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Auf gleichem Kurs

Rede von Oskar Lafontaine,

Die Wahlversprechen der Koalitionsparteien waren groß. Von Reformen und Aufbruch war die Rede. Doch weder Tendenzen zur Innovation noch zum Aufwärtstrend sind derzeit spürbar. Wir stellen zunächst einmal fest, dass die Politik der Regierung Merkel die Politik der Regierung Schröder/Fischer fortsetzt, und zwar in der Außenpolitik ebenso wie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Oskar Lafontaine in der Generaldebatte zum Etat des Bundeskanzleramts.

"Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Ramsauer hat, wie zu erwarten war, davon gesprochen, dass die große Koalition das Kursbuch für einen neuen Kurs vorgelegt hat. Wenn man eine Werbeagentur zurate ziehen würde, würde sie für den Verkauf immer empfehlen, von etwas Neuem, von einer Innovation zu sprechen und zu unterstreichen, dass wirklich ein Aufbruch in Deutschland stattgefunden hat, dass man also zu neuen Ufern aufbrechen will. Ich will für meine Fraktion sagen, dass die Situation sich für uns weniger vorwärts gewandt darstellt. Wir stellen zunächst einmal fest, dass die Politik der Regierung Merkel die Politik der Regierung Schröder/Fischer fortsetzt, und zwar in der Außenpolitik ebenso wie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) sowie bei Abgeordneten der SPD - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das wollen wir einmal zurückweisen hier!) Es freut mich, dass hier teilweise Beifall gespendet wird. Dies ist unsere Überzeugung. Sie können eine andere Auffassung haben. Wir begründen unsere Haltung damit, dass die wichtigen Entscheidungen der letzten Jahre - ob das Hartz IV war, ob das die Agenda 2010 war oder ob das die Beteiligung Deutschlands an völkerrechtswidrigen Kriegen war - von allen Fraktionen dieses Hauses getragen worden sind. Also sehen wir keine Veränderung der Politik durch den Wechsel zur großen Koalition. (Beifall bei der LINKEN - Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Gysi ist nach Belgrad gefahren!) Ich beginne mit der Außenpolitik - davon war schon die Rede - und stelle fest, dass die Außenpolitik auch dieser Regierung keine klare Grundlage hat. Ich will noch einmal darauf hinweisen, dass derjenige, der sich zu politischen Themen äußert, zunächst gehalten ist, die Begriffe zu klären. Wenn man zum Beispiel sagt, man stelle in den Mittelpunkt seiner Außenpolitik den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, dann muss man definieren können - ich wiederhole das -, was man unter „internationalem Terrorismus“ versteht. Wenn man dies nicht kann, dann gerät man in die Gefahr, eine Außenpolitik zu betreiben, die keine klare Grundlage hat. (Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU): Jetzt erklären Sie uns das einmal!) Deshalb will ich für die Linke hier noch einmal feststellen, dass von keiner der beteiligten Parteien bis zum heutigen Tage eine Antwort auf die Frage gegeben worden ist, was wir eigentlich unter Terrorismus und damit unter internationalem Terrorismus verstehen. Für uns ist Terrorismus das Töten unschuldiger Menschen zum Erreichen politischer Ziele. (Beifall bei der LINKEN) Unter diesem Gesichtspunkt waren die Attentäter, die in das World Trade Center geflogen sind und 3 000 Unschuldige umgebracht haben, natürlich Terroristen. Unter diesem Gesichtspunkt sind natürlich auch die jungen Menschen, die als Selbstmordattentäter in tragischer Weise sich ihr Leben nehmen und Unschuldige mit in den Tod ziehen, Terroristen. Unter diesem Gesichtspunkt sind aber auch - dieser Erkenntnis verschließt sich die Mehrheit in diesem Hause - die Bombardierungen von Städten und Dörfern in Afghanistan oder im Irak terroristische Akte, (Beifall bei der LINKEN) die man genauso qualifizieren muss wie die Handlungen, die ich vorher beschrieben habe. Da Sie diesem Urteil ausweichen, hat Ihre Außenpolitik an dieser Stelle keine klare Grundlage. Die zweite Frage ist, ob Sie tatsächlich der Auffassung sind, dass die Kriege im Vorderen Orient Kriege für Freiheit und Demokratie sind. Wir haben eine ganz andere Auffassung. Ich habe schon des Öfteren Oswald Spengler zitiert, der in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Außenpolitik definierte als Kämpfe um Rohstoffe und Absatzmärkte. Nach unserer Auffassung trifft diese konservative Definition auf die Außenpolitik der führenden Supermacht des Westens nach wie vor zu: Ihre Außenpolitik ist kein Kampf um Demokratie und Frieden, sondern sie ist nach wie vor ein Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte. Das gilt in vollem Umfang in Bezug auf den Vorderen Orient. (Beifall bei der LINKEN) Die dritte Frage, die Sie nicht beantwortet haben, ist, ob Sie sich im Rahmen der Außenpolitik an das Völkerrecht halten wollen. Das ist doch eine relevante Frage. (Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haben Sie sich nicht für die Folter ausgesprochen?) Darauf komme ich bei Gelegenheit zu sprechen. Verehrte Frau Roth, Sie waren Menschenrechtsbeauftragte, als zahlreiche Rechtsbrüche hier in Deutschland - Entführungen, Folter - stattgefunden haben. (Beifall bei der LINKEN) Offensichtlich haben Sie in dieser Zeit gepennt. Für meine Fraktion möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Wer durch die Unterstützung völkerrechtswidriger Kriege für den Tod Tausender Unschuldiger mitverantwortlich ist, der soll in diesem Hause nicht über Menschenrechte reden. Das ist unsere Position in dieser Frage. (Beifall bei der LINKEN - Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Lächerlich!) Ich werfe also noch einmal die Frage auf, ob Sie sich an das Völkerrecht halten wollen. (Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie war das mit der Folter, Herr Lafontaine? - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt zum Thema Folter!) - Ja, regen Sie sich nur auf! Das macht durchaus Freude. Dann weiß man, dass Sie getroffen sind. (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich stelle also die Frage, ob Sie sich an das Völkerrecht halten wollen. Es ist bekannt, dass weder der Jugoslawienfeldzug (Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jugoslawienfeldzug? Ihre Begrifflichkeit verrät Sie!) noch der Afghanistankrieg mit dem Völkerrecht zu vereinbaren waren. Weniger bekannt ist, dass auch der Irakfeldzug von Deutschland mit getragen worden ist. Wenn das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass Deutschland Beihilfe zum Irakkrieg geleistet hat (Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Ist Herr Gysi gerade in Weißrussland?) und dass die Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Krieg ebenfalls ein völkerrechtswidriges Handeln darstellt, dann wäre doch zu erwarten, dass sich dieses Haus mit diesem höchstrichterlichen Urteil beschäftigt. Aber das ist in den letzten Wochen und Monaten nicht geschehen. (Beifall bei der LINKEN) Die Außenpolitik hat keine klare Grundlage. Weder definiert sie, was Terrorismus ist, noch erklärt sie sich zu der Frage, ob es hier um Freiheit und Demokratie oder um Rohstoffsicherung geht, noch hat sie klar erkannt, dass das Völkerrecht beachtet werden muss, wenn wir überhaupt Friedenspolitik betreiben wollen. Insofern steht die Außenpolitik auf tönernen Füßen. Es besteht nachher Gelegenheit, diese drei Sachargumente zu entkräften. (Hubertus Heil (SPD): Gern!) Wir sind sehr gespannt darauf. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich komme zur Europapolitik und damit auch zur Frage der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Herr Kollege Ramsauer, Sie haben die Europapolitik der neuen Regierung, die eine Fortsetzung der bisherigen ist, für richtig befunden. Wir glauben, dass es in den letzten Jahren zwei gravierende strukturelle Fehlentwicklungen gegeben hat. Das eine ist der Maastrichtvertrag und das andere ist die Verfassung der Europäischen Zentralbank. Niemand im angelsächsischen Raum käme auf die Idee, eine Zentralbankverfassung zu verabschieden, wie wir sie in Europa haben. Eine Zentralbank, die ausschließlich dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist, neigt zu gravierenden Fehlentscheidungen, die insbesondere Wachstum und Beschäftigung hemmen. Wir haben das in den letzten Jahren oft genug erlebt. Ich möchte also für meine Fraktion hier feststellen, dass es das Mindeste wäre, die Verfassung der Europäischen Zentralbank an die Verfassung der amerikanischen Notenbank anzupassen. (Beifall bei der LINKEN) Die amerikanische Notenbank ist nämlich nicht nur auf Preisstabilität verpflichtet, sondern sie ist ebenso verpflichtet, Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Es ist bedauerlich, dass die Europäische Zentralbank in der jetzigen Situation, in der es in Europa noch keine klare Aufwärtsbewegung gibt, wiederum dabei ist, den Kurs der Zinspolitik zu ändern. Wir werden das in einiger Zeit, insbesondere in Deutschland, zu spüren bekommen. Nun zum Maastrichtvertrag. Vorhin war von naturwissenschaftlicher Ausbildung die Rede. Einen Grundsatz lernt man bei dieser Ausbildung, nämlich dass man die Theorie überprüft, wenn das Experiment sie permanent widerlegt. (Beifall bei der LINKEN) Dass der Maastrichtvertrag durch das Experiment bestätigt worden ist, kann nur jemand behaupten, der sehr, sehr kühn ist. Der Maastrichtvertrag ist eine Fehlkonstruktion von Anfang an. Er hindert die Mitgliedstaaten der Europäischen Union daran, eine vernünftige Fiskalpolitik zu betreiben. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Nein, Schulden zu machen!) Daher müsste er nicht nur ein bisschen korrigiert werden, sondern er müsste grundlegend reformiert werden, wenn wir Wachstum und Beschäftigung in Europa tatsächlich wollen. (Beifall bei der LINKEN) Ich komme zur Innenpolitik und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dabei spreche ich zwei Felder an. Das eine ist die Finanzpolitik. Das andere ist die Lohnpolitik. Der Bundesfinanzminister hat hier davon gesprochen, dass seine Finanzpolitik nach seinem Urteil eine Finanzpolitik der doppelten Tonlage sei. Ich kann diese Selbsteinschätzung nicht in vollem Umfang teilen, Herr Finanzminister. Ich glaube, dass Sie hier weiterhin das eintönige Lied des Neoliberalismus gesungen haben; insofern konnte ich von doppelter Tonlage leider nichts erkennen (Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Was ist daran eintönig?) Herr Kollege Westerwelle, manchmal ist das Lied des Neoliberalismus auch sehr farbig, aber es ist besonders eintönig und bitter für diejenigen in unserem Land, die davon negativ betroffen sind, und das sind in den letzten Jahren immer mehr geworden. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP): Ich bringe Ihnen noch mal einen Ausschnitt aus dem Geschichtsbuch!) Zunächst noch zur Grundausrichtung der Finanzpolitik. Wenn Sie sagen, Herr Bundesfinanzminister, die Finanzpolitik unterstütze Wachstum und Beschäftigung, dann müssen Sie das irgendwie begründen können. Sie müssen zumindest irgendwie belegen können, dass die Finanzpolitik expansiv ist. Das ist sie aber nicht. Sie werden hier kein Institut zitieren können, das Ihrer Finanzpolitik einen expansiven Impuls bestätigt. Vielmehr ist es so, dass nicht nur der Bundeshaushalt zurückgeht, sondern auch die Gesamtheit der öffentlichen Haushalte. Wenn die Gesamtheit der öffentlichen Haushalte zurückgeht, ist die Finanzpolitik - das sollte man hier feststellen - nicht expansiv, sondern eher restriktiv. Über Zahlen kann man nicht streiten, es sei denn, man redet sich die Welt schön oder verliert sich in irgendwelchen ideologischen Betrachtungen, die mit einer sachlichen Erörterung überhaupt nichts zu tun haben. (Beifall bei der LINKEN - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie waren Finanzminister! Sie hätten das machen können!) Aber nicht nur die Haushaltspolitik ist der gegenwärtigen konjunkturellen Lage nicht angemessen. Noch viel mehr gilt das für die Steuerpolitik. Aber dazu möchte ich das nach unserer Auffassung bestehende Kernproblem der gegenwärtigen ökonomischen Entwicklung in Deutschland formulieren, nämlich wie man die Ersparnisse wieder zurücklenkt in Investitionen. Wenn man dies als Kernaufgabe akzeptiert, dann muss man zunächst feststellen, dass dazu von Ihrer Regierung überhaupt nichts angeboten wird. Das, was vorgelegt wird, sind allenfalls Trippelschrittchen; in Wirklichkeit geschieht viel zu wenig. Dass dies das Kernproblem ist, können Sie dem jüngsten Bericht der Bundesbank entnehmen. Dort steht, bezogen auf das letzte Jahr, schlicht und einfach: Somit wurde das inländische Sparaufkommen, anders als in den 90er-Jahren, nicht mehr in vollem Umfang von der gesamtwirtschaftlichen Sachkapitalbildung im Inland absorbiert. Anders ausgedrückt: Es gelingt eben nicht mehr, die Ersparnisse in unserem Lande in die Investitionen zu lenken. Vielmehr wurde ein beträchtlicher und steigender Teil dem Ausland zur Verfügung gestellt. Die deutsche Wirtschaftspolitik darf nicht zulassen, dass die Ersparnisse, die hier gebildet werden, nicht mehr hier in Investitionen fließen, sondern dem Ausland zur Verfügung gestellt werden. Die Frage ist, wie wir das ändern können. (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir überlegen, wohin unsere Investitionen gelenkt werden können, dann müssen wir uns auf die einzelnen Felder konzentrieren. Zunächst einmal - darauf hat meine Kollegin Gesine Lötzsch gestern bereits hingewiesen - ist die Quote öffentlicher Investitionen Deutschlands anzusprechen. Das ist einfach nicht mehr zu fassen. Wieso glauben wir, dass wir uns als ein Industriestaat, der in seiner Bedeutung für Europa von Ihnen, Herr Kollege Ramsauer, gepriesen worden ist, weiter eine Quote öffentlicher Investitionen erlauben können, die seit vielen Jahren nur halb so hoch ist wie im Durchschnitt der EU-Mitgliedstaaten? Wieso glauben wir, wir können das auf Dauer durchhalten? (Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Das müssen jetzt ausgerechnet Sie sagen!) Keine Volkswirtschaft kann auf Dauer zu Wachstum und Beschäftigung finden, wenn nicht die öffentlichen Investitionen einen entsprechenden Anteil an der gesamten volkswirtschaftlichen Entwicklung haben. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Aber die privaten Investitionen auch! Das müsste der Ökonom Lafontaine gut wissen!) Seit vielen Jahren werden an dieser Stelle gravierende Fehler gemacht. Noch wichtiger als Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind Investitionen in die geistige Infrastruktur. Auch hier kann man nur sagen: Es ist angesichts der Tradition dieses Landes nicht zu fassen, dass wir bei den Bildungs- und Forschungsausgaben im unteren Drittel der OECD-Statistik liegen. Das ist ein unhaltbarer Zustand. (Beifall bei der LINKEN) Auch die jetzigen Entscheidungen der Regierung Merkel ändern nichts daran. Wenn wir wirklich zu den Industriestaaten aufschließen wollen, die in den letzten Jahren mehr Wachstum und Beschäftigung geschaffen haben, brauchen wir eine andere Quote öffentlicher Investitionen und deutlich mehr Ausgaben für Forschung und Bildung. Das ist die beste Investition in die Zukunft eines Volkes. (Beifall bei der LINKEN) Nun stellt sich natürlich die Frage, wie man dies bewerkstelligen kann. Damit komme ich zur Steuer- und Abgabenquote. Ich hatte Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, beim letzten Mal die simple Frage gestellt, welche Steuer- und Abgabenquote Sie eigentlich anstreben. In einer seriösen Debatte über Haushaltspolitik müsste diese Frage beantwortet werden können. Man müsste doch wissen, was man eigentlich will. Wenn man einen Haushaltsplan aufstellt, muss man sich die Frage stellen, wie man die Einnahmeseite und die Ausgabenseite gestaltet. Aber offensichtlich ist diese Frage aufgrund irgendwelcher ideologischer oder anderer Barrieren in Deutschland überhaupt nicht mehr zu stellen. Deshalb sage ich hier noch einmal: Wir haben eine völlig unterdurchschnittliche Steuer- und Abgabenquote. Sie liegt nach der jetzigen Statistik bei 34 Prozent. Wir liegen damit um 6 Prozent unter dem europäischen Durchschnitt. Umgerechnet auf unser Sozialprodukt sind das rund 130 Milliarden Euro. Das werden wir auf Dauer nicht durchhalten können, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN) Dabei ist noch nicht einmal eingerechnet, dass wir die Einheit finanzieren müssen. Das ist eine unglaubliche Fehlentwicklung der Haushaltssteuerung in den letzten Jahren, die hier nur ganz bescheiden korrigiert werden soll. Sie haben darauf hingewiesen, dass sie korrigiert werde, und sprachen dann von der Mehrwertsteuer. Es war nur wirklich nicht akzeptabel, dass Sie, Herr Kollege Ramsauer, in diesem Zusammenhang von einer Übereinstimmung zwischen Reden und Handeln sprachen. Die Mehrwertsteuer ist leider ein eklatantes Beispiel dafür, wie Parteien dazu beitragen, dass die Bevölkerung immer politikverdrossener wird und sich immer mehr Menschen weigern, zur Wahlurne zu gehen. (Beifall bei der LINKEN) Hier haben sich die beiden Parteien der großen Koalition eines Wahlbetruges schuldig gemacht. (Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Haben Sie unser Wahlprogramm nicht gelesen?) Das möchte ich im Rahmen der Generaldebatte ansprechen. Wenn eine Partei sagt, sie befürworte eine Mehrwertsteuererhöhung um 2 Prozent, die andere Partei heilige Eide auf 0 Prozent Mehrwertsteuererhöhung schwört und am Schluss 3 Prozent herauskommen, dann ist die Bevölkerung der Bundesrepublik erbost, weil sie sich betrogen fühlt, und geht eben nicht mehr zu den Wahlurnen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Hellmut Königshaus (FDP)) Das kann man Ihnen nicht so ohne weiteres durchgehen lassen. Dass Ihre Steuerpolitik, und zwar die Steuerpolitik aller mit uns konkurrierenden Parteien, in den letzten Jahren auf einem völlig falschen Pfad war, hat die Bundesbank ebenfalls festgestellt. Ich zitiere: Die Untersuchung zeigt, dass für den starken Defizitanstieg nach dem Jahr 2000 zwar auch konjunkturelle Einflüsse eine Rolle gespielt haben. Ausschlaggebend war aber der Rückgang der strukturellen Einnahmequote … Deutlicher kann man dies nicht sagen. Ich will es einmal anders formulieren: Hätten Sie die Steuerreform 2000 nicht beschlossen, hätten Sie kein einziges Jahr die Maastrichtkriterien verfehlt. Auch dies ist in ungezählten Untersuchungen dargestellt worden. Also stimmt die Steuer- und Abgabenquote nicht. So einfach wie der Bundesfinanzminister darf man es sich nicht machen: Wenn er sagt, die einzige Alternative, die wir hätten, sei entweder eine Mehrwertsteuererhöhung oder eine drastische Kürzung bei Renten oder anderen Sozialausgaben, dann ist dies eine Irreführung der Bevölkerung, die wir Ihnen nicht durchgehen lassen können, Herr Bundesfinanzminister. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben diese Behauptung zwar vielfach wiederholt, trotzdem bleibt sie schlicht und einfach eine Irreführung der Bevölkerung. Es sind 20 bis 30 andere Alternativen denkbar. Sie wissen, dass wir eine Alternative immer wieder ins Gespräch bringen: Statt dem Volk ständig in die Tasche zu greifen, sollten Sie einmal den Mut haben, auch den Wohlhabenden in Deutschland in die Tasche zu greifen. (Beifall bei der LINKEN) Denn die Entwicklung der Einkommen und Vermögen läuft so stark auseinander, dass dies dringend geboten ist. An dieser Stelle haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, den freundlichen Hinweis gegeben - ich bin ja dankbar, wenn ich von Ihnen etwas lernen kann -, (Zuruf von der SPD: Genau!) dass das Kapital mobil sei. Sie waren also der Meinung, diese Tatsache sei mir nicht geläufig. Herr Bundesfinanzminister, ich wohne an der deutsch-luxemburgischen Grenze und ich habe mich schon, als Sie noch andere Funktionen hatten, mit der Kapitalflucht beschäftigt. (Lachen bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Aha!) Ich habe noch keinen von euch erwischt. Deswegen braucht ihr jetzt nicht zu lachen. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) Gehen Sie einmal getrost davon aus, dass ich sehr wohl weiß, dass die Kapitalflucht ein Problem ist. So wie ich vorhin auf die Methoden der Naturwissenschaft verwiesen habe, möchte ich Ihnen einen hilfreichen Hinweis zur Wirtschafts- und Finanzpolitik geben. Wenn wir in der Schule die uns gestellten Aufgaben nicht lösen konnten, dann waren wir zumindest so schlau, (Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Gespickt!) vom Nachbarn abzugucken, der es besser gewusst hat. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das ist lebensnah!) Das ist eigentlich auch etwas, was man von Ihnen erwarten könnte. Anscheinend ist das aber zuviel verlangt. Wenn Sie hier mit der Ihnen eigenen Chuzpe sagen, wegen der drohenden Kapitalflucht könnten wir die Vermögen in Deutschland nicht besteuern, dann muss man doch die Frage stellen, warum in vielen anderen Industriestaaten eine ordentliche Vermögensbesteuerung möglich ist. Täuschen Sie das Volk nicht in dieser unverschämten Art und Weise, wenn es darum geht, Vermögen in Deutschland zu besteuern! (Beifall bei der LINKEN) Wir sollten nicht so tun, als wären wir allein auf der Welt und als hätten anderen Staaten keine Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht. Es dürfte Ihnen sicher möglich sein, sich in Ihrem Hause die OECD-Statistik über die Vermögensbesteuerung zu beschaffen. Dann könnten Sie sehen, dass wir hinsichtlich der Vermögensbesteuerung im Vergleich zu anderen Industriestaaten weit zurückliegen, insbesondere im Vergleich zu den angelsächsischen Staaten. Ich möchte noch einmal einen Vorschlag machen, den ich hier schon einmal vortragen durfte. Dieser Vorschlag ist für jeden überprüfbar; man kann Ja oder Nein dazu sagen. Das deutsche Geldvermögen - betroffen sind also nicht das Sachkapitalvermögen und das Immobilienvermögen - beträgt 4 000 Milliarden Euro. Die Hälfte davon gehört dem einen Prozent der Bevölkerung, das Sie vorhin teilweise angesprochen haben, Herr Kollege Ramsauer. Das sind 2 000 Milliarden Euro. Wenn man dieses Vermögen mit 5 Prozent besteuert - ich sage zum Verständnis, dass die Durchschnittsrendite für dieses Geldvermögen derzeit weit über 7 Prozent liegt , dann kann man 100 Milliarden Euro pro Jahr an Mehreinnahmen für die öffentliche Hand erzielen. (Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Und wenn das Vermögen weg ist? Was ergeben dann die 5 Prozent?) Wieso greifen Sie über die Mehrwertsteuererhöhung nur dem Volk in die Tasche und wieso sind Sie nicht in der Lage, an das Vermögen der Wohlhabenden zu gehen? Das ist eine durchaus beschämende Entwicklung. Weil ich gerade in Richtung der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands blicke, möchte ich Sie daran erinnern, dass die stolze Feststellung des Bundesfinanzministers, dass wir mit die niedrigste Steuerquote in Europa haben, vor Jahren auf jedem SPD-Parteitag mit großem Missfallen entgegengenommen worden wäre. Dass Sie dies jetzt als eine große Leistung verkünden, zeigt, wie sehr sich diese Partei gewandelt hat. (Beifall bei der LINKEN) Es zeigt auch, wie sehr sich Ihre Einstellung zu den Staatsaufgaben und zu den Aufgaben der öffentlichen Hand grundsätzlich verändert hat. Das hat große Nachteile für die Beschäftigten und Arbeitslosen in diesem Land. Wir brauchen eine andere Steuerpolitik. Ich habe Ihnen dazu Vorschläge gemacht. Es bestände dann die Möglichkeit, das Barvermögen - davon ist im Bericht der Bundesbank die Rede - in Richtung öffentliche Investitionen und in Bildungsinvestitionen umzulenken. Es ist ein einfacher Weg. Aber aus ideologischer Verblendung heraus wollen Sie diesen Weg nicht gehen, der ein Kernproblem unserer Volkswirtschaft lösen würde. (Beifall bei der LINKEN) Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte - man kann dies nicht oft genug tun -, ist die Lohnentwicklung in Deutschland. Sie ist leider die miserabelste aller Industriestaaten. Seit zehn Jahren haben wir kein Reallohnplus mehr in Deutschland. Die Statistik weist einen Rückgang von minus 0,9 Prozent aus. Vergleichbare Staaten hatten in zehn Jahren ein Plus von real 20 Prozent wie etwa die USA oder von 25 Prozent wie Großbritannien und Schweden zu verzeichnen. Nun werden Sie sagen: Wir haben damit gar nichts zu tun. - Das ist allerdings noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Natürlich sind die Politik der Bundesregierung und die Politik der Länderregierungen mit konstituierend für die Möglichkeiten gewerkschaftlicher Durchsetzung in Deutschland. Wenn Sie beispielsweise - um ein aktuelles Thema aufzugreifen - immer noch dem abgelutschten Bonbon der Arbeitszeitverlängerung als Motor der Beschäftigungsentwicklung anhängen, sind Sie auf dem völlig falschen Weg. (Beifall bei der LINKEN) Die Arbeitszeitverlängerung ist eines der Betrugswörter des Neoliberalismus, das Sie ununterbrochen gebrauchen. Die Arbeitszeitverlängerung ist ein Begriff, der etwas intendiert, worum es gar nicht geht. Es geht nicht um eine Verlängerung der Arbeitszeit, sondern einzig und allein um eine Verlängerung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn, das heißt um eine Stundenlohnkürzung und um nichts anderes. (Beifall bei der LINKEN) Wer eine Stundenlohnkürzung will, soll das dann auch sagen. Es ist ein Trauerspiel, dass eine Partei - ich sehe sie hier , die in ihrem Grundsatzprogramm, das ich miterarbeitet habe, Arbeitszeitverkürzungen vorsieht und nach wie vor die 30Stunden-Woche propagiert, bei dieser Arbeitszeitverlängerung bzw. Stundenlohnkürzung mitmacht. Das ist wirklich eine traurige Fehlentwicklung. (Beifall bei der LINKEN) Wer allerdings glaubt, in der jetzigen Situation der lahmenden Binnennachfrage in Deutschland über Stundenlohnkürzungen irgendeinen Beitrag zu mehr Wachstum und Beschäftigung leisten zu können, ist nicht mehr ganz bei Trost; um dies einmal in aller Klarheit zu sagen. (Beifall bei der LINKEN) Weil wir den verhängnisvollen Trend der negativen Lohnentwicklung in Deutschland durchbrechen müssen, wenn wir in irgendeiner Form etwas für Wachstum und Beschäftigung erreichen wollen, vertritt meine Fraktion nach wie vor die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Wir haben nun einmal eine solch negative Lohnspirale in Deutschland, dass es für dieses Parlament dringend geboten ist, diesen Negativtrend aufzuhalten. Wir haben bereits Tariflöhne von unter 4 Euro pro Stunde. Dies kann nicht mehr hingenommen werden. Die Verfassung unseres Landes, die in Art. 1 die Menschenwürde schützt, verpflichtet uns dazu, in Deutschland Löhne sicherzustellen, von denen ein Arbeitnehmer, der arbeitet, auch anständig leben kann. Das ist die Idee des Mindestlohns. (Beifall bei der LINKEN) Ich möchte noch etwas zu den sozialen Sicherungssystemen sagen. Sie haben eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung, die weitgehend verkannt wird. Wenn man nur darüber redet, wie hoch der Beitragssatz sein soll, verkennt man die Aufgabenstellung völlig. Wenn man nur darüber redet, welchen Prozentsatz vom Netto- oder Bruttolohn die Rente irgendwann einmal ausmachen soll, wird die entscheidende Frage ausgeklammert. Es kann nicht sein, dass bei der Gestaltung der sozialen Sicherungshöhe die Frage im Zentrum steht, wie hoch der Beitragssatz sein darf. Im Hinblick auf die Rente sollte man doch fragen, wie viel Geld ein älterer Mitbürger braucht, um anständig leben zu können. (Beifall bei der LINKEN) Was soll diese ganze Beitragssatzphilosophie, die Sie hier seit vielen Jahren fälschlicherweise vertreten? Diese Beitragssatzphilosophie führt zu Fehlentscheidungen. Auf den Beitrag starrend, verlieren Sie die entscheidende Frage bei den sozialen Sicherungssystemen völlig aus dem Auge. Sie haben sich zudem an dieser Stelle einer Irreführung schuldig gemacht, indem Sie gesagt haben, es gehe um Beitragssatzstabilität. Es ging Ihnen ausschließlich um Beitragssatzstabilität für die Unternehmerseite, während die Arbeitnehmer die Zusatzlasten in großem Umfang allein aufgebürdet bekamen. Diese schäbige Fehlentwicklung muss ich hier feststellen. (Beifall bei der LINKEN) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Es gab in den letzten Jahren eine Politik, die im Ergebnis leider nicht bestätigt worden ist. Denn nur auf das Ergebnis kommt es an. Die Politik der letzten Jahre hatte zum Ziel, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Das ist nicht gelungen. Diese Politik, die Sie, meine Damen und Herren von der großen Koalition, fortsetzen, trägt nicht zu mehr Wachstum und Beschäftigung bei. Sie wird also die Arbeitslosigkeit ebenso steigern wie die Politik der Vorgängerregierung. (Anhaltender Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): Huldigt ihm!) Nachdem die Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Generaldebatte um dem den Etat des Bundeskanzleramts gesprochen hatte, ergiff Oskar Lafontaine noch einmal das Wort. MEHR"