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Allen jungen Menschen muss eine gute Ausbildung garantiert werden

Rede von Agnes Alpers,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!

Frau Schavan, über genau diese alten Klamotten wie Ausbildungsgarantie müssen wir in Anbetracht der Probleme heute sehr wohl noch reden. Aber darauf werde ich später noch zurückkommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Unsere Regierungsfraktionen sagen immer: Die Ausbildungsplatzchancen steigen. Es gibt mehr unbesetzte Stellen als Bewerberinnen und Bewerber. Das größte Problem ist, 30 000 freie Ausbildungsstellen zu besetzen. Aber das hat nichts mit der Realität zu tun.

Der Berufsbildungsbericht 2012 besagt, dass von den bei der Bundesagentur für Arbeit rund 540 000 gemeldeten Ausbildungsbewerberinnen und -bewerbern nur gut die Hälfte einen Ausbildungsplatz bekommen hat. Bei über 100 000 jungen Menschen weiß diese Agentur, wo sie verblieben sind. Aber sie haben keinen Ausbildungsplatz erhalten. Von fast 86 000 Bewerberinnen und Bewerbern weiß man nicht, was aus ihnen geworden ist. Aber auch sie haben keinen Ausbildungsplatz erhalten. Wir halten also fest: Sie zählen fast 200 000 junge Menschen in Ihrer Statistik als „vermittelt“, obwohl sie gar keinen Ausbildungsplatz erhalten haben.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Was?)

Das ist doch nichts anderes als schnöde Trickserei. So etwas lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das heißt also, insgesamt befinden sich weit über 200 000 junge Menschen im Übergangssystem. 1,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren haben keine Ausbildung. Rechnen wir die Menschen bis 34 Jahre hinzu, sind es sogar 2,2 Millionen. Die Linke, Frau Schavan, bleibt dabei: Setzen Sie das Recht auf Ausbildung um und führen Sie endlich die Ausbildungