Mit der Debatte zum 7. Familienbericht wurden noch einmal die unterschiedlichsten Positionen der Parteien deutlich. Sie reichen wie gewohnt von traditionell-konservativ bis modern und zukunftsfähig. Die Linke hat erneut mit Nachdruck für einen Rechtsanspruch auf ganztägige und beitragsfreie Kinderbetreuung plädiert. Die Notwendigkeit dafür resultiert aus der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinder und Familie - kaum ein politisches Thema beschäftigt uns und die Öffentlichkeit in der letzten Zeit so sehr wie dieses. Noch vor wenigen Jahren wurden familienpolitische Themen kaum behandelt, als Gedöns abgetan und je nach Bedarf - quasi nach politischer Tageslage - auf die Tagesordnung gesetzt. Inzwischen ist Bewegung in die Familienpolitik gekommen, und das ist gut so. Denn die gravierenden sozialen, ökonomischen und demografischen Prozesse zwingen die Politik zum Handeln. Aus Sicht der Linken war das schon längst überfällig.Nun muss man natürlich hinterfragen: Entspricht die eingeleitete Familienpolitik tatsächlich den veränderten gesellschaftlichen Realitäten? Ist sie sozial gerecht, modern und zukunftsfähig? Was für mich noch viel wichtiger ist, ist die Frage: Was sind uns in diesem Zusammenhang Kinder wert?
Vor dem Hintergrund, dass Deutschland das Land mit den sechsthöchsten Rüstungsausgaben im Jahr 2006 war und beim Export von Rüstungsgütern weltweit an dritter Stelle nach den USA und Russland steht, bei den sozialen Belangen aber letztlich um jeden Cent gefeilscht wird, sind meine Fragen wohl mehr als berechtigt. Dies alles erfüllt meine Fraktion mit großer Sorge.
Mit Selbstverständlichkeit greifen Sie mit Ihren politischen Konzepten Arbeitslosen, Kranken, Geringverdienern und Alleinerziehenden in die Tasche. Familienleistungen werden in der Regel durch die Familien selbst gezahlt. Sie lassen immer wieder zu, dass in Deutschland eine Umverteilung von unten nach oben stattfindet. Sie lassen es zu, dass Armut in breiten Kreisen der Bevölkerung auf Jahre zementiert wird.
(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der SPD)
Ergebnis Ihrer verfehlten Politik der letzten Jahre ist die falsch konzipierte Ausgestaltung des Sozialstaats. Sie reden von einem vorsorgenden Sozialstaat. Wie irreführend! Wie lange noch, glauben Sie, werden Ihnen das Ihre Wählerinnen und Wähler abnehmen? Ein vorsorgender Sozialstaat verlangt armutsfeste Konzepte und nicht die Privatisierung der Lasten von Kindererziehung, Pflege, Rente und Gesundheit.
(Beifall bei der LINKEN)
All das machen Sie im Wissen darum, dass nahezu jede Privatisierung die Preisgabe politischen Einflusses und gesellschaftlicher Gestaltung bedeutet.
(Ina Lenke [FDP]: Staatlicher Einfluss auf Kinder? Das hatten wir alles schon einmal!)
- Das ist so, Frau Lenke. - Wer in der Kommune, im Gemeinwesen privatisiert, hat über kurz oder lang nichts mehr mitzuentscheiden. Das können wir aus linker Perspektive nicht akzeptieren.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit, weil wir anders Hunger und Armut nicht überwinden können. Wir brauchen keinen Reichtum für eine kleine Gruppe. Vielmehr sind wir angehalten, zum Wohl aller Menschen Politik zu machen.
In unserem Entschließungsantrag zeigen wir Wege für eine sozial gerechte Familienpolitik auf. Die Neuorientierung in der Familienpolitik muss aus unserer Sicht folgenden Anforderungen gerecht werden: Gesellschaftliche Solidarität für Familien bedeutet die Übernahme öffentlicher Verantwortung. Kinder dürfen im Rahmen der Familienpolitik keine nachgeordnete Rolle spielen und nicht immer über die Familie definiert werden. Wir brauchen eine Politik, die Kinder und Jugendliche als eigenständige Bevölkerungsgruppe mit einem eigenen Anspruch auf einen Anteil an den gesellschaftlichen Ressourcen behandelt.
(Beifall bei der LINKEN - Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was ist mit den Eltern?)
Kinder haben Rechte, und diese Rechte sollen Verfassungsrang erhalten. Ich finde es schön, dass die Kinderkommission endlich einmal einen damit übereinstimmenden Antrag eingebracht hat,
(Beifall der Abg. Christel Humme [SPD])
auch wenn dies dem Herrn Singhammer nicht so recht passt.
