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Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte bei Insolvenzen besser schützen

Rede von Richard Pitterle,

55. Sitzung des Deutschen Bundestages
Berlin, Donnerstag, 8. Juli 2010

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Richard Pitterle spricht für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Richard Pitterle (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für das Jahr 2010 werden 40 000 Unternehmensinsolvenzen erwartet. Daher ist das heutige Thema sehr aktuell. Die in der Insolvenzordnung vorhandenen Möglichkeiten eines Insolvenzplanverfahrens wurden kaum genutzt; da stimme ich zu. Auch ist die Aussage im Antrag der Grünen richtig, dass wir das vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren im Interesse des Erhalts vieler Unternehmen und damit auch der Arbeitsplätze dringend benötigen. Im Antrag wird die Regierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Medienberichten von vor zwei Tagen entnehme ich, dass ein solcher Entwurf bereits in der Schublade der Justizministerin liegt. Da wird es Zeit, die Schublade zu leeren, damit wir im Parlament zur Diskussion und Beschlussfassung kommen. Ich frage mich: Warum ist die Bundesregierung so lange untätig geblieben? Ich sage aber auch: Besser spät als nie.
Grundsätzlich begrüßen wir Linke die Stoßrichtung des vorliegenden Antrags. Wenn man das Insolvenzrecht reformieren will, muss man meines Erachtens auch die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedenken; denn nur mit motivierten Beschäftigten ist eine Sanierung von Unternehmen überhaupt denkbar. Hier besteht bei dem Antrag Ergänzungsbedarf.
(Beifall bei der LINKEN)
In meiner Tätigkeit als Fachanwalt für Arbeitsrecht habe ich wiederholt Fälle erlebt, in denen der Insolvenzverwalter von den Beschäftigten gefordert hatte, ihre bereits erhaltene Arbeitsvergütung zurückzuzahlen. Das muss man sich vorstellen: Da bekommt ein Arbeitnehmer sechs Monate lang die Hälfte des vertraglichen Lohns, bleibt trotzdem im Betrieb, weil der Chef sagt, es sei Land in Sicht; dann folgt die Insolvenz und der Insolvenzverwalter will von ihm Geld zurück. - Das müssen Sie einem solchen Arbeitnehmer erklären; er versteht die Welt nicht mehr. Doch nach § 130 Insolvenzordnung sind Lohnansprüche anfechtbare Gläubigerforderungen im Insolvenzverfahren anstatt geschützte Masseforderungen. Ich finde, das müssen wir ändern.
(Beifall bei der LINKEN)
Genauso ungerecht ist es, wenn sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen bereit erklären, gegen eine Sozialplanabfindung aus dem Betrieb auszuscheiden; geht der Betrieb dann in die Insolvenz, gehen sie leer aus und müssen ihren Abfindungsanspruch zur Insolvenztabelle anmelden.
Zusammen mit dem DGB sind wir der Meinung, dass die Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis Vorrang vor anderen Gläubigeransprüchen haben müssen. Genau so ist es im französischen Insolvenzrecht geregelt; das wollen wir auch hier.
(Beifall bei der LINKEN)
Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die Auszahlung des Lohns von existenzieller Bedeutung,
(Zuruf von der CDU/CSU: Für manche Unternehmer auch!)
ganz im Gegensatz zum Beispiel zur finanzierenden Bank, die legitimerweise ihre Kreditraten erhalten möchte, jedoch nicht in gleicher Weise darauf angewiesen ist.
Genauso wichtig ist es, dem Betriebsrat ein Vetorecht gegen die Einsetzung eines Insolvenzverwalters einzuräumen. Während sich früher in Deutschland circa 50 Insolvenzverwalter um die Aufträge durch das Insolvenzgericht bemühten, sind es heute circa 2 000. Jeder, der sich in dem Bereich nur ein wenig auskennt, weiß jedoch: Mehr Quantität geht hier nicht mit mehr Qualität einher. Daher bin ich mir an dieser Stelle mit den Antragstellern einig, dass Regelungen zur Auswahl der Insolvenzverwalter dringend nötig sind.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Interesse der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fordern wir insbesondere eine bessere Absicherung der Arbeitszeitkonten und der Altersteilzeit im Blockmodell gegen die Insolvenz, die Streichung der verkürzten Kündigungsfristen und der Namenslisten in der Insolvenzordnung, eine Verbesserung der Insolvenzgeldregelung sowie die Verankerung von Ansprüchen des Betriebsrats auf Auskünfte zum Stand des Verfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter in der Insolvenzordnung.
Wie Sie sehen, gibt es viel zu diskutieren. Es ist höchste Zeit, damit anzufangen. Ich sehe: Meine Zeit ist abgelaufen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Daher kommt jetzt das Wichtigste: der Schluss.
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Sie haben die Redezeit auf die Minute genau eingehalten. Das war sozusagen fast protestantischer Redezeitethos.