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Bundesregierung legt Jahresstagnationsbericht vor

Rede von Herbert Schui,

Rede von Dr. Herbert Schui zum Jahreswirtschaftsbericht 2006 der Bundesregierung und zum Jahresgutachten 2005/06 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung und die Koalition haben ihren jüngsten Jahresstagnationsbericht vorgelegt, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) wenngleich mit außerordentlich optimistischem Unterton, optimistisch präsentiert, mit einer ganzen Menge von Beschwörungsformeln, mit gegenseitigem Schulterklopfen und vielem anderen mehr. Die Zukunft wollen Sie gestalten. Das bedeutet dechiffriert: Trotz steigender Arbeitsproduktivität soll der Bruttolohn und damit der Lebensstandard der großen Mehrheit der Bevölkerung sinken. Damit haben Sie gesagt, welche Zukunft Sie für die meisten von uns vorgesehen haben. Das von Ihnen prognostizierte Wirtschaftswachstum in Höhe von 1,4 Prozent beruht auf zwei Ursachen: zum einen auf der Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen, zum anderen auf dem Wachstum der Exporte. Sie werden mit mir sicherlich darin übereinstimmen, dass die Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen nicht anhalten wird. Zum einen sind es - das ist schon häufig gesagt worden - nichts weiter als vorgezogene Ersatzinvestitionen, die ohnehin irgendwann einmal fällig geworden wären, zum anderen ist die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank nicht gerade geeignet, einen Investitionsschub auszulösen. Schließlich gibt es gegenwärtig keine revolutionären Produktionstechniken, die Motiv für eine wirkliche Investitionskonjunktur sein könnten. Es bleibt also nichts weiter als der Export. Dieser Export ist aber deswegen sehr gefährdet, weil der Export Deutschlands Handelsbilanzdefizite bei unseren Handelspartnern hervorruft. Dieser Export könnte dann dauerhaft sein, wenn Deutschland so viel importieren würde, wie es exportiert; er könnte dann dauerhaft sein, wenn die Inlandseinkommen, die Bruttolöhne und Gehälter, so hoch wären, dass so viele Importgüter gekauft würden, dass keiner unserer Handelspartner ein Defizit mit Deutschland realisiert. (Beifall bei der LINKEN) Weil diese Defizite realisiert werden, müssen die Defizitländer über kurz oder lang eine wachstumsdämpfende Politik einleiten. Wenn sie ihr Wachstum bremsen, um weniger im Ausland zu kaufen, dann bedeutet das natürlich, dass diese Exportstütze, diese Wachstums- und Konjunkturstütze, endgültig perdu ist. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass die Vereinigten Staaten in der langen Frist ihr Außenhandelsdefizit von mehr als 600 Milliarden US-Dollar aufrechterhalten werden. Sie werden vorher eine wachstumssenkende Politik einleiten, damit die Importe aus den starken Exportländern wie Deutschland zurückgehen. Insgesamt ist die Konzeption propagandistisch, falsch und ideologisch. Wenn nämlich der Export die einzige Konjunkturstütze ist, dann, so wird stets argumentiert, müssen wir wettbewerbsfähig im Ausland bleiben. Wettbewerbsfähig im Ausland können wir nur bleiben - so argumentiert man weiter -, wenn die Löhne niedrig sind. Das bedeutet aber, dass die Vorteile einer internationalen Arbeitsteilung, von denen in den Lehrbüchern die Rede ist und die auch in Ihren Sonntagsreden hervorgehoben werden, sich in der allgemeinen Wahrnehmung als Bedrohung durch den Weltmarkt darstellen. Der internationale Warenaustausch und die internationale Arbeitsteilung sind eben so organisiert, dass der Einzelne nicht davon ausgehen kann, dass wir alle davon profitieren. Das, was Sie Globalisierung nennen, ist in der Tat bedrohlich. (Beifall bei der LINKEN) In einer überschaubaren Frist wird es also nicht zu einer Verbesserung der Lage kommen. Damit Ihr nächster Jahreswirtschaftsbericht wirklich wieder ein Stagnationsbericht wird, haben Sie mittlerweile beschlossen, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Erhöhung der Mehrwertsteuer bedeutet, dass dem privaten Sektor zunächst rund 24 Milliarden Euro entzogen werden. Über die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung werden ihm 8 Milliarden Euro zurückgegeben. Dem privaten Sektor werden unter dem Strich also 16 Milliarden Euro genommen. Diese 16 Milliarden Euro gibt der Staat aber nicht zusätzlich aus; denn es ist das erklärte Ziel, dass die Ausgaben nicht wachsen und die Neuverschuldung die 3-Prozent-Grenze nicht überschreitet. Infolgedessen haben Sie ein Nachfragesenkungsprogramm aufgelegt. Dieses Nachfragesenkungsprogramm wird nach überschlägigen Rechnungen in einer ersten Runde einen Wachstumsverlust von wenigstens 0,8 Prozentpunkten bedeuten. Das heißt, wenn Sie zurzeit für das Jahr 2007 von 1,5 Prozent Wachstum ausgehen, dann werden Sie bei 0,7 Prozent Wachstum landen. Diese Minderung der Ausgaben hat Folgewirkungen: Wenn weniger ausgegeben wird, nehmen andere Leute weniger ein und geben auch weniger aus. Das verstärkt die negativen Wirkungen. Nach etwa 18 Monaten werden sich diese kumulierten negativen Wirkungen auf das Wachstum auf ungefähr 1,2 Prozentpunkte belaufen. Sie werden dann irgendwelche mythischen Argumente finden müssen, um dennoch neuen Optimismus zu verströmen. Ich bin gespannt, welche Beschwörungsformel dann an der Reihe ist. Herr Bundesminister Glos hat vorhin eher beiläufig gesagt, das niedrige Wachstum in Deutschland liege an der niedrigen Geburtenrate. Wahrscheinlich werden Sie die künftige Argumentation mehr darauf stützen. Alle, die bei der so genannten bürgerlichen Mitte und rechts davon anzusiedeln sind, neigen nicht zur Analyse, wohl aber zu biologistischen Erklärungen. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN)