Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gerade wieder eine Rede gehört, Herr Dr. Kolb, die das Ziel der FDP klar definiert. Sie wollen eine Deregulierung der Arbeitsmärkte,
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das Wort „Deregulierung“ habe ich nicht in den Mund genommen!)
um die Löhne zu senken; denn Sie wissen, Herr Dr. Kolb das unterstelle ich Ihnen jetzt einfach einmal , dass bei befristet Beschäftigten die Angst, nach der Befristung nicht übernommen zu werden, dazu führt, dass die Betroffenen bereit sind, für weniger Lohn zu arbeiten, auch einmal eine Überstunde ohne Bezahlung zu machen oder längere Arbeitszeiten zu akzeptieren. Sie sind bereit, auch Demütigungen am Arbeitsplatz hinzunehmen. Wenn Sie hier der Befristung das Wort reden, zeigt das: Sie sind mit diesen Verhältnissen einverstanden. Das ist der Grund dafür, dass die FDP bei den Umfragen so schlecht dasteht, Herr Kolb, und das mit Recht, um das einmal in aller Klarheit zu sagen.
(Beifall bei der LINKEN - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Das ist die Realität!)
Nahezu jeder Zweite fast 50 Prozent derjenigen, die zurzeit neu eingestellt werden, wird nur noch befristet eingestellt. Ich habe auch einmal etwas Anständiges gelernt, nämlich Elektromechaniker.
(Gitta Connemann (CDU/CSU): Wären Sie es besser geblieben!)
Das ist schon eine Zeit her. Es war damals völlig selbstverständlich, dass man nach der Ausbildung in dem Beruf, den man erlernt hat, übernommen wurde. Da ist über die Frage einer Befristung nicht einmal diskutiert worden. War das damals eigentlich eine schlechtere Situation für die Menschen, oder war das eine bessere Situation? Wenn Sie so tun, Herr Kolb, als sei die Situation jetzt besser, dann verkennen Sie, dass von den 2,7 Millionen, die gegenwärtig einen befristeten Arbeitsvertrag haben, nur 2,5 Prozent sagen: Ja, wir sind damit einverstanden, dass das befristet ist. - Die überwältigende Mehrheit der Betroffenen möchte eine ganz normale, unbefristete Beschäftigung.
Diejenigen, die nicht über eine unbefristete Beschäftigung verfügen, finden eine ganz andere Situation in ihrem Leben vor. Haben Sie schon einmal versucht, zum Beispiel mit einem 21-, 22-Jährigen zu reden, der nur einen befristeten Arbeitsvertrag hat und einen Kredit haben möchte, weil er möglicherweise eine Familie gründen will? Was glauben Sie, was die Bank zu dem sagt? Oder stellen Sie sich vor, er sucht eine Wohnung. Der Vermieter fragt: Wo schaffst Du denn? In der und der Firma. Bist du da unbefristet beschäftigt? Sagt der: Für ein halbes Jahr oder für ein Jahr. Glauben Sie, dass der dann die Wohnung kriegt, wenn ein anderer kommt, der einer unbefristeten Arbeit hat? Was glauben Sie eigentlich, wie es darum bestellt ist, eine Familie zu gründen, wenn die Menschen überhaupt keine Perspektive, keine Zukunftssicherheit haben, wenn sie nicht wissen, wie es mit ihnen nach einem Jahr, nach eineinhalb oder nach zwei Jahren weitergeht, weil sie nur noch befristete Jobs haben? Mit der Position, die Sie hier vertreten, Herr Dr. Kolb, gefährden Sie die Zukunftsperspektive, insbesondere der jungen Leute, und das ist ein Skandal. Ich sage in aller Klarheit: Das ist ein Skandal.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Und dann über den Geburtenrückgang schwadronieren!)
Ich sage Ihnen auch: Insbesondere die Jungen kommen in ganz hohem Maße nur noch in befristete Arbeitsverhältnisse. Die IG Metall hat 2009 festgestellt, dass 40 Prozent der bis 24-Jährigen nur befristete Arbeitsverträge haben. Das ist ein ungeheuerlicher Zustand.
Meine Damen und Herren, Herr Dr. Kolb, ich möchte versuchen, Ihnen das an einem sehr einfachen und eigentlich sehr nachvollziehbaren Punkt deutlich zu machen. Arbeit hat auch etwas mit Würde zu tun.
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ist richtig! Arbeitslosigkeit ist aber eine schlechte Alternative!)
Würde ist dann gegeben, wenn man in einigermaßen abgesicherten Verhältnissen lebt und nicht Freiwild für den Arbeitgeber ist, der ohne Kündigungsschutz einen befristet Eingestellten nach Ablauf der Befristung wieder aus dem Betrieb entfernen kann. Es hat etwas mit Würde zu tun, dass man sozial abgesichert ist.
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Ich glaube, ich lasse es einmal zu.
Vizepräsident Eduard Oswald:
Dann ist die Zwischenfrage schon erlaubt. Bitte schön, Herr Kollege Kolb. - Ich stoppe auch die Zeit, damit nichts angerechnet wird. - Bitte schön.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Ihre Redezeit drohte zu Ende zu gehen. Deswegen, glaube ich, kommt Ihnen die Frage ganz recht, Kollege Ernst.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Ich weiß, dass Sie mich mögen, Herr Dr. Kolb.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Wir fragen uns ja durchaus gerne einmal zu wechselnden Zeitpunkten. Meine Frage ist folgende. Sie sagen, dass Arbeit etwas mit Würde zu tun hat.
(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Richtig!)
Würden Sie mir recht geben, dass es würdevoller ist, wenn ein Mensch in Arbeit ist statt arbeitslos?
(Jutta Krellmann (DIE LINKE): Und dann? - Klaus Barthel (SPD): Ist das die Alternative? - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Das ist eine Frage der Qualität der Arbeit!)
Wissen Sie, dass das IAB - das ist nicht das Zentralorgan der FDP, sondern ein anerkanntes Institut - uns gesagt hat, dass jede zweite befristete Stelle in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mündet?
(Klaus Barthel (SPD): Warum nicht gleich?)
Würden Sie mir vor diesem Hintergrund recht geben, dass es für die Würde der Betroffenen - da reden wir wirklich über jeden einzelnen Fall - besser ist, sich aus der Arbeitslosigkeit zunächst mit einem befristeten Arbeitsverhältnis, von denen 50 Prozent in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übergehen, zu befreien? Ich bin der Meinung: Wenn die Alternative Arbeitslosigkeit ist, ist das eindeutig der bessere und würdevollere Weg.
(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Das ist ja nicht die Alternative!)
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Diese Alternative, die Sie darstellen, gibt es nur deshalb, weil der Gesetzgeber bis jetzt nicht geregelt hat, dass solche Befristungen ohne Grund nicht möglich sind.
(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): So ist es!)
Wäre die Befristung ohne Grund nicht möglich, müsste sich der Arbeitgeber, der jemanden einstellt, überlegen: Will ich, dass die Tätigkeit verrichtet wird, oder nicht? Wenn er will, dass sie verrichtet wird, muss er jemanden einstellen. Wenn die gesetzlichen Regelungen stimmen, muss er unbefristet einstellen. Deshalb sagen wir: Wir wollen, dass die sachgrundlose Befristung verboten wird.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ein Weiteres. Herr Dr. Kolb, es ist geradezu schön, dass Sie diesen Punkt ansprechen. Wenn Sie sagen, dass es würdevoller ist, eine Arbeit zu haben, frage ich: Ist es vielleicht auch würdevoll, eine bestimmte Arbeit unter bestimmten Bedingungen nicht machen zu müssen? Wenn Sie die Auffassung vertreten, dass jede Arbeit, egal welche - das ist der Punkt -, immer würdevoller ist als nicht zu arbeiten
(Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Das hat er nicht gesagt!)
- tut mir leid, das haben Sie gerade gesagt, Herr Dr. Kolb -,
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Es wird in Deutschland niemand in Handschellen in ein Unternehmen geführt! Die Menschen gehen alle freiwillig zur Arbeit!)
dann sage ich Ihnen: Wenn es tatsächlich so ist, dass jede Arbeit sinnvoller und würdevoller ist als nicht zu arbeiten, dann sagen Sie damit, dass die Sklaven im alten Rom würdevolle Arbeit geleistet haben. Das haben sie aber nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben nicht einmal Lohn bekommen.
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Nein! Die Leute gehen freiwillig und erhobenen Hauptes zur Arbeit!)
- Herr Dr. Kolb, jetzt bin ich dran; Sie können mir gerne noch eine Zwischenfrage stellen. Ich würde sie auch beantworten.
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das wäre zu viel des Guten!)
Mit Ihrer Position sagen Sie Folgendes: Es ist in Ordnung, weil auch die Sklaven im alten Rom gearbeitet haben. Sie haben zwar überhaupt kein Geld bekommen, aber es war gut, dass sie Arbeit hatten. Denn das ist besser, als keine Arbeit zu haben.
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Nein! Nein!)
- Ich bin noch nicht ganz fertig. - Herr Dr. Kolb, ich sage Ihnen: Es ist sinnvoll, dass wir Arbeit so organisieren, dass sie würdevoll ist. Sie zeigen dauernd eine Alternative auf, die es in der Realität so nicht gibt.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sozial ist, was Würde schafft, sozial ist nicht, was Arbeit schafft!)
Herr Dr. Kolb, wir wollen, dass dies nicht weiter so stattfindet. Ich zitiere jetzt den Vorsitzenden des DGB, Michael Sommer. Es sagte - es müsste uns allen hier zu denken geben, dass der Vorsitzende des DGB das sagt -: Inzwischen haben wir in Deutschland den Zustand, dass Arbeit so billig ist wie Dreck.
Dazu sage ich Ihnen: Das hat damit zu tun, dass wir Arbeit nicht vernünftig reguliert haben. Zur Regulierung der Arbeit gehört, dass wir die Regeln wieder so gestalten, dass die Menschen tatsächlich würdevolle Arbeit erhalten. Dazu brauchen sie eine unbefristete Beschäftigung. Wenn sie dann tatsächlich nicht beschäftigt werden können, Herr Dr. Kolb, dann müssen sie eben das Recht in Anspruch nehmen können, zum Beispiel eine Kündigungsschutzklage zu führen. Sie wollen den Menschen, die dann nicht mehr gebraucht werden, das Recht nehmen, eine Kündigung vom Arbeitsgericht überprüfen zu lassen. Letztendlich heißt Befristung: Ausschluss der Möglichkeit, eine Kündigung vom Arbeitsgericht überprüfen zu lassen. Das wollen Sie. Diese liberale Position ist auch ein Grund, warum Sie zurzeit in den Umfragen nicht besonders gut dastehen.
Zum Schluss möchte ich darstellen, zu was Ihre Politik führt: Bei VW Salzgitter sind von 7 000 Beschäftigten 1 100 nur noch in befristeten Beschäftigungsverhältnissen, bei Siemens in Bad Neustadt sind von 2 500 Beschäftigten 450 nur noch in befristeten Beschäftigungsverhältnissen, bei der IB GmbH sind von 2 000 Beschäftigten annähernd die Hälfte nur noch in befristeten Arbeitsverhältnissen. Sie machen den Ausnahmetatbestand, dass man jemanden für einen kurzen Zeitraum einstellen kann, weil es dafür einen sachlichen Grund gibt, zur Regel. Wir wollen - da sind wir uns in der Opposition, glaube ich, alle einig - wieder Regulierung auf dem Arbeitsmarkt und kein Wildwest à la FDP.
Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)