Klaus Ernst (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben eben einen Auftritt unseres Wirtschaftsministers erlebt, bei dem ich den Eindruck bekommen musste, dass das eine oder andere, was er uns mitgeteilt hat, ganz vorsichtig ausgedrückt, zumindest nicht zu Ende gedacht ist. Herr Brüderle, Sie behaupten, Deutschland sei gut aufgestellt. Gleichzeitig reduzieren Sie Ihre Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung, in der Sie noch vor kurzem von 2 Prozent Wachstum ausgegangen sind. Wie passt das zusammen? Sie müssen Ihre Prognose nach unten korrigieren, weil Sie merken, dass Ihre ökonomischen Vorstellungen nicht aufgehen.
Eine Analyse der Krise bleiben Sie uns schuldig. Sie sagen so richtungsweisende Sätze wie: Nur wenn wir Innovation als Chance begreifen, hat Innovation in Deutschland eine Chance. Nachts ist es dunkler wie draußen, Herr Brüderle.
(Heiterkeit bei der LINKEN)
Solche Sätze bringen uns nicht weiter. Eine Analyse der Krise fehlt nach wie vor. Ich will Ihnen sagen, was an Analyse fehlt: Es fehlt, dass Sie feststellen, dass eine Ursache dieser Krise in der Bundesrepublik darin bestanden hat, dass die Verteilung des Volkseinkommens in der letzten Zeit nicht mehr stimmt. Wenn die Arbeitnehmer beim Lohn keinen Zuwachs mehr haben, wenn letztendlich nur noch diejenigen, die ihr Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen beziehen, Zuwächse zu verzeichnen haben, während der normale Mensch in der Bundesrepublik Deutschland mit Reallohnsenkungen zu rechnen hat und das über Jahre , dann ist klar, dass die Ökonomie nicht mehr funktioniert. Was ist Ihre Idee? Weitermachen wie bisher. Ich kann nicht akzeptieren, Herr Brüderle, wenn Sie weiter auf Flexibilisierung und offene Märkte setzen. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Deregulierung der Finanzmärkte eine Ursache dieser Krise war. Aber dazu kam von Ihnen kein einziges Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch was die Deregulierung der Arbeitsmärkte angeht, Frau von der Leyen, kann ich nicht erkennen, dass Sie einen anderen Weg einschlagen wollen als bisher. Wenn die Deregulierung der Arbeitsmärkte wie die Deregulierung der Finanzmärkte fortschreitet, wenn wir nichts dagegen tun, dass durch Leiharbeit und durch Befristung die Löhne gedrückt werden, wenn Sie sich weigern, einen Mindestlohn einzuführen, dann das ist die Wahrheit ist es doch logisch, dass die Kaufkraft in diesem Lande kein Niveau erreicht, das vernünftiges Wachstum ermöglicht. Aber da unternehmen Sie nichts, Frau von der Leyen; auch Sie, Herr Brüderle, unternehmen da nichts.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben bisher auch nichts dagegen unternommen, dass weiterhin ein großer Teil dessen, was in dieser Wirtschaft erzeugt wird und an Wirtschaftsleistung erbracht wird, letztendlich auf den Finanzmärkten landet. Die Banken zocken; insofern haben Sie recht, wenn Sie sagen: Wir sind gut aufgestellt. Die Banken sind wahrlich gut aufgestellt. Herr Ackermann macht wieder seine Profite. Wenn wir nicht gegensteuern das sage ich Ihnen , beachten Sie eine Grundregel der Ökonomie überhaupt nicht. Das ist die VNKN-Regel, Herr Brüderle: von nichts kommt nichts.
(Heiterkeit bei der LINKEN Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Diese Regel passt zu Ihnen!)
Wenn man das Geld in die Finanzwelt abwandern lässt, wenn man nichts dagegen tut, dass die Banken, die Kredite billigst aufnehmen können, einem normalen Menschen aber 12 oder 13 Prozent Zinsen abverlangen, wenn er sein Konto überzieht, wenn Sie nichts dagegen tun, dass die Mittelständler, selbst wenn sie bei den Banken um Kredite betteln, keinen Kredit bekommen, weil die Banken mit dem Geld an den Finanzmärkten mehr verdienen können, als wenn sie es dem Mittelstand als Kredit geben, dann werden Sie Ihrer Aufgabe als Wirtschaftsminister nicht gerecht, Herr Brüderle.
(Beifall bei der LINKEN Ernst Hinsken (CDU/CSU): Von Tuten und Blasen keine Ahnung!)