Ein verbesserter Schutz von Kindern vor Misshandlungen und Vernachlässigung ist durch ein Paket aus unterstützenden Angeboten und vernetzten Hilfen zu erreichen, die die Rahmenbedingungen für das Aufwachsen von Kindern letztlich nachhaltig verbessern. Ausgangspunkt dafür ist die Vernetzung und Stärkung der Orte, an denen sich Kinder aufhalten: von der Familie über die Kindertagesstätte und die Schule bis hin zum Jugendhaus. Diskriminierung von Kindern und Familien mit Migrationshintergrund gehört in die Geschichtsbücher. Es darf keine Familien erster und zweiter Klasse mehr geben.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wollen im Rahmen des Bildungsanspruchs die Bereitstellung einer qualitativ hochwertigen, auf die Bedürfnisse von Kindern und Eltern - Herr Singhammer - abgestimmten ganztägigen und beitragsfreien Kinderbetreuung als Rechtsanspruch. Das ist die wesentliche Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Elternteile. Hier müssen den Worten endlich einmal Taten folgen. Nach Ihrer zweijährigen Regierungszeit hat sich in dieser Hinsicht nicht viel bewegt.
Im Siebten Familienbericht wird festgestellt, dass viele Eltern die Balance zwischen Familie und Erwerbsarbeit als unbefriedigend empfinden. Elternschaft zu leben und zugleich berufliche Integration, soziales oder auch politisches Engagement zu verwirklichen, ist gerade für junge Eltern schwierig, aber auch sehr wichtig. Deshalb benötigen wir in der Gesellschaft, insbesondere in der Wirtschaft, ein neues Leitbild für gelebte Elternschaft, damit der Wunsch auf Kinder endlich wieder Vorfahrt bekommt.
(Beifall bei der LINKEN)
In unserem Entschließungsantrag fordern wir eine Verkürzung der Arbeitszeiten; denn im Moment ist Teilzeitarbeit entweder ein Karrierekiller oder ein Armutsrisiko. Beides muss sich ändern. Väter und Mütter wollen Beruf und Zeit für Familie; darauf muss sich vor allem die Wirtschaft stärker einstellen. Aber auch der Gesetzgeber, also wir, sind gefragt:
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Es müssen verstärkt familienbezogene Zeitrechte in das Arbeits- und Sozialrecht integriert werden. Es muss flexibler gestaltet und mit einem Arbeitsplatzrückkehrrecht ausgestattet sein. Eine Inanspruchnahme muss mit entsprechender sozialer und materieller Absicherung einhergehen.
Jetzt höre ich schon gedanklich die Rufe - noch ruft aber keiner -: Wer soll das alles bezahlen? Die Linke fordert und fordert!
(Zurufe von der SPD: Sie sagen es selbst! - Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung! - Luxussteuer!)
Das ist ein Wolkenkuckucksheim! Es ist doch kein Geld da!
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das kommt aus dem Parteivermögen! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)
Wenn man Finanz- und Wirtschaftsstudien Glauben schenken darf, setzt Deutschland 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildungs- und Sozialleistungen ein. Frankreich, Schweden, Finnland oder Dänemark geben 50 Prozent und mehr aus. Wer in der Politik auf Rüstung und Krieg setzt, dem fehlen natürlich die Mittel für die Ausgestaltung des Sozialstaates, der entzieht den wirklich Bedürftigen die Mittel; das ist doch nicht verwunderlich.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Uwe Küster [SPD]: Unglaublich!)
Ganz aktuell dazu: Der Haushaltsausschuss hat am Mittwoch die Beschaffung von vier weiteren Fregatten im Wert von mehr als 2 Milliarden Euro bewilligt. Dafür hätten ungefähr 1 700 Kindergärten gebaut werden können;
(Beifall bei der LINKEN)
von den Steuergeschenken an die Unternehmen mal ganz zu schweigen. Noch Fragen? Sie werden nicht an Ihren Worten gemessen, sondern an Ihren Taten.
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Immer wunderlicher!)
Das ist eine Forderung, die immer wieder aufkommt. Frau Connemann ist nicht da. Sie hat in dieser Woche so schön gesagt: Nicht an Ihren Worten, sondern an Ihren Taten werden wir Sie messen. - Ich denke, das ist ein Maßstab, der nicht nur an Frau Connemann, sondern auch an ihre Fraktion und die Koalition angelegt werden muss. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN - Abg. Johannes Singhammer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
- Herr Singhammer, jetzt treiben Sie es nicht zu weit. Sonst bedauere ich noch, dass Herr Stoiber das Parlament verlassen hat. Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)