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Birke Bull-Bischoff: Wir brauchen einen neuen Bildungsgipfel gegen Bildungsarmut!

Rede von Birke Bull-Bischoff,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Verlaub, Frau Bundesministerin, Ihre Rede war die einer Märchentante. Ich muss es mal sagen: In welcher Welt leben Sie?

(Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie sich bitte die Anrufe aus Schulen in Ihr Büro durchstellen. Das Chaos an sich ist schlimm genug, aber noch schlimmer ist es, das hier schönzureden. 28 Prozent der Mittel aus dem DigitalPakt sind abgeflossen. Was wäre das eigentlich für eine Schulleistung? Einen Abschluss schaffen Sie auf diese Weise ganz sicher nicht! Um mal den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Herrn Sattelberger und mir zu nennen: Ich hoffe ehrlichen Herzens, dass Sie den Bildungsbericht 2022 nicht mehr kommentieren.

(Beifall bei der LINKEN und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer in Deutschland in armen Verhältnissen groß wird, der kriegt das auch in der Schule zu spüren: wenn das Gebäude der Förderschule noch den Charme von vor 30 Jahren hat, wenn diese Schülerinnen und Schüler in der nahegelegenen Sekundarschule gar nicht gewollt sind, weil – positiv formuliert – das Personal fehlt, wenn sich Eltern mit wenig Geld keinen Laptop, keinen Drucker leisten können, wenn junge Leute mit Hauptschulabschluss nahezu automatisch im Übergangssystem zwischen Schule und beruflicher Ausbildung geparkt werden oder wenn das Gymnasium deshalb verwehrt wird, weil mutmaßlich die Unterstützung im Elternhaus fehlt. Kinder werden in Deutschland platziert, und zwar abhängig von den Verhältnissen, aus denen sie kommen. Meine Damen und Herren, das ist ein jahrzehntelanger Befund, ein jahrzehntelang beschämender Befund.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben kein Erkenntnisproblem. Die Bildungspolitik in Deutschland hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, allen voran die Bundesregierung. Mindestens fünf Punkte fallen mir dazu ein:

Erstens. Die Mangelwirtschaft muss endlich beendet werden: der Lehrermangel, der Mangel an Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern, der Mangel an schönen Schulen und der Mangel an digitaler Infrastruktur.

(Beifall bei der LINKEN)

Hinzu kommt, dass auch in der Bildung gilt: Wer hat, dem wird gegeben. Geld, Ressourcen, öffentliche Aufmerksamkeit und sogar der Mangel selbst sind ungleich verteilt. Lehrermangel ist vor allen Dingen ein Problem von Brennpunktschulen. Alte und baufällige Schulen finden sich vor allem dort, in sozialen Brennpunkten. Digitale Infrastruktur wird vor allem in der dualen Bildung gefördert, nicht aber in den Ausbildungen, beispielsweise bei Trägern der Jugendsozialarbeit oder im Übergangssystem. Geld und Ressourcen müssen stattdessen vor allem dorthin fließen, wo sie am meisten gebraucht werden. Deshalb brauchen wir einen Sozialindex und keinen Königsteiner Schlüssel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweiter Punkt. Frau Giffey, Sie legen ein Kinder- und Jugendstärkungsgesetz vor, aber ohne klare Regelung zur Schulsozialarbeit. Seit Jahren ist klar und unumstritten – sogar bei der Union, und das war nicht immer so, wie die Debatte gezeigt hat –, dass Schulsozialarbeit erfolgreiches Lernen unterstützt. Dennoch bleibt auch diese Erkenntnis folgenlos. Wir bleiben dabei: Schulsozialarbeit muss Regelaufgabe im SGB VIII, im Kinder- und Jugendhilferecht, werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Ich finde, es wäre ein sehr starkes Signal, wenn jetzt ein ernstzunehmendes Programm gegen Bildungsarmut aufgelegt würde.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Geld, Personal und Unterstützung müssen an finanzschwache Kommunen gehen,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

an die, die gebeutelt sind durch Sozialausgaben, durch einen hohen Anteil benachteiligter Kinder. Die Landkreise legen ihrerseits ein Konzept gegen Bildungsarmut vor. Das tun einige Gemeinden und Städte übrigens bereits jetzt, gerade die finanzschwachen, allerdings auf eigene Rechnung.

Viertens. Bildung in einer digitalen Gesellschaft braucht Verlässlichkeit und Sicherheit. Es wurde vielfach gesagt: Wir brauchen ein Recht auf digitale Grundsicherung: Laptop, Drucker, Papier für jede Schülerin, für jeden Schüler. Und wir brauchen jetzt die Regelungen für eine dauerhafte gemeinsame Finanzierung digitaler Infrastruktur – für die Zukunft.

Fünfter Punkt. Das Übergangssystem zwischen Schule und der beruflichen Ausbildung muss reformiert werden; dazu haben wir einen Antrag vorgelegt. Zwei Qualitätskriterien, sagt uns die Wissenschaft, sind dafür entscheidend: Zum einen müssen 50 Prozent der Maßnahme tatsächlich in den Unternehmen, also praxisbezogen, stattfinden, und zum anderen müssen die jungen Leute eine Chance haben, ihren Schulabschluss zu verbessern.

(Beifall bei der LINKEN)

Was müssen wir aus der Krise lernen? Wir brauchen einen Bildungsgipfel. Wir brauchen einen Bildungsgipfel gegen Bildungsarmut.

(Beifall bei der LINKEN)

Erstens muss die Mangelwirtschaft beendet werden. Zweitens gehört die soziale Spaltung abgebaut. Drittens muss Schule endlich zu einem freudvollen, innovativen Ort des Lernens werden, zu einem Treiber von Bildung und Innovation.

Lernanstalten preußischer Prägung – ich sage es ruhig mal so zugespitzt – müssen der Vergangenheit angehören. Neue Schule braucht das Land!

(Beifall bei der LINKEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Bis jetzt die beste Rede!)