten Zug machen dann wäre die Werteorientierung wieder vorhanden : Um von diesem schlechten Beigeschmack wegzukommen, sollte sie die Spende in Höhe von 1,1 Millionen Euro an die FDP nach Haiti weiterleiten.
(Beifall bei der LINKEN Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Wir hätten gern die SED-Milliarden gesehen!)
Bei den Haushaltsberatungen im letzten Jahr befanden wir uns noch mitten in der Krise. Milliarden von Steuergeldern wurden zur Rettung von Banken ausgegeben. Heute, ein Jahr später, ist die Krise noch lange nicht vorbei. Aber die Banken zocken schon wieder, als wäre nichts passiert.
Was tun die Bundesregierung und die EU-Kommission, um diese hochriskanten und teilweise kriminellen Finanzgeschäfte zu unterbinden? Eigentlich nichts. Ein Verbot von Hedgefonds wie vor 2005 Fehlanzeige. Sanktionen gegen Steueroasen Fehlanzeige. Ein Zwang zur stärkeren Unterlegung von riskanten Investments mit Eigenkapital Fehlanzeige. Eine Rückkehr zur gesetzlichen Rente Fehlanzeige. Auch bei der Finanztransaktionsteuer versteckt sich die Regierung hinter dem Abwarten auf den IWF-Bericht, anstatt sich klar für eine europaweite Einführung dieser Steuer auszusprechen.
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Haben Sie das falsche Redekonzept?)
Warum tut die Regierung angesichts der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 30er-Jahren nichts gegen kriminelle Finanzgeschäfte?
(Hellmut Königshaus (FDP): Wir sind hier in der Außenpolitik!)
Nun, dafür gibt es zwei Erklärungen: Die Regierung glaubt, die Finanzmärkte funktionieren; man müsse sie nur besser beaufsichtigen. Stellen Sie sich vor: Eine Bank öffnete nachts die Türen und den Tresor, aber installierte mehr Kameras in der Hoffnung, so Bankräuber abzuhalten. So viel Naivität möchte selbst ich der Regierung nicht unterstellen.
Oder die Regierung dient nicht der Bevölkerungsmehrheit, sondern Herrn Ackermann und seinen Freunden.
(Zuruf von der FDP: Zum Thema!)
Entscheiden Sie selbst!
(Beifall bei der LINKEN)
Die neue europäische Aufsicht wird kleinteilig und damit machtlos. Es gibt eine für Wertpapiere und eine für Versicherungen. Die EZB hat im Rat für Systemrisiken den Hut auf. Dies alles findet natürlich hinter verschlossenen Türen statt. Kein Parlamentarier, kein Bürger wird erfahren, welche Risiken in der Wirtschaft existieren und warum. Dabei geht es doch angeblich um mehr Transparenz und das Wohl der Allgemeinheit. Wann immer es an der Börse kracht, wird die EZB nicht die Spekulanten an die Leine nehmen, sondern die Zinsen hoch setzen. Damit beendet man aber keine Spekulation auf einzelnen Märkten, sondern würgt die komplette Wirtschaft ab.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Auch die regierungsnahe Aufsicht, etwa die BaFin, hat nicht funktioniert; denn es fehlte erstens an Regeln, zweitens an Mitteln und drittens am Willen. Finanzaufseher waren in Deutschland so etwas wie Bankangestellte, sie waren schlecht informiert und hatten nichts zu melden. Diese Probleme werden nun aber nicht gelöst, sondern verschleppt.
Das Gleiche gilt für die allgemeine Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der EU. Die bisherige Koordination ging schief und die Antwort ist: mehr von den alten falschen Rezepten. Mit der Lissabon-Strategie sollte die EU bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt werden, mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt. Diese Strategie ist grandios gescheitert. Wir befinden uns im Jahr 2010, Herr Westerwelle, aber wir sind nicht der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsraum der Welt, und wir haben auch nicht mehr Arbeitsplätze, sondern weniger, bessere schon gar nicht. Wir haben im Jahr 2010 keinen größeren sozialen Zusammenhalt, sondern mehr Armut und mehr soziale Ausgrenzung.
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Sie haben das falsche Manuskript!)
Dazu hat in Deutschland ganz wesentlich die Umsetzung der Agenda 2010 beigetragen. Hartz IV, der Kern dieser Agenda, hat die Umverteilung von unten nach oben massiv verstärkt, eine Politik, die die jetzige Bundesregierung nahtlos fortsetzt.
(Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Bei welchem Einzelplan sind wir gerade?)
Scheinbar kapieren Sie nicht, dass Europapolitik immer auch Innenpolitik ist. Das müssen wir auch der FDP endlich beibringen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Lissabon-Strategie ist grandios gescheitert. Was passiert? Denkt man darüber nach, was an der alten Strategie falsch war? Denkt man darüber nach, ob Wettbewerbsfähigkeit alleine wirklich ein sinnvolles Ziel ist? Denkt man darüber nach, ob die Instrumente vielleicht einfach nicht geeignet waren? Die Antwort ist Nein. Die öffentliche Konsultation der Kommission dauerte nicht einmal acht Wochen, und auch die bisherigen Entwürfe der neuen Agenda 2020 lassen nichts Gutes erwarten.
Es muss endlich Schluss sein mit der Politik der Deregulierung, Flexibilisierung und Privatisierung. In der EU muss endlich wieder der Mensch in den Mittelpunkt gestellt werden und nicht die Rendite.
(Beifall bei der LINKEN)
Es reicht nicht, wenn man dieses Jahr zum „Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ ausruft. Herr Westerwelle, Sie haben sehr wenig zum Thema Europa gesagt. Sie haben auch wenig über dieses „Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ gesagt. Das passt auch; denn Armut und der Kampf gegen Armut ist kein Thema für die FDP.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir brauchen keine Sonntagsreden, wir brauchen Taten. Das heißt: Wir brauchen dringend die soziale Fortschrittsklausel. Binnenmarktfreiheiten dürfen die erkämpften sozialen Grund- und Arbeitnehmerrechte in den Mitgliedstaaten nicht aushebeln. Gewerkschaften zu Schadenersatz zu verklagen, wenn sie gegen Lohndumping kämpfen wie bisher fast unbemerkt infolge des Laval-Urteils geschehen , ist absolut inakzeptabel.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir, Die Linke, werden weiterhin für eine solidarische, friedliche und nachhaltige EU kämpfen. Dies ist übrigens nicht antieuropäisch, sondern zutiefst europäisch; denn wenn die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Bürgerinnen und Bürger nicht endlich ernst genommen werden, dann wird die europäische Idee scheitern.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Sie wollen nur mit Sahra Wagenknecht Hummer essen!)