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Aufstehen gegen Rechts - Keine Naziaufmärsche in Ostwestfalen-Lippe

Rede von Inge Höger,

Rede von Inge Höger auf der Anti-Nazi Demo in Gütersloh am 16. September 2005

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
Demokratinnen und Demokraten,

wir sind hier, um politische Verantwortung zu übernehmen. Wir sind hier, um uns einer Bewegung in den Weg zu stellen, die keinen Hehl aus ihrer Begeisterung für den Nationalsozialismus macht. Wir sind hier, um den Nazis weder in Gütersloh noch in Ostwestfalen noch sonst wo Raum zu lassen. Unsere Region, unser Land, ganz Europa zeigt noch heute die Narben der Nazi-Diktatur und ihrer unbeschreiblichen Verbrechen.

Die Faschisten haben über sechs Millionen Menschen in Konzentrationslagern ermordet. Die Faschisten haben Europa und die Welt mit einem Krieg überzogen, der 25 Millionen Menschen das Leben kostete - auf den Schlachtfeldern, in Luftschutzbunkern, auf der Flucht vor den Gewehren von Erschießungskomitees. Kaum eine Familie in Zentraleuropa, die keine Opfer aus dieser Zeit zu beklagen hat.

Wie hätte dieses welthistorische Massaker, wie hätte Hitler verhindert werden können?

Die Nazis fuhren schon in den 20er Jahren eine Doppelstrategie. Neben der Beteiligung an Wahlen betrieben sie zentral und mit größter Brutalität den Kampf um die Straße. Es ging ihnen darum, ihre politischen Gegner einzuschüchtern - das waren Kommunistinnen und Sozialdemokraten, Gewerkschaftsmitglieder, Liberale, Demokratinnen und Demokraten. Es ging ihnen darum ihre politischen Gegner aus dem öffentlichen Raum zu verjagen. Es ging ihnen darum, sich den öffentlichen Raum anzueignen. Terror, Schlägertrupps, Brandanschläge auf Synagogen, und auf Partei- und Gewerkschaftsbüros, Überfälle auf politisch Aktive - das waren von Anfang an die Mittel, mit denen die Nazis sich ihren Weg bahnten.

Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 waren die ersten Häftlinge der neu eingerichteten Konzentrationslager Gewerkschaftsmitglieder, Kommunisten und Sozialdemokratinnen. Ihre Organisationen wurden aufgelöst. Sie sollten durch Inhaftierung, Misshandlung und Einschüchterung von jedem Widerstand gegen das Terrorregime abgehalten werden. Viele wanderten daraufhin aus. Andere leisteten Widerstand unter den widrigsten Bedingungen und in Lebensgefahr.

Die heutigen Nazis kennen diese Geschichte. Auch heute pflegen sie den Aufbau von Schläger- und Mördertrupps, die sich Kameradschaften nennen. Sie marodieren durch unsere Städte, sie erschlagen Obdachlose, sie verprügeln Linke und Menschen, die sie als Ausländer betrachten, sie werfen Menschen aus fahrenden Zügen.

Und auch heute sammeln die Nazis die Verzweifelten und Perspektivlosen. Seit mehreren Jahren konzentriert die NPD ihre Wahlkampfslogans auf das wachsende soziale Elend. Sie verspricht Arbeitsplätze und eine schützende Gemeinschaft gegen den Egoismus und die immer rücksichtslosere Herrschaft des Profitdenkens in unserer Gesellschaft. Sie richtet sich an jene, die im sozialen Elend leben oder fürchten müssen, dahin abzurutschen. Sie hat damit ihren größten Erfolg in Regionen und Stadtvierteln, wo Jugendliche unter Perspektivlosigkeit und Zukunftsängsten leiden, wo ihre Eltern um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen oder zu Hungerlöhnen schuften, ohne ihre Existenz sichern zu können. Ihnen verspricht sie einfache Lösungen - aber „Ausländer raus“ ist nicht nur eine menschenverachtende Kampfansage, es ist auch keine Lösung für die sehr realen Probleme, mit denen wir es in Deutschland und in ganz Europa zu tun haben.

Denn es sind natürlich deutsche Unternehmen, die jährlich Zehntausende entlassen. Es ist der Bund der Deutschen Industrie, der eine Absenkung der Sozial- und Arbeitsstandards auf das Niveau des Manchester-Kapitalismus fordert. Es sind deutsche Bundesregierungen, die unser Gesundheitssystem ruinieren und mit den Hartz-Gesetzen die Würde und die Freiheit von Millionen Menschen einschränken - obwohl klar ist, dass auf jeden freien Arbeitsplatz, wie schlecht er auch sein mag, zehn Menschen ohne Beschäftigung kommen.

Die Arbeitslosigkeit ist ein strukturelles Problem, das uns seit 30 Jahren begleitet und das durch immer höheren Druck auf Erwerbslose und Beschäftigte nicht zu lösen ist. Wir brauchen einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor und eine Umverteilung von Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung. Wir brauchen einen handlungsfähigen, demokratischen Staat, der sich für die einfachen Menschen einsetzt und den Wohlstand gerecht umverteilt, statt den Konzernen ein Steuergeschenk nach dem anderen hinterher zuwerfen.

Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund - und der liegt oft schon Jahrzehnte zurück - sind eine Bereicherung für unser Leben. Viele von ihnen haben in den 60er Jahren schon am Wirtschaftswunder mitgearbeitet. Sie haben Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. In den 70er Jahren waren sie an wichtigen Streiks um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen beteiligt. Der Kampf für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wurde gemeinsam geführt. Aus diesen gemeinsamen Erfahrungen haben wir in den Gewerkschaften und in der politischen Linken gelernt: Wir lassen uns nicht auseinander dividieren! Nur gemeinsam sind wir stark!

Und wir haben noch etwas gelernt: Die Nazis gewinnen, wenn die demokratischen Gegenkräfte ihnen tatenlos zusehen; wenn wir ihnen die Straße überlassen; wenn wir uns nur empört abwenden, statt ihnen gemeinsam entgegenzutreten.

Und wir müssen Alternativen aufzeigen. Die Gewerkschaftsbewegung und viele fortschrittliche Menschen haben nach dem Krieg gezeigt, dass sie ein Leben in Würde für die erwerbsabhängigen Menschen und einen Sozialstaat erkämpfen wollen und können. Diese Errungenschaften werden heute massiv angegriffen.

Wir müssen diese Angriffe politisch abwehren - im Parlament, aber vor allem auch draußen, auf der Straße und in den Betrieben. Damit sichern wir nicht nur unsere Gesundheitsversorgung, die Rente und die kostenlose Bildung unserer Kinder. Wir leisten auch einen wichtigen politischen Beitrag, mit dem wir zeigen: die sozialen und demokratischen Rechte der Menschen in Deutschland sind das zentrale Anliegen der Linken, der Demokratinnen und Demokraten, der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Aus diesem Grund fordere ich alle auf, sich am 21. Oktober an den Herbstprotesten des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu beteiligen. Die Demonstrationen in fünf deutschen Städten, darunter in Dortmund, sollen groß, bunt und laut werden. Zeigen wir unseren Widerstand gegen Sozialabbau und Zukunftsangst in diesem Lande alle gemeinsam. Es geht auch anders. Eine andere Welt ist möglich.