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Angriff auf das freiheitliche Internet

Rede von Halina Wawzyniak,

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Lieber Herr Buschmann, ich schließe mich der Frage meines Freundes Hans-Christian Ströbele an:


(Zurufe: Oh! Oh! - Christian Lange (Backnang) (SPD): Da haben wir wieder etwas geklärt! Das ist heute ja ein interessanter Abend! Das muss ich wirklich sagen!)


Wer ist hier die Bundesregierung? Sie, Herr Buschmann, sind offensichtlich gegen Netzsperren; das nehme ich Ihnen ab, und das finde ich löblich. Allerdings hörte sich das, was der Kollege Heveling gerade ausgeführt hat, ein bisschen anders an.


(Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU): Das darf es ja wohl auch!)


Insofern würde ich gerne wissen, ob Sie sich in diesem Punkt einig sind oder nicht.
Ich habe heute im Bundesministerium der Justiz am runden Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ teilgenommen. Dort beraten Sachverständige die Bundesregierung und Abgeordnete aller Fraktionen, wie man das Problem der sexualisierten Gewalt gegen Kinder umfassend angehen kann und muss. Ich halte diese Art der Debatte für ausgesprochen sinnvoll und hilfreich.


(Ulrike Flach (FDP): Sehen Sie!)


Deshalb werden wir weiter an diesem runden Tisch teilnehmen. Hier geht es nun aber um Netzsperren. Dazu sage ich Ihnen: Jedes staatliche Handeln muss sich an einem rechtsstaatlichen Kriterienkatalog messen lassen. Sie müssten das besser wissen.


(Zuruf von der FDP: Ja, besser als Sie!)


Das heißt, staatliche Maßnahmen müssen in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande kommen, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss beachtet werden, und schließlich sind die möglichen auch die ungewünschten Folgen der Maßnahmen zu würdigen.

Offensichtlich hat die gesamte Opposition auch ich erhebliche Zweifel daran, dass die von der EU-Kommission gewünschten Maßnahmen diesen Maßstäben standhalten.


Ich möchte kurz auf das Verfahren eingehen. Sie haben gestern im Rechtsausschuss darauf wurde bereits hingewiesen die Stellungnahme der Grünen, eine sogenannte Subsidiaritätsrüge, mit Ihrer Koalitionsmehrheit einfach vom Tisch gewischt.


(Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Armutszeugnis!)


Damit sind die Fristen für die Einreichung einer solchen Rüge nicht mehr einzuhalten. Mit ein bisschen Stil hätten Sie einfach dagegenstimmen können, anstatt mit diesem formalen Mittel eine Debatte zu verhindern.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Ingo Wellenreuther (CDU/CSU): Dass die von Stil redet, ist ja schon der Hammer!)


Ich finde, das ist für Ihr Verständnis vom Umgang mit der Opposition bezeichnend. Damit wird im Übrigen die Option der Nutzung eines im Lissabon-Vertrag vorgesehenen demokratischen Instruments ausgehebelt.


Die Sperrung von Webseiten ist nicht dazu geeignet, Kinderpornografie zu verhindern. Vielmehr schafft sie durch die damit einhergehende Etablierung einer Sperrinfrastruktur enorme Gefahren für die Meinungsfreiheit. In Dänemark sind die geheimen Sperrlisten öffentlich geworden. Ergebnis: 90 Prozent der gesperrten Seiten waren ohne kinderpornografischen Inhalt.


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Grosse-Brömer von der CDU/CSU-Fraktion zulassen?


Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Ja, selbstverständlich.


Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bitte schön.


Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Liebe Frau Kollegin Wawzyniak, ist es vielleicht so, dass sich die Zahl der Zugriffe auf diese Seiten in Skandinavien, teilweise auch in Italien, durch das Sperren um 40 Prozent und mehr reduziert hat?


(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Hört! Hört!)


Können Sie mir, wenn das so ist, zustimmen, dass man dann beim Sperren von kinderpornografischen Seiten nicht von einem völlig ineffektiven Mittel reden kann, sondern allenfalls davon, dass es keinen hundertprozentigen Erfolg hat? Aus dieser Tatsache resultiert, dass zumindest eine Fraktion im Deutschen Bundestag sagt: Eine Senkung der Zugriffszahlen um 40 Prozent ist es uns wert, nicht vollständig auf dieses effiziente Mittel zu verzichten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Christine Lambrecht (SPD): Da müssen Sie Herrn Buschmann fragen!)


Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Herr Grosse-Brömer, ich weiß nicht, wer hier von einem „völlig ineffektiven Mittel“ gesprochen hat. Das Zitat stammt sicherlich nicht aus meiner Rede; ich habe das nicht gesagt. Sie können das im Protokoll nachlesen. Im Übrigen handelt es sich nicht um eine Frage der Effizienz, sondern der Angemessenheit. Das Mittel der Sperrung ist angesichts der Folgen nicht angemessen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Beispiel Dänemark zeigt, dass unsere Vermutung, dass die Freiheit des Internets insgesamt eingeschränkt werden soll, nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Es liegt der Verdacht nahe, dass nunmehr europaweit eine Sperrinfrastruktur geschaffen werden soll, die dem freiheitlichen Gedanken eines weltweiten, offenen Internets total widerspricht. Ich sage Ihnen schon heute, dass es nicht lange dauern wird, bis Lobbyisten der Musik- und Unterhaltungsindustrie ihre Begehrlichkeiten im Hinblick auf die Nutzung dieser Sperrinfrastruktur durchsetzen werden.


Es ist nicht zu bestreiten, dass sich unsere Gesellschaft durch das Internet verändert hat. Wir sollten aber nicht der Versuchung erliegen, das Internet zu verteufeln und der digitalen Gesellschaft und der Netzgemeinschaft wegen eines Problems, das eigentlich kein Problem des Internets ist, künstlich Schranken aufzuerlegen. Wir sollten uns davor hüten, das Internet zu überwachen und zu zensieren. Wir sollten die Freiheit des Internets nicht durch blinden Aktionismus kaputtmachen.

Wir sollten, so wie es Frau Leutheusser-Schnarrenberger in der Stuttgarter Zeitung vom 3. Mai schrieb, die „Freiheit des Internets bewahren“. - Jetzt könnten Sie von der FDP einmal klatschen; schließlich ist das Ihre Ministerin.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bewahren Sie also die Freiheit des Internets! Bewahren Sie die Freiheit Europas! Missbrauchen Sie Europa nicht als Hintertür bei der Einführung von Internetsperren!


(Beifall bei der LINKEN)