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Beobachtung und Überwachung von Abgeordneten durch deutsche Geheimdienste

Rede von Dagmar Enkelmann,

Beobachtung durch den Geheimdienst verletzt grundgesetzliche geschützte Ausübung des freien Mandats

Für ihn sei es „kein Stein des Anstoßes“, wenn linke Abgeordnete durch den Verfassungsschutz beobachtet würden. So beschied der künftige Bundespräsident Joachim Gauck den Fragesteller während seiner Vorstellung in der Fraktion. „Kein Stein des Anstoßes“?
Das sagt derjenige, dem Freiheit angeblich über alles geht! Wie ist es dann mit der Freiheit des Mandats? Immerhin im Grundgesetz, Art. 38, gesetzlich verankert.
Im Januar wurde bekannt, dass nicht nur einige Mitglieder der Linken durch den Inlandsgeheimdienst überwacht werden, sondern mindestens 27 Mitglieder der Linksfraktion des Bundestages vom Bundesamt und weitere über die Landesämter. Ein ungeheuerlicher Vorgang!
Mit Blick auf inzwischen vorliegende Akten bzw. Bescheide erfolgt die Beobachtung offenkundig auch nicht ausschließlich auf der Grundlage offen zugänglicher Unterlagen, Reden, Artikel etc., sondern auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Damit wird die politische Arbeit der Abgeordneten erheblich eingeschränkt. Eine freie und unabhängige Mandatsausübung ist nicht mehr gewährleistet.
Das Wissen um eine Beobachtung könnte Bürgerinnen und Bürger daran hindern, Kontakt zum Abgeordneten aufzunehmen, bzw. sie dazu veranlassen, den Kontakt so zu gestalten, dass er möglichst unbeobachtet stattfindet. Der ungehinderte Austausch des Abgeordneten mit Wählerinnen und Wählern ist aber eine wesentliche Voraussetzung für den politischen Willensbildungsprozess, für den Abgeordnete nun einmal zuständig sind.
Was vertrauen Bürger noch „ihrem“ oder „ihrer“ Abgeordneten an, wenn sie nicht sicher sein können, dass nicht noch Dritte mitlesen oder -hören?
Besonders absurd erscheint die Beobachtung eines Bundestagsabgeordneten aber vor allem dann, wenn man bedenkt, dass die Kontrolle des Verfassungsschutzes gerade dem Bundestag und seinen Abgeordneten obliegt. Da verkehren sich die Verhältnisse, und das ist nicht zu akzeptieren.
Bereits 2006 hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag vorgelegt, der eine „konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages zu Beobachtungen von Abgeordneten durch Geheimdienste“ vorsieht. Der 1. Ausschuss sollte mit der Vorbereitung entsprechender Regelungen befasst werden. Ich kann mich allerdings nicht an herausragende Vorschläge der Fraktion im Ausschuss erinnern.
Nun liegt erneut ein solcher Antrag vor. Für die Linke geht es nicht um die Frage, welches Gremium gegebenenfalls eine Beobachtung von Abgeordneten genehmigt. Die Linke ist für die Abschaffung von Geheimdiensten. Sie ist grundsätzlich gegen die Überwachung von Abgeordneten, mit welchen Mitteln auch immer.
Diese ist mit der parlamentarischen Demokratie unvereinbar. Weder dem Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung noch dem Parlamentarischen Kontrollgremium sollte die Macht gegeben werden, mit Mehrheitsentscheidung eine Beobachtung von Abgeordneten zu legitimieren. 

 

(Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die Beobachtung und Überwachung von Oppositionspolitikerinnen

 

und -politikern kennen wir sonst vor

 

allem aus autoritären Staaten, wo wir dies bisher immer

 

scharf kritisiert haben. Diese Geheimdiensttätigkeit ist

 

eine Gefahr für das freie Mandat und die parlamentarische

 

Demokratie als Ganze. Wir fordern deshalb ein

 

Verfahren, das Abgeordnete vor nicht gerechtfertigten

 

Übergriffen des Verfassungsschutzes schützt. Als genehmigendes

 

Gremium kommen hier das Parlamentspräsidium

 

oder die Obleute des Immunitätsausschusses

 

infrage.

 

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind

 

nach Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes an Aufträge und

 

Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen

 

unterworfen. Mit diesem freien Mandat verträgt es sich

 

nicht, dass Behörden heimlich Informationen über

 

Abgeordnete sammeln und diese planmäßig überwachen.

 

Derartige Maßnahmen stellen eine Kontrolle

 

der Exekutive gegenüber der Legislative dar. Die Verfassung

 

kennt nur den umgekehrten Fall.

 

So schützt das Immunitätsrecht das freie Mandat der

 

Abgeordneten vor jeder Beschränkung. Jede strafrechtliche

strafrechtliche

Ermittlungs- und Verfolgungsmaßnahme, aber

auch jede andere Beschränkung der persönlichen Freiheit

eines Abgeordneten muss daher vom Deutschen

Bundestag vorab genehmigt werden. Der Geist des

Grundgesetzes in den Art. 38, 46 und 47 sagt uns doch,

dass das Parlament zumindest informiert werden

müsste, wenn Mitglieder des Bundestages überwacht

werden.

Es kann gute Gründe geben, warum ein Abgeordneter

von Geheimdiensten beobachtet oder überwacht werden

sollte, sei es wegen des Verdachts der Arbeit für einen

ausländischen Geheimdienst oder aber auch wegen

eines tatsächlichen Eintretens für die Beseitigung unserer

freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Verkürzte

Kapitalismuskritik oder plumper Antiimperialismus

aus dem Hause Da

ğ

delen und Co. gehören zwar zu

den unreflektierten Ausprägungen linker und zum Teil

 

auch rechtsextremer Kultur, doch eine Gefahr für die

 

freiheitlich-demokratische Grundordnung kann ich da

 

nicht erkennen. Schon gar nicht rechtfertigt es die Überwachung

 

eines großen Teils einer Fraktion. Die Überwachung

 

und Beobachtung von Abgeordneten muss ein

 

Einzelfall bleiben und geht nicht ohne parlamentarische

 

Kontrolle. Da es hier offenbar einen Wildwuchs der

 

Informationssammlungs-, Beobachtungs- oder Überwachungswut

 

deutscher Geheimdienste gibt, besteht

 

dringender Handlungsbedarf.

 

Deshalb fordern wir mit unserem Antrag den Ausschuss

 

für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

 

auf, die notwendigen Veränderungen zur Ausgestaltung

 

des Immunitätsrechts von Abgeordneten zu

 

erarbeiten. Schon der böse Schein, dass die Regierung

 

hier die Geheimdienste missbraucht, um den politischen

 

Gegner öffentlich in eine vermeintliche Ecke zu stellen,

 

schadet der Demokratie. In was für einem Land leben

 

wir eigentlich, in dem durch das Aushorchen und Ausspionieren

 

von Oppositionellen die Regierung womöglich

 

an strategische Planungen einer Partei gelangt?

 

Das klingt für mich mehr nach Watergate.

 

Zudem verkehren wir hier grundsätzliche Prinzipien

 

der Demokratie; denn das Parlament muss die Geheimdienste

 

überwachen, nicht umgekehrt! Dem Verfassungsschutz

 

gelingt selbst die Quadratur des Kreises,

 

indem er Steffen Bockhahn beobachtet, der im Vertrauensgremium

 

für den Verfassungsschutz sitzt. Sagen Sie

 

einmal: Geht’s noch?

 

Hier werden wichtige Ressourcen blockiert, die im

 

Kampf gegen Neonazis benötigt werden. Und das Traurige

 

ist: Manche Menschen könnten vielleicht noch am

 

Leben sein, würde der Verfassungsschutz nicht seine

 

Kräfte mit der Linkspartei vergeuden. Mit diesem

 

Antrag wollen wir die Bundesrepublik demokratisch

 

wieder zurechtrücken, dort, wo sie vom Recht abgerutscht

 

ist.