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Ausbildung für alle ist nur mit dem Recht auf Ausbildung zu erreichen

Rede von Agnes Alpers,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei Herrn Kamp haben wir es gerade wieder erlebt: Kaum taucht das Wort Berufsbildungspolitik auf, klopfen Sie sich auf die Schultern und erzählen uns, wie gut die duale Ausbildung ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP])

Da sind wir uns doch alle einig, Herr Kamp, da gibt es doch gar keinen Widerspruch. Als Linke wollen wir das duale System stärken und vor allem Ausbildung für alle garantieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn immer noch erhalten nur zwei Drittel der ausbildungsinteressierten Schulabgängerinnen und Schulabgänger einen Ausbildungsplatz.Immer noch befinden sich 300 000 junge Menschen im sogenannten Übergangssystem. Allein in Niedersachsen waren im letzten Jahr 48 000 junge Menschen dort untergebracht; das entspricht 37,5 Prozent der Schulabgänger. Niedersachsen belegte damit direkt hinter Baden-Württemberg Spitzenplatz zwei. Das ist doch ein Armutszeugnis, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Immer noch haben wir 2,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsabschluss zu verzeichnen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und warum?)

Nur die Hälfte von ihnen ist erwerbstätig. Ohne Ausbildung werden sie ihre Lebenssituation nicht verändern können. Auch das ist ein Armutszeugnis.

Wir fordern in unserem Antrag ein umfangreiches Sofortprogramm, um Ausbildung für alle zu garantieren. Vor drei Monaten hat die Koalition einen Antrag vorgelegt, den sie als – ich zitiere – „Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel“ bezeichnet hat. Dieser Antrag ist ein Sammelsurium von Absichtserklärungen. So wollen Sie beispielsweise die Anzahl der Azubis mit Auslandserfahrung erhöhen;

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja! Das ist doch eine gute Sache!)

aber wie, das wird nicht gesagt. Die informell erworbenen Kompetenzen sollen gemessen und anerkannt werden. Das ist gut; aber wie, das wird nicht gesagt. Die Bildungsprämien wollen Sie weiterentwickeln. Auch das ist gut;

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja! Das ist alles gut!)

aber wie, dazu sagen Sie nichts. In diesem Antrag benennen Sie keine Programme und keine Konzepte, wie die Ausbildungskrise bewältigt und überwunden werden kann. Einen solchen Antrag als „Versicherung gegen Jugendarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel“ zu bezeichnen, das sind nur fromme Wünsche.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Nichts gegen fromme Wünsche, Frau Kollegin!)

Die Ausbildungsmisere will die Koalition nun folgendermaßen lösen:
Erstens. CDU/CSU und FDP setzen auf den demografischen Wandel. Für sie hat sich bereits in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel auf dem Ausbildungsstellenmarkt vollzogen. Es gebe mehr Stellen als Ausbildungsinteressierte, sagen Sie. Ich sage Ihnen: Das stimmt nicht; denn es gibt noch 2,2 Millionen Menschen bis 34 Jahre ohne Berufsabschluss. Oder wollen Sie uns hier und heute weismachen, dass all diese Menschen kein Ausbildungsinteresse haben?

(Heiner Kamp [FDP]: Ach, Frau Alpers, was soll denn das? Also bitte!)

Frau Schavan sagte gerade, dass sie das Übergangssystem in den nächsten Jahren auf null herunterfahren will. Das Bundesinstitut für Berufsbildung stellte allerdings fest, dass sich dort trotz des demografischen Wandels langfristig noch über 200 000 junge Menschen befinden werden.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man nichts ändert! Richtig!)

Fakt ist, dass die soziale Herkunft nach wie vor die Zukunft dieser jungen Menschen bestimmt. Hauptsächlich handelt es sich um junge Menschen mit niedrigem Schulabschluss, Menschen mit Behinderung, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Ausgrenzung müssen wir endlich stoppen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens wollen CDU/CSU und FDP gemeinsam mit der Wirtschaft Formen finden, mit denen man die – ich zitiere – „soziokulturellen Milieus“ ansprechen kann. Das ist verlogen; denn gleichzeitig bezeichnen Sie in Ihrem Antrag alle Menschen mit Migrationshintergrund als Ausländer, bei denen die mangelnde Ausbildungsreife klar auf der Hand liege, da die Hälfte von ihnen im Übergangssystem beginne. Mit anderen Worten: Die ethnische Herkunft, der Migrationshintergrund, ist schuld.

Meine Damen und Herren, all diese jungen Menschen sind in Deutschland geboren. Ihre Familien leben oft schon seit Generationen hier. Viele haben einen deutschen Pass. Sie wollen hier leben und sich beteiligen. Aber Sie bezeichnen all diese Menschen trotz jahrzehntelanger Integrationspolitik immer noch als Ausländer. Das ist unfassbar!

(Beifall bei der LINKEN – Ewa Klamt [CDU/CSU]: Ihre Rede ist unfassbar!)

Zwei Drittel dieser Menschen bekommen keinen Ausbildungsplatz, weil sie Ali oder Aische heißen,

(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Was? Ich glaube, ich bin im falschen Film!)

selbst dann nicht, wenn sie einen guten Realschulabschluss oder sogar Abitur haben. Meine Damen und Herren von der Koalition, wer Diskriminierung und Vorurteile in einem eigenen Antrag schürt, verschärft die soziale Ausgrenzung. Wir Linken lehnen eine solche Politik ab.

(Beifall bei der LINKEN – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Und wir machen sie nicht!)

Drittens. Auch das Argument, eine wesentliche Ursache der Misere sei die mangelnde Ausbildungsreife der jungen Menschen, nehmen wir Ihnen nicht ab.Wir haben gehört, dass sich 80 Prozent dieser jungen Menschen deshalb in dem sogenannten Übergangssystem befinden, weil keine passenden Ausbildungsplätze vorhanden sind. Das kann doch nicht sein.

Was die anderen 20 Prozent angeht, sagen wir ganz klar: Jeder muss individuell so unterstützt werden, dass er nach der Maßnahme verlässlich in Ausbildung geht. Es kann doch nicht sein, dass Hauptschüler im Durchschnitt zweieinhalb Jahre im Übergangssystem verbringen und danach vielleicht doch keinen Ausbildungsplatz erhalten und als ungelernte Kräfte in prekärer Arbeit landen. Damit müssen wir Schluss machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Frau Schavan, in Ihrer letzten Rede zum Berufsbildungsbericht im Oktober 2012 haben Sie Ausbildungsgarantie und Umlagefinanzierung als – ich zitiere – „alte Klamotte“ bezeichnet. Sie setzen auf das freiwillige und hochverantwortliche Engagement der Unternehmen. Heute haben 2,2 Millionen Menschen bis 34 Jahre keinen Berufsabschluss. Dennoch haben die Betriebe im letzten Jahr 10 000 Ausbildungsplätze weniger angeboten als 2011. In diesem Zusammenhang verweisen Sie auf gute Zahlen bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Laut BIBB hat die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge seit der Wende jedoch einen neuen Tiefstand erreicht. Frau Schavan, Ihre freiwillige Selbstverpflichtung hat noch nie funktioniert.

Mit unserem Antrag wollen wir nicht nur das Recht auf eine qualifizierte Ausbildung für alle garantieren, wir sagen auch: Wir wollen kleine Betriebe fördern, wenn sie zum ersten Mal ausbilden, wenn sie zusätzliche Ausbildungsplätze anbieten, wenn sie im Verbund ausbilden. Wir wollen alle Betriebe unterstützen, die genau die in Ausbildung bringen, die häufig ausgegrenzt sind: Menschen mit niedrigen Schulabschlüssen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung, Frauen.

Ich komme zum Schluss. Fest steht doch: Ausbildung für alle ist nur mit einem Recht auf Ausbildung und mit einer Ausbildungsumlage umzusetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)