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Anti-Gammelfleisch-Massnahmen der Bundesregierung sind halbherzig und hasenfüssig

Rede von Karin Binder,

Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,

den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (Bundestags-Drucksache 16/8100) könnte man in folgenden Worten zusammenfassen:
Packen wir’s an, aber bitte nicht so fest. Nach dem Motto des Bären - „wasch mir dem Pelz, aber mach mich nicht nass“ - versucht Minister Seehofer wieder einmal alle Klippen zu umschiffen und den Unternehmern nicht weh zu tun.

Wie halbherzig nach diesem Gesetzentwurf unter anderem mit dem Thema „unsichere Lebensmittel“, auch bekannt unter dem Begriff „Gammelfleisch“, umgegangen werden soll, möchte ich hier gerne erläutern.
Im Vorwort stellt das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz fest: „... dass nicht sichere Lebensmittel vielfach, nachdem sie von einem Abnehmer zurückgewiesen worden sind, so lange weiter angeboten werden, bis sie einen weniger sorgsamen Abnehmer finden. Hier besteht zum Schutz des Verbrauchers Handlungsbedarf.“

Zum Schutz der VerbraucherInnen besteht Handlungsbedarf - darin sind wir uns einig. Auf welche Weise das Ministerium versucht, diesen Schutz herzustellen, ist allerdings etwas befremdlich.

Jetzt sollen also aus den Gammelfleischskandalen seit Beginn dieser Legislaturperiode die Konsequenzen gezogen werden.
Da werden der mündige Verbraucher und die Steuerzahlerin in der Begründung des Gesetzentwurfs aufgeklärt, dass Lebensmittelunternehmer künftig anzeigen müssen, wenn sie Grund zu der Annahme haben, dass ein für sie bestimmtes Lebensmittel nicht sicher sei. Diese neue Meldeverpflichtung gelte jedoch nur für angeliefertes Gammel- oder Ekelfleisch.
Die Meldepflicht gilt nicht, wenn dem Lebensmittelunternehmer ein „unsicheres Lebensmittel“ (Gammelfleisch) angeliefert wird, das er nicht bestellt hat.
Diese Meldepflicht gilt auch nicht in den Fällen, in denen das „unsichere Lebensmittel“ mündlich, telefonisch, per mail oder per Fax angeboten worden ist.
Und sie gilt auch nicht, wenn der Unternehmer bei einem Marktrundgang erkennt, dass von einem anderen Lebensmittelunternehmer nicht sichere Lebensmittel angeboten werden.

Da bleibt mir doch glatt die Spucke weg. Wo sind wir denn? Ist der Handel mit Gammelfleisch etwa ein Kavaliersdelikt? Wenn nicht, dann ist es doch auf jeden Fall meine Pflicht, so etwas anzuzeigen. Das müsste doch für einen redlichen und verantwortungsbewussten Unternehmer selbstverständlich sein. Aber für viele Unternehmer ist es das offenbar nicht, sonst müsste das nicht so explizit geregelt werden.

Und wenn ich mir nun die Begründung zu dem Gesetzentwurf noch genauer anschaue, liest sich das für mich wie eine Anleitung zur Umgehung dieses Gesetzes. Hier werden nicht nur Hintertürchen offen gelassen, sondern Tore geöffnet.

Werte Kolleginnen und Kollegen von der großen Koalition, ich bitte Sie dringend, schauen sie sich den Gesetzesentwurf noch einmal gründlich an. Und wenn auch Sie dann hoffentlich zu dem Schluss kommen, dass hier noch einiges verbesserungsfähig ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie gleich noch ein paar andere Dinge ergänzen würden.

Wie wäre es zum Beispiel mit
• der Verbesserung der Kenntlichmachung von unsicheren, verdorbenen Lebensmitteln z.B. durch die Angabe des Schlachtdatums bei der Kennzeichnung von Fleischerzeugnissen,
• der Verankerung direkter Auskunftsansprüche der VerbraucherInnen gegenüber Herstellern, Händlern und Verarbeitern im Verbraucherinformationsgesetz,
• einem effektivem arbeitsrechtlichen Schutz für diejenigen Beschäftigten, die Verstöße ihres Arbeit oder Auftraggebers bei den Lebensmittelkontrolleuren oder bei Ermittlungsbehörden anzeigen,
• der Einführung eines Smiley-Systems, wie es in Dänemark in Gastronomie und Handel erfolgreich praktiziert wird,
• der unverzüglichen Umsetzung einer manipulationssicheren Kennzeichnung von Schlachtabfällen,
• der Abschöpfung unlauter entstandener Gewinne aus dem Vertrieb solcher unsicheren Lebensmittel. Diese Mittel könnten den Geschädigten zukommen bzw. zur Finanzierung einer verstärkten Lebensmittelkontrolle verwendet werden.

Aber einmal mehr geht es in erster Linie darum, wirtschaftlichen Interessen gerecht zu werden. Die Interessen der VerbraucherInnen werden wie so häufig hinten angestellt.
Sollte dies jedoch nicht Ihre Absicht sein, Herr Minister Seehofer, dann kann ich Ihnen nur dringend empfehlen, den Gesetzentwurf noch einmal gründlich zu überarbeiten.