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Brigitte Freihold: Gedenkstätte Treblinka als außenpolitische Verantwortungsübernahme

Rede von Brigitte Freihold,

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wesentliches Element der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist die Förderung erinnerungspolitischer Bildungsarbeit. Rechtspopulismus und Nationalismus in Europa fordern durch Relativierung und Verharmlosung der Shoah die Erinnerungsarbeit heraus und stellen die deutsche Verantwortung infrage. Unsere Erinnerungskultur ist in der Krise. Sie war schon immer brüchig. Sie musste mühsam von unten erkämpft werden. Der vermeintliche Konsens war das Resultat einer homogen gedachten Gesellschaft, die viele Perspektiven der NS-Verfolgten ausschloss. Es liegt an uns, Rahmenbedingungen für nachhaltige Erinnerungsarbeit zu schaffen.

Die Wiederentdeckung des Totalitarismusparadigmas ist genau der falsche Weg. Es befördert die Banalisierung im deutschen wie im europäischen Gedächtnisdiskurs. Die universelle Bedeutung der Shoah und des Holocaust an Sinti und Roma kann nicht in der Meistererzählung einer zweifachen Diktaturüberwindung durch den Mauerfall reflektiert werden. Dies banalisiert Ausmaß und Singularität der NS-Menschheitsverbrechen,

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

stärkt die Betonung des Nationalen und befördert Erinnerungs- und Opferkonkurrenz. Demokratie muss qualitativ bestimmt werden, damit Erinnern und Gedenken als Quelle anhaltender gesellschaftlicher Irritation zu aktiver demokratischer Teilhabe motivieren kann.

Die Bundesregierung sollte die Gefahren einer solchen verklärten Geschichtsgemeinschaft auf europäischer Ebene endlich erkennen. Die Deutschen dürfen sich nicht anmaßen, andere bei der Erinnerung an die deutschen Verbrechen zu belehren und sich bei der eigenen Verantwortung partiell zu entlasten,

(Beifall bei der LINKEN)

wie jüngst anlässlich des Holocaustgedenktages geschehen.

Die Aufarbeitung des NS ist in Deutschland weder vollendet noch bewältigt. Deutschland drückt sich um einen Beitrag für die Erweiterung und die Sanierung der Gedenkstätte des ehemaligen deutschen Vernichtungslagers Treblinka, ähnlich bei der Unterstützung des Engagements der Rabbinerkommission in Polen bei der Identifizierung von Unbekannten-Grabstätten von Opfern der Massaker der Aktion Reinhardt. Es fehlt ein ganzheitliches Konzept zur Vertiefung des deutsch-polnisch-jüdischen wissenschaftlichen Austauschs und der Forschung im Erinnerungsbereich. Hier wären insbesondere Untersuchungen über die systematische Ermordung der Sinti und Roma während der Aktion Reinhardt notwendig.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein substanzieller Beitrag der Bundesrepublik wäre hier nicht nur eine angemessene außenpolitische Verantwortungsübernahme. Er wäre auch Zeichen einer Lehre aus der Vergangenheit, um Antisemitismus, Antiziganismus und die geschichtspolitische Wende von rechts zu bekämpfen.

Deshalb wiederhole ich den Appell des polnischen Holocaustüberlebenden Marian Turski, den ich in Sobibor kennenlernen durfte: „Seid nicht gleichgültig!“

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)