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Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zum Jugendstrafrecht

Rede von Jörn Wunderlich,

Das Problem „Jugendstraftäter“ besteht in dem Zustand der Gesellschaft, in den sozial ungerechten Verhältnissen, die delinquentes Handeln befördern. Vorrangige Probleme sind die verfehlte Schul- und Bildungspolitik, die völlig unzureichende personelle und materielle Ausstattung der Justiz und der Bewährungshilfe, der Jugendämter und die fehlenden sozialen Betreuungsangebote für Jugendliche und Heranwachsende in den Kommunen. Aber nach Auffassung der Bundesregierung gibt es Defizite nicht im Bereicht der Gesetzgebung, sondern in deren Umsetzung.

Jugendstrafrecht im 21. Jahrhundert, welche Erwartungen, welche Änderungen sind erforderlich, welche Forderungen seitens der Regierung berechtigt?

Auch wenn die Bundesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage den gegenteiligen Eindruck erwecken will, war eines der wesentlichen Ziele in dieser Legislatur, das Jugendrecht dem Erwachsenenstrafrecht anzunähern. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Heranwachsende geht bei einer notwendigen Verbesserung des Jugendrechts im Sinne einer weiteren Orientierung auf Erziehung und Resozialisierung in die völlig falsche Richtung.

Erstaunlich ist schon, dass die Regierung in der Antwort auf die Große Anfrage feststellt, dass wichtige Handlungsfelder im Bereich der Jugenddelinquenz eben nicht die Gesetzgebung, sondern Defizite in der praktischen Umsetzung betreffen, sei es die Beschleunigung von Verfahrensabläufen, bis zur Vollstreckung, ausreichende personelle und sachliche Ausstattung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichten, ganz zu schweigen von der Jugendgerichtshilfe. Allerdings, und da wird wieder das Katz-und-Maus-Spiel betrieben, liegt dies doch alles dummerweise in der Zuständigkeit der Länder.

Umso erschreckender ist es, dass im Rahmen der Föderalismusreform auch die Kompetenz zur Regelung des Jugendstrafvollzugsrechts auf die Länder übertragen wurde. Erst wird die Verantwortung weggeschoben, und dann heißt es: „Ja, da können wir ja leider nichts machen.“

Und soweit die Bundesregierung die Verschärfung des Jugend(straf)rechts immer wieder zum Wahlkampfthema macht - ich möchte in diesem Zusammenhang nur an die extremistischen Parolen eines gewissen Herrn Koch aus Hessen erinnern -, widerlegt sie sich selbst, indem sie sich auf ein übereinstimmendes Fazit von diversen Forschungsergebnissen bezieht, dass die Befürchtung spezialpräventiv negativer Wirkung in den Fällen, in denen härtere Sanktionen durch weniger eingriffsstarke ersetzt worden sind, sich nicht bestätigt hat. Für die behauptete Überlegenheit härterer Sanktionen gibt es keine empirische Basis (Antwort auf Frage 39 der Drucksache). Im Gegenteil, die Rückfallquoten bei harten Sanktionen sprechen eine ganz andere Sprache.

Das Problem besteht in dem Zustand der Gesellschaft, in den sozial ungerechten Verhältnissen, die delinquentes Handeln befördern. Vorrangige Probleme sind die verfehlte Schul- und Bildungspolitik, die völlig unzureichende personelle und materielle Ausstattung der Justiz und der Bewährungshilfe, der Jugendämter und die fehlenden sozialen Betreuungsangebote für Jugendliche und Heranwachsende in den Kommunen. Grund ist die Streichung von finanziellen Mitteln in allen öffentlichen Bereichen. Es gilt vordringlich, die bestehenden Defizite im Bereich Bildung und Kultur, Jugendpolitik und Kommunalpolitik zu beheben. Klammer zwischen diesen Problemen, die Ursache der Kriminalität sind, ist die Sozialpolitik. Die Mittel für Jugend- und Familienhilfen müssen erhöht werden. Die Angebote in der Kinder- und Jugendsozialarbeit müssen ausgebaut und für jeden zugänglich gemacht werden.

Im Bereich der Strafprävention muss man ansetzen, bevor Kinder zu jugendlichen Gewalttätern werden. Das bedeutet, Beratungsstellen für Eltern zu schaffen, ein Aufwachsen in Kinderarmut und ohne Bildungschancen etc. zu verhindern, gute Betreuungsangebote zu schaffen für Kinder und Jugendliche und generell alle mit Kindern und Jugendlichen befassten Stellen miteinander zu vernetzen.

Förderlich ist ein schnelles Strafverfahren. Die schnelleren Verfahren können jedoch nur durch bessere personelle - also auch finanzielle - Ausstattung von Gerichten, Staatsanwaltschaften und der Jugendgerichtshilfe gesichert werden. Und hier tragen sowohl CDU/CSU als auch die SPD langjährige (Landes-)Verantwortung. Es müssen jeweils spezialisierte Staatsanwälte und Richter/ -innen im gesamten Verfahren auftreten. Aber auch der Vollzug muss gestärkt, also finanziell gefördert werden. Immerhin erkennt die Bundesregierung, dass wirkungsvolle ambulante Maßnahmen einen erheblichen Zeitaufwand erfordern, drückt die Zuständigkeit aber in die Länder ab, in der Hoffnung, dort werde dies berücksichtigt, wobei Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass nach der Personalbedarfsberechnung „PEBB§Y“ gerade im Justizbereich Stellen gestrichen wurden, ohne auf diese Überlegungen einzugehen.

Wichtig sind auch Ursachenforschung und die Ausarbeitung neuer Konzepte für eine verbesserte Zusammenarbeit aller Stellen und für neue pädagogische Projekte. Hier sind die Baustellen, an denen bei einem guten Jugendrecht des 21. Jahrhunderts zu arbeiten ist. Mit härteren Sanktionen und Wahlkampfgetöse ist keinem gedient.