"Rede von Nele Hirsch (DIE LINKE.) zum Antrag der Regierungskoalition "Neue Dynamik für Ausbildung"."
"Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin Schavan, die Fraktion Die Linke stimmt Ihnen in einem Punkt ausdrücklich zu: Ja, wir brauchen neue Dynamik für Ausbildung. (Beifall bei der LINKEN) Aber weder das, was bisher vorgetragen wurde, am allerwenigsten das, was von der Fraktion der FDP geäußert wurde, (Jörg Tauss (SPD): Aber besser können die es nicht! Sie werden noch merken: Die können es nicht besser!) noch der Inhalt des vorliegenden Antrags lassen solch eine neue Dynamik für Ausbildung erwarten. Zuerst einige Punkte zum Antrag. Erstens - ganz grundsätzlich - liegen dem Antrag offensichtlich wieder die gleichen unrealistischen Zahlen und Einschätzungen zur aktuellen Ausbildungssituation zugrunde, über die wir an dieser Stelle schon einmal diskutiert haben. Ein Beispiel, weil eben schon danach gefragt wurde: Die Ausbildungslücke wird im Antrag mit 11 500 Plätzen beziffert. Unsere Fraktion hatte Ende Januar eine Sachverständigenanhörung und es bestand unter allen eingeladenen Sachverständigen - darunter war auch ein Abteilungsleiter aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung, der die Zahlen wirklich kennen müsste -, Konsens darüber, dass die tatsächliche Ausbildungslücke bei rund 100 000 Plätzen liegt. (Beifall bei der LINKEN) Die übrigen knapp 90 000 Jugendlichen verschwinden bei Ihnen in Angeboten der zweiten oder dritten Wahl. (Nicolette Kressl (SPD): Das stimmt nicht!) Dazu, Frau Kressl, gehören eben auch die Einstiegsqualifizierungen. Eine solche Einstiegsqualifizierung ist aber kein Ausbildungsplatz; es ist ein billiges Praktikum. (Beifall bei der LINKEN) Mehr als ein Drittel der Jugendlichen steht danach wieder auf der Straße. Diese Jugendlichen brauchen einen Ausbildungsplatz. Sie tauchen aber in der Statistik nicht auf. Das ist schlicht falsch. (Jörg Tauss (SPD): Aber zwei Drittel haben einen! Das ist auch nicht schlecht, oder?) Deshalb fordern wir Sie auf: Legen Sie endlich eine realistische Ausbildungsbilanz vor! (Beifall bei der LINKEN) Der zweite Punkt. Wir können nach wie vor - auch wenn es mittlerweile schon um eine Weiterentwicklung geht - Ihre Begeisterung über den Ausbildungspakt nicht teilen. Die Wirkungslosigkeit müsste auch für Sie offensichtlich sein. In Ihrem eigenen Antrag steht - ich zitiere -: "Die Bundesregierung hat den Ausbildungspakt mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft geschlossen, um das Ausbildungsverhalten der Betriebe positiv zu beeinflussen." Das klingt gut. Dem steht aber die Presseerklärung des Bundesinstituts für Berufsbildung zur Ausbildungsbilanz 2005 gegenüber. Dort steht - wieder Zitat -: "Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze sinkt auf den tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung." (Beifall bei der LINKEN) Wo sehen Sie hier eine positive Auswirkung auf das Ausbildungsverhalten der Betriebe? Für uns ist klar: Der Ausbildungspakt ist kein Erfolg. Die Gewerkschaften haben unsere volle Unterstützung, bei einer solchen Lügengeschichte nicht einzusteigen. (Beifall bei der LINKEN) Dritter Punkt: Durchlässigkeit der Bildungswege. Dieses an sich vollkommen richtige und längst überfällige Vorhaben wird zwar nicht durch diesen Antrag, aber durch die geplante und mehrfach diskutierte Föderalismusreform konterkariert. Wenn die Möglichkeiten einer gesamtstaatlichen Bildungsplanung weiter eingeschränkt werden, dann ist die geforderte und auch angekündigte Durchlässigkeit zur Hochschule nur eine Worthülse. Was nützt es, wenn einem der Zugang zukünftig