Jetzt sage ich Ihnen, was notwendig wäre, um das zu ändern.
(Arnold Vaatz (CDU/CSU): Jetzt sind wir gespannt!)
Ja. Wir brauchen eine Stärkung der Binnennachfrage. Diese Stärkung der Binnennachfrage erreichen wir nur dadurch, dass wir uns das Erfolgsmodell Deutschland, das wir einmal hatten, zumindest in Gedanken tatsächlich wieder vor Augen führen. Worin bestand das denn? Leistung muss sich lohnen.
(Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Hört! Hört!)
Es war selbstverständlich so, dass Produkte aus Deutschland ganz besonders gefragt wurden.
Worin lag die Ursache? Wenn jemand bei uns in der Bundesrepublik mehr Geld verdienen und als Unternehmer innovativ sein wollte, dann musste er sich etwas einfallen lassen. Er musste darüber nachdenken, welche neuen Produkte er einführt und welche neuen Verfahren er möglicherweise praktiziert.
(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das gilt heute genauso!)
Eines ging nämlich nicht: einfach die Löhne nach unten drücken oder die Arbeitszeiten verlängern. Das war entsprechend geregelt. Wenn Sie das aber nun vernachlässigen, dann heißt das in der Konsequenz: Erfolgreiche Innovationen sind nicht mehr gefragt, und es ist nicht notwendig, sich über neue Verfahren Gedanken zu machen, weil ein Unternehmer nun einfach die Löhne nach unten senken oder die Arbeitszeiten verlängern kann.
Unser Erfolgsmodell Deutschland hing davon ab, dass es geregelte Arbeitsbeziehungen gab, aufgrund derer es nicht möglich war, mehr Geld zu verdienen, indem man die Leute mehr quälte. Diese Ebene haben Sie verlassen,
(Beifall bei der LINKEN Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Was erzählen Sie denn hier für einen Unsinn? Das gibt es doch überhaupt nicht!)
indem Sie zum Beispiel keine Regeln für Mindestlöhne aufstellen, indem Sie die Gewerkschaften massiv geschwächt haben, indem es nach wie vor kein vernünftiges Streikrecht gibt und indem Sie letztendlich flexible Arbeitsmärkte es geht zum Beispiel um Leiharbeit, Befristungen und Ähnliches nicht vernünftig regeln.
Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie für all das jetzt nicht sorgen, dann bereiten Sie jetzt die nächste Krise vor. Wenn Sie sich weigern, Regelungen dafür zu treffen, dass das Geld in die Realwirtschaft fließt und nicht in die Finanzmärkte abwandert, dann bereiten Sie die nächste Krise vor.
Herr Brüderle, es kann ja sein, dass Sie Ihre Brüderles in den Banken und Ihre Brüderles bei den Hoteliers damit möglicherweise gut bedenken,
(Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Das ist doch nicht Ihr Ernst, Herr Ernst!)
aber ich kann Ihnen sagen: Es ist nicht akzeptabel, dass Sie sich kurz vor einer Wahl in Nordrhein-Westfalen hier hinstellen, und Steuergeschenke verteilen, die letztendlich auf einer neuen Rechenart beruhen; denn es ist ja eigentlich nicht möglich, bei sinkenden Einnahmen mehr Geld auszugeben. Wenn Sie so verfahren, sagen Sie den Bürgern dieser Republik und insbesondere denen in Nordrhein-Westfalen nicht die Wahrheit. Die Wahrheit werden Sie aber präsentieren müssen, spätestens dann, wenn der Finanzminister wieder da ist. Er wird Ihnen nämlich vorrechnen, dass man Geld nur dann ausgeben kann, wenn man es hat. Er ist nämlich Schwabe, Herr Brüderle, und nicht aus der Pfalz.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Damit komme ich zum Schluss. Ich finde es absolut inakzeptabel, dass, wenn wir hier Vorschläge machen, permanent die Rede davon ist, die Linke würde Luftnummern verbreiten und könne nicht rechnen. Herr Brüderle, das, was Sie hier vorgelegt haben, ist nichts anderes als eine Luftnummer. Ich kann Ihnen sagen: Die Bürger werden das merken. Deshalb liegen auch Ihre Umfragewerte im Keller.
Ich danke fürs Zuhören.
(Beifall bei der LINKEN - Ernst Hinsken (CDU/CSU): Eine Rede voller Widersprüche! Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Ihre Rede war eine Luftnummer!)