Zum Hauptinhalt springen

Birke Bull-Bischoff: Der Mangel darf im Krisenmanagement nicht als Begründung herhalten!

Rede von Birke Bull-Bischoff,

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste bei dem derzeitigen Krisenmanagement ist nicht, die Autoindustrie zu subventionieren, und ebenso nicht, den Militärhaushalt in ungeahnte Höhen zu puschen. Wichtig ist in Krisenzeiten,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Luftfilter!)

alles, und zwar wirklich alles, dafür zu tun, gute Bildung für Kinder und Jugendliche zu sichern, und zwar spätestens ab jetzt, und sozialer Ungleichheit endlich entgegenzutreten.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auch bei der Bildung gilt nämlich: Diejenigen, die ausreichend Geld und Ressourcen haben, kommen relativ gut durch diese Krise, und diejenigen, denen das genau versagt wird, die werden abgehängt. Das, meine Damen und Herren, ist die bittere Bilanz des Krisenmanagements der Bundesregierung.

„SOS“ kommt derzeit aus allen Klassenzimmern. Es fehlt an Lehrkräften, es fehlt an Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern, es fehlt an Räumen, es fehlt an Luftfilteranlagen, an Masken, an Schnelltests, es fehlt an Waschbecken,

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Rufen Sie einmal die zuständigen Landesminister an!)

es fehlt an Griffen, um die Fenster zu öffnen, es fehlt an leistungsfähigem Internet, es fehlt an vernünftigen Geräten und, und, und.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der Bund hat das Geld dafür zur Verfügung gestellt!)

Der Verband Bildung und Erziehung sagt heute: „Die angemessene Ressourcenausstattung der Schulen ist nicht Kür, sondern Pflicht der Politik“.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für alle ist jetzt einmal mehr sichtbar: Deutschland ist eben kein Bildungsland, zumindest nicht gemessen an den Möglichkeiten. Deshalb muss schnellstens gehandelt werden. Mit Verlaub, meine Damen und Herren, da hilft kein „Luftfilterantrag“, und da hilft auch keine „Luftfilterdebatte“.

Erstens. Es muss kurzfristig um den Schutz gehen. Das heißt, wir brauchen Geld dafür, dass Schulen Schutzmasken, idealerweise FFP2-Masken, kaufen können. Öffnen Sie das Förderprogramm des Wirtschaftsministeriums, um für Schulen mobile wie auch installierte Luftfilteranlagen beschaffen bzw. aufrüsten zu können, sodass Schulen eben nicht das letzte Rad am Wagen sind. Momentan sind es 14 – Klammer auf: 14; Klammer zu – Schulen, die davon profitieren.

Stellen Sie Schnelltests zur Verfügung, damit die notwendige Quarantäne beispielsweise verkürzt werden kann, auf wenige Tage begrenzt werden kann. Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte müssen im Impfkonzept – das geht an das Bundesgesundheitsministerium – nicht nur vorkommen, sondern müssen prioritär behandelt werden –, eine Forderung im Übrigen aus dem thüringischen Kultusministerium, von dem dortigen Minister Helmut Holter.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn ich einmal dabei bin: Ich soll mal einen schönen Gruß aus Thüringen sagen, weil die Thüringer wie auch wir echt keinen Bock darauf haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir miteinander in eine Situation geraten, dass am Ende alle Bundesligafußballer durchgeimpft sind, sich aber Schülerinnen und Schüler hinten an der Schlange – Klammer auf: freiwillig; Klammer zu – anstellen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, das geht gar nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder und junge Menschen mit Behinderungen brauchen ganz besondere Aufmerksamkeit, und sie brauchen einen ganz besonders sensiblen Schutz. Das beginnt mit besonderen Kriterien für diese sogenannten vulnerablen Gruppen. Schülerinnen mit Behinderung gehören genau dazu; sie sind genau so zu behandeln wie Menschen, die in Gemeinschaftseinrichtungen als Risikogruppen leben und lernen.

Zum Zweiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mangel weit und breit darf im Krisenmanagement nicht als Begründung für alles Mögliche herhalten: für den Mangel an Lehrkräften, Schulsozialarbeitern, für die chronisch unterfinanzierte Kinder- und Jugendhilfe und vieles andere mehr. Aber das ist ja gerade die heimliche Begründung, weshalb zum Beispiel viele, viele Angebote an Wechselmodellen momentan abgewehrt werden. Das ist die Begründung dafür, dass weiter volle Schulbusse fahren und dass das Angebot der Akteurinnen und Akteure der Kinder- und Jugendhilfe und der kulturellen Jugendbildung abgelehnt wird, eigene Räume zur Verfügung zu stellen, das dortige Personal durchaus zu nutzen, um tatsächlich in kleineren Gruppen zu lernen. Sie haben sich mit einem Brief an die Bundeskanzlerin gewandt, leider erfolglos.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bildung von Schülerinnen und Schülern wird – da bin ich mir echt sicher – keinen nachhaltigen Schaden nehmen, wenn über einige Wochen außerschulische Expertinnen und Experten, Handwerker, Künstlerinnen, Wissenschaftler Schülerinnen und Schüler beim Lernen begleiten und wenn über einige Wochen der Unterricht in außerschulischen Einrichtungen stattfinden kann. Ich würde sogar sagen: Im Gegenteil, Schülerinnen, Lehrkräfte, Eltern könnten Geschmack finden daran,

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Können auch zwei Monate Theater spielen!)

weil sie nämlich dort einer neuen Lernkultur begegnen, nicht oder nicht nur orientiert an Tests, an Zertifikaten, sondern weil es Spaß macht.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Götz Frömming [AfD]: Um Gottes willen!)

Ohnehin brauchen wir eine neue Lernkultur für die Schule der Zukunft, und man kann sich auf diese Art und Weise durchaus schon mal einen Vorgeschmack holen.

Das Kooperationsverbot ist so weit geöffnet, dass der Bund die Städte und Gemeinden und Landkreise unterstützen kann, um zusätzliche Räume anzubieten in Volkshochschulen, in Bibliotheken, in Maker Spaces, in Selbstlernwerkstätten. All das ist nutzbar und bezahlbar, und es bereichert unsere derzeitige Situation.

Wir brauchen, drittens, schnelle digitale Lernmittel; da bin ich mir mit Marja-Liisa Völlers absolut einig. Nur, das Problem ist, wir warten auf die neue OER-Richtlinie, und in dieser Zeit werden in vielen Landkreisen Tatsachen geschaffen, weil einfach Schulverwaltungen die Kompetenz dafür fehlt, zu beurteilen: Was kaufe ich, was nutze ich, um Abhängigkeiten von Abos und Lizenzen zu vermeiden?

Meine Damen und Herren, eines ist jetzt schon klar – ich komme zum Schluss –: Die Mittel aus dem DigitalPakt Schule und die Mittel, die auf Ihren Konten schmoren und noch nicht verplant worden sind, die brauchen wir dauerhaft. Auch wenn Sie es nicht gar so gerne hören: Ohne eine Reform des Bildungsföderalismus wird das hier nichts mehr.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)