nicht mehr aufgrund eines fehlenden formalen Abschlusses, sondern aufgrund eines Kapazitätsmangels verweigert wird? Für denjenigen, der versucht, an die Hochschule zu kommen, ist das Ergebnis das Gleiche. Deshalb lautet unser Appell an die Vernunft aller Beteiligten, sich gegen die vorliegenden Vorschläge aus der Koalitionsvereinbarung zur Föderalismusreform im Bildungsbereich zu wenden. (Beifall bei der LINKEN) Vierter Punkt: das Jobstarter-Programm. Sie sprechen im Antrag von „Bündelung und Fortentwicklung“ der bisherigen Programme. Ganz nebenbei - das wird eben nicht gesagt - werden die Bundesmittel deutlich gekürzt. Auch dieses Programm ist damit eine reine Luftnummer. Eine nachhaltige Förderpolitik sieht anders aus. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, um Dynamik in die Ausbildung zu bringen, sind andere Schritte notwendig. Diese vermissen wir in Ihrem Antrag. Ich möchte einige Punkte erwähnen, die aus unserer Sicht an oberster Stelle stehen müssen. Erster Punkt: Einführung einer gesetzlichen Umlagefinanzierung. (Beifall bei der LINKEN) Frau Kressl, Sie haben wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Sie auf Freiwilligkeit, dass Sie auf Appelle an die Tarifpartner setzen. Bei unserer Sachverständigenanhörung, von der ich bereits sprach, herrschte auch Konsens darüber, dass, wenn auf Branchenebene tarifliche Vereinbarungen getroffen werden sollen, im ersten Schritt eine gesetzliche Grundlage vorhanden sein muss. Wir können nicht verstehen, dass in Ihrem Antrag eine solche Möglichkeit überhaupt nicht mehr in Betracht gezogen wird. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Zweiter Punkt: eine bessere und gezielte Förderung. Es ist mittlerweile fast zynisch, dass Sie immer wieder schreiben, an dem Ziel festzuhalten, dass kein junger Mensch länger als drei Monate arbeitslos sein darf. Sie kennen die Zahlen doch genauso gut wie ich. Eine halbe Million Jugendlicher steht ohne Arbeit auf der Straße. Aus unserer Sicht ist das Jobstarter-Programm keine Lösung. Nicht die Vernetzung von regionalen Partnern ist die entscheidende Aufgabe, vielmehr müssen erst einmal Förderangebote selbst finanziert und erhalten werden. Dritter Punkt: Geschlechtergerechtigkeit. Im vorliegenden Berufsbildungsbericht wird mehrmals auf die bestehende geschlechtsspezifische Diskriminierung eingegangen. Im Antrag tauchen diese Fragen überhaupt nicht mehr auf. Frau Ministerin Schavan, auch von Ihnen habe ich dazu nichts gehört. Dynamik für Ausbildung muss aber auch mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Ausbildung bedeuten. (Beifall bei der LINKEN) Vierter und letzter Punkt: Europäisierung der Berufsbildung. Auch dazu steht nur sehr wenig im Antrag. Frau Ministerin, Sie sind darauf eingegangen. Das finden wir richtig; denn es ist sinnvoll, diese Debatte nicht an uns vorbeilaufen zu lassen. Dieser Prozess ist gestaltbar und sollte daher diskutiert und gestaltet werden. Ein großes Problem ist - ich beziehe mich dabei auf unsere Erfahrungen im Hochschulbereich , dass in diesem Zusammenhang verstärkt die Modularisierung und die vor allem von der FDP befürwortete Stufenausbildung ins Gespräch gebracht werden. Wenn Stufenausbildung faktisch weniger Ausbildung bedeutet, dann ist das definitiv der falsche Weg. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Dynamik für Ausbildung muss für uns Dynamik im Interesse der Jugendlichen und Dynamik für die immer größer werdende Zahl benachteiligter Jugendlicher sein. In diesem Sinne freuen wir uns auf die Ausschussberatungen. (Beifall bei der LINKEN)"
Ausbildungspolitik der Bundesregierung
Rede
von
Nele Hirsch,