„Barrierefreier Tourismus für Alle“, Antrag der SPD, Drucksache 17/5913
In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Berliner Fernsehturms steht: „Aufgrund der im Berliner Fernsehturm bestehenden baulichen Gegebenheiten, ist um die Sicherheit der Besucher im Evakuierungsfall zu gewährleisten, Rollstuhlfahrern und Personen mit aktueller Gehbehinderung, d.h. Personen die sich nicht ohne fremde Hilfe oder ohne Hilfsmittel, wie Krücken etc. fortbewegen können, der Zutritt nicht möglich.“
Was, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat das mit der heutigen Debatte zu tun? Der Berliner Fernsehturm ist seit 1969 nicht nur das Wahrzeichen der Hauptstadt, sondern auch eine der bekanntesten und beliebtesten Sehenswürdigkeiten für Touristinnen und Touristen aus aller Welt. In einer kürzlich von der Deutschen Zentrale für Tourismus veröffentlichten Studie über die 100 TOP-Reiseziele in Deutschland nimmt der Fernsehturm einen vorderen Platz ein.
Aber es darf eben nicht Jede oder Jeder hinauf. Dabei gibt es viele Beispiele, die zeigen, dass es möglich ist, auch Menschen mit Mobilitätseinschränkungen den Zugang zu solchen Bauwerken zu ermöglichen. Nennen möchte ich hier stellvertretend die Fernsehtürme in Düsseldorf und Schwerin, den Euromast in Rotterdam, den Skytower in Toronto sowie seit den jeweiligen Paralympics die Akropolis in Athen und die Chinesische Mauer (in Padaling).
Die fehlende Barrierefreiheit beim Berliner Fernsehturm war auch Thema in einer Kleinen Anfrage der LINKEN, denn der Bund steht hier als Hauptaktionär bei der Deutschen Telekom bzw. ihrer Tochtergesellschaft Deutsche Funkturm GmbH direkt in der Verantwortung. Deswegen ist es aus meiner Sicht unakzeptabel, wenn die Bundesregierung auf die Frage, wie sie sich für die Schaffung der Barrierefreiheit auf dem Fernsehturm einsetzen wird, am 22.02.2010 antwortete: „Die Bundesregierung sieht hierfür keine Veranlassung.“ (Drucksache 17/786).
Auf meine Frage, welche der 100 TOP-Reiseziele denn barrierefrei seien und welche der 100 TOP-Reisezeile auch mit Blick auf die Schaffung von Barrierefreiheit Fördermittel des Bundes erhielten, antwortete die Bundesregierung am 3. Mai 2012 (Drucksache 17/9518): „Informationen, welche der 100 beliebtesten Sehenswürdigkeiten in Deutschland barrierefrei sind, liegen der Bundesregierung nicht vor. … Bei der Beantwortung der Frage nach bereitgestellten Mitteln des Bundes für bauliche Investitionen, Marketingmaßnahmen usw. für die 100 beliebtesten Sehenswürdigkeiten kann nicht nach barrierefreien und nichtbarrierefreien Sehenswürdigkeiten unterschieden werden.“
So viel Unkenntnis ist keine gute Grundlage, um den barrierefreien Tourismus voran zu bringen und Fördermittel des Bundes gezielt und effizient einzusetzen.
Vor einem Jahr, am 9. Juni 2011, hatten wir die 1. Lesung zu diesem Antrag im Bundestag. Bereits damals wies ich darauf hin, dass DIE LINKE bereits am 24. September 2008 einen Antrag „Barrierefreier Tourismus für Alle in Deutschland“, Drucksache 16/10317, in den Bundestag eingebracht hatte. Unser Antrag wurde mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP abgelehnt. Der nun zur Abstimmung stehende Antrag der SPD hat mit unserem Antrag große, teilweise wörtliche Übereinstimmungen. Deswegen wird DIE LINKE dem Antrag auch zustimmen.
Was hat sich in diesem Bereich im letzen Jahr getan? In zunehmend mehr Bundesländern, in Kommunen, touristischen Regionen, in der Tourismuswirtschaft und bei Verkehrsunternehmen steht das Thema Barrierefreier Tourismus auf der Tagesordnung. Es gibt zunehmend mehr barrierefreie Angebote und auch bessere Informationen darüber. Wir hatten auf der ITB 2012 erstmalig, vor allem Dank der Initiative und Beharrlichkeit der NatKo, einen Tag des barrierefreien Tourismus – wenn auch noch ohne Unterstützung der Bundesregierung. Und es gibt ein von der Bundesregierung gefördertes Projekt „Entwicklung und Vermarktung barrierefreier Angebote und Dienstleistungen im Sinne eines Tourismus für Alle in Deutschland“ unter Federführung des deutschen Seminars für Tourismus und Mitwirkung der Nationalen Koordinierungsstelle Tourismus für Alle e.V. (NatKo).
Aber es wird immer noch mehr geredet als getan. Ich verzeichne auch weiterhin Gleichgültigkeit und Ignoranz. So hat Bundesverkehrsminister Ramsauer immer noch nicht begriffen, warum Fragen der Barrierefreiheit im Bundesbaugesetz verankert werden müssen, warum Förderungen des Bundes mit der Schaffung von Barrierefreiheit verbunden werden müssen oder warum eine Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes mit der Verpflichtung zum Einsatz barrierefreier Busse im Fernlinienverkehr verbunden werden muss. Hier wird von einem Bundesminister permanent gegen Bundesgesetze verstoßen, denn seit dem 26. März 2009 ist die UN-Behindertenkonvention geltendes Recht in Deutschland.
Mein Fazit: Die Bundesregierung nimmt nur unzureichend den Beschluss des Bundestages aus dem Jahr 2009, ihre eigenen Tourismuspolitischen Leitlinien sowie ihre in der Koalitionsvereinbarung erklärten Ziele hinsichtlich der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der Förderung des Barrierefreien Tourismus ernst.
Für DIE LINKE hat Barrierefreier Tourismus neben der wirtschaftspolitischen vor allem eine menschenrechtliche und soziale Dimension. Wir wollen die UN-Behindertenrechtskonvention (insbesondere Artikel 30) und den Ehrenkodex der Welttourismusorganisation, „Tourismus für Alle“ in die alltägliche Praxis überführen. Das nützt Menschen mit und ohne Beeinträchtigung in ihren Kommunen, beim öffentlichen Personenverehr, beim Einkaufen, bei Theater-, Sport- oder anderen Freizeitveranstaltungen, schaffte neue, moderne Arbeitsplätze (auch für Menschen mit Behinderungen) und ist nachhaltig innovativ.