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„Bildung muss die Menschen dazu qualifizieren, eine aktive und gestaltende Rolle in der Gesellschaft wahrzunehmen“

Rede von Nele Hirsch,

Die EU-Kommission hat mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen eine weitere bildungspolitische Initiative angestoßen. Die Fraktion DIE LINKE. kritisiert, dass diese Initiative das Einfallstor für weitere Bildungsprivatidierungen sein kann. Sie lehnt das Bildungsverständnis der EU-Kommissiopn, das Bildung auf ökonomische Verwertbarkeit reduziert, ab. Ein Qualifikationsrahmen ist nur dann sinnvoll, wenn er dazu genutzt wird, soziale, geschlechtsspezifische und migrationsspezifische Unterschiede in der Bildung abzubauen. Nele Hirsch in der Debatte zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Grüne (BT-Drs. 16/1063): „Den Europäischen Bildungsraum weiter gestalten - Transparenz und Durchlässigkeit durch einen Europäischen Qualifikationsrahmen stärken“:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für den heutigen Antrag zunächst vielen Dank an die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Wir begrüßen ausdrücklich die Forderung nach einer öffentlichen Debatte über den europäischen und den nationalen Qualifikationsrahmen. Ich möchte für die Fraktion Die Linke drei Anforderungen nennen, die für uns entscheidend sind. Der erste Punkt betrifft die unter anderem von den Gewerkschaften geäußerten Befürchtungen, der Qualifikationsrahmen könnte ein Einfallstor für weitere Bildungsprivatisierungen sein. Diese Befürchtungen sind aus unserer Sicht berechtigt. Es ist bekannt, dass sich die Bildungsindustrie gerade von so genannten sekundären Bildungsdienstleistungen wie der Entwicklung von Testverfahren und Bewertungsmaßstäben oder von der Zertifizierung von Qualifikationen die größten Gewinne verspricht. Wenn man sich die Gestaltung des Qualifikationssrahmens ansieht, ist offensichtlich, dass der Bedarf nach ebendiesen Dienstleistungen zunehmen wird. Wir sagen deshalb ganz klar: Bei der Diskussion über den Qualifikationsrahmen muss von vornherein festgehalten werden, dass die Bewertung und Zertifizierung von Qualifikation eine öffentliche Aufgabe ist. (Beifall bei der LINKEN) Ansonsten führt der Qualifikationsrahmen nur zu einer wesentlich teureren Dokumentation der Bildung, aber nicht zu einer besseren Bildung. (Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Da könnte was dran sein!) Gewinner sind dann nicht die Lernenden, sondern Akkreditierungsinstitute und Testagenturen. Das wollen wir definitiv nicht. (Beifall bei der LINKEN) Das Stichwort „bessere Bildung“ bringt mich zu unserem zweiten Punkt. Im Antrag der Grünen wird gefordert, durch den Qualifikationsrahmen solle die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhöht werden. Wir sind der Ansicht, dass man sich diesen Begriff und diese Forderung noch einmal sehr viel genauer anschauen muss; denn im Prinzip ist das exakt das gleiche Bildungsverständnis, das sich auch in der Lissabonstrategie der EU widerspiegelt. Nach dem, was man in den entsprechenden Dokumenten lesen kann, ist ganz deutlich, dass es das Ziel von Bildung ist, dass die Menschen mit Instrumenten ausgestattet werden, die sie benötigen, um sich an den sich wandelnden Arbeitsmarkt anzupassen. Die Fraktion Die Linke teilt dieses Bildungsverständnis nicht. Bildung hat für uns nicht die Aufgabe, dass Menschen möglichst störungsfrei in den Arbeitsmarkt eingepasst werden. (Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Deshalb auch Lissabon!) Für uns muss Bildung die Menschen dazu qualifizieren, eine aktive und gestaltende Rolle in der Gesellschaft wahrnehmen zu können. Dazu gehört natürlich auch die Teilnahme am Erwerbsleben, aber nicht Anpassung, sondern Hinterfragen muss das primäre Ziel von Bildung sein. (Beifall bei der LINKEN) Damit komme ich zum letzten Punkt. Im Antrag der Grünen und auch in der ersten Stellungnahme des BMBF wird eine umfassende Evaluationsphase bei der Einführung des Qualifikationsrahmens gefordert. Das finde ich richtig. Eine solche Evaluation macht aber nur dann Sinn, wenn wir uns auch darüber verständigen, nach welchen Kriterien wir evaluieren wollen. Wir schlagen hier vor, die Entwicklung des nationalen Qualifikationsrahmens mit dem Ziel zu verknüpfen, soziale Unterschiede in den betreffenden Bildungsphasen abzubauen. Im Koalitionsvertrag gibt es hierzu schon einige richtige Ansätze, (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD)) etwa die Öffnung des Hochschulzugangs für Menschen mit Berufsabschluss. Mit der Entwicklung des nationalen Qualifikationsrahmens können wir solche Ansätze weiterverfolgen. Unser Fazit lautet also: Mit diesen drei Punkten kann der Qualifikationsrahmen ein Instrument für eine bessere Bildung und auch für ein Mehr an Chancengleichheit sein. Dann findet er unsere volle Unterstützung. Vielen Dank und ich wünsche Ihnen erholsame Ostertage. (Beifall bei der LINKEN)