Thomas Nord (DIE LINKE):
Herr Präsident!
Herr Botschafter!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Kroatien hat – das ist hier schon mehrfach
gesagt worden – bis zum Beitritt zur Europäischen
Union einen langen Weg zurückgelegt, einen längeren
als alle anderen Beitrittsländer bisher. Nun jedoch wird
Kroatien am 1. Juli dieses Jahres das jüngste Mitglied
der Europäischen Union. Das ist für viele Menschen dort
und auf dem Westbalkan ein Grund zur Freude. Das positive
Referendum zum EU-Beitritt in Kroatien ist für
uns ein wesentliches Argument, um ihm zuzustimmen;
denn für uns ist die Akzeptanz des Beitritts in den Ländern
selbst entscheidend für unsere eigene Zustimmung.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das 2003 gegebene Versprechen einer Beitrittsperspektive
an den gesamten Westbalkan – davon war hier
schon die Rede – darf angesichts der momentanen Krise
der Euro-Zone und der Europäischen Union nicht zurückgenommen
werden. Deutschland steht da gerade angesichts
der politischen Mitverantwortung für den Zerfall
des ehemaligen Jugoslawiens – und hier trennen sich
die Wege – aus unserer Sicht in moralischer Verantwortung.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer an dieser Stelle sagt, dass Kroatien von der Anerkennung
als unabhängiger Staat bis zum heutigen Tag
eine geradlinige Entwicklung vollzogen hat, der blendet
einen Bürgerkrieg aus, der Zehntausende Tote gefordert hat.
Ich finde, das kann man hier nicht machen.
(Beifall bei der LINKEN – Oliver Luksic
[FDP]: Was ist das für ein historischer
Quatsch!)
Gerade das aktuelle Abkommen zwischen Serbien
und Kosovo besagt im Kern, dass sich beide Seiten auf
dem Weg in die Europäische Union keine Hürden in den
Weg stellen wollen. Das zeigt: Die Beitrittsperspektive
ist der einzige positive Anreiz für einen rationalen Umgang
zwischen nach wie vor verfeindeten Parteien. Ein
wirklicher Aussöhnungsprozess oder gar eine Anerkennung
des Kosovo als eigenständiger Staat durch Serbien
kann hieraus eben nicht abgeleitet werden. Erst die Praxis
der nächsten Zeit wird erweisen, welche Substanz
dieses Abkommen hat.
Allerdings gibt es auch in Kroatien Menschen, die
den Beitritt nicht mit Freude, sondern eher mit Sorge erwarten,
und das sind bei weitem nicht alles unbelehrbare
Nationalisten. Es gibt Sorgen und Bedenken, auch in
Kroatien, die wir ernst nehmen sollten. Von 1,7 Millionen
erwerbsfähigen Menschen in Kroatien sind 370 000
arbeitslos. Der durch die EU ausgeübte Druck zur Privatisierung
der Werften hat hier mehr geschadet, als dass er
genutzt hat. Das Wirtschaftswachstum fiel im Vorjahr
um 1,9 Prozent. Das Haushaltsdefizit stieg zuletzt auf
5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ein großer Investitionsboom
wird mit dem Beitritt in Kroatien nicht
erwartet. Kroatien wird mit dem EU-Beitritt Handelsvorteile
verlieren, und nur vom Tourismus wird auch
Kroatien auf Dauer nicht leben können.
(Oliver Luksic [FDP]: Quatsch!)
Gerade an Beitrittsstaaten wie Kroatien wird deutlich:
Die mit dem Beitritt auferlegte Wirtschaftspolitik von
Deregulierung, Privatisierung und Abbau öffentlicher
Leistungen ist kein zukunftsfähiger Weg für Europa und
die Europäische Union.
(Beifall bei der LINKEN – Oliver Luksic
[FDP]: Anti-Europa-Rede!)
Im Gegenteil, wie die aktuelle Lage in Griechenland,
Spanien, Portugal, Zypern usw. zeigt: Dieser Weg gefährdet
nicht nur die Existenz der Euro-Zone,
(Oliver Luksic [FDP]: Warum weinen Sie
noch Milosevic hinterher?)
sondern der Europäischen Union insgesamt, Kollege
Luksic.
Notwendig sind gerade auf dem Westbalkan auch öffentliche
Programme, also zum Beispiel EU-Investitionsprogramme
zur Reindustrialisierung der Region.
Das kann übrigens zum Vorteil für alle Mitgliedstaaten
und ein guter Weg zur Überwindung der Krise insgesamt
sein. Wer sich nur auf private Investoren verlässt, wird
noch die letzte Privatisierung der Telekommunikation
bekommen, und das war es dann. Die Politik der Troikas,
der Schuldenbremsen und der Kürzung der Mittel
für die EU ist, aus unserer Sicht jedenfalls, ein Irrweg.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der
FDP: Hat mit Kroatien nichts zu tun!)
Die Kritik an der jetzigen neoliberalen EU-Politik
kann aber nicht dazu führen, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung abzulehnen.
(Oliver Luksic [FDP]: Aha!)
Nach Slowenien wird nun ein zweiter Staat, der aus dem
Zerfall Jugoslawiens hervorging, der Europäischen
Union beitreten. Damit wird der Beschluss von Thessaloniki
weiter umgesetzt. Durch diese Umsetzung wird
wieder ein Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger
der Staaten, die aus dem blutigen Konflikt in Jugoslawien
hervorgegangen sind, in einer gemeinsamen Union
ermöglicht.
Die Linke stimmt dem Beitritt Kroatiens zu, weil damit
die Aussicht verbunden ist, einen jahrhundertealten
Konflikt beizulegen und dem gesamten Westbalkan eine
Friedensperspektive zu bieten.
(Beifall bei der LINKEN)
Dauerhaft, meine Damen und Herren, wird diese Friedensperspektive
für den Westbalkan und ganz Europa
nur dann sein, wenn die jetzige selbstzerstörerische Politik
in der Europäischen Union
(Widerspruch des Abg. Oliver Luksic [FDP])
von einer solidarischen, gerechten und demokratischen
Politik für die Menschen in der EU insgesamt abgelöst
wird.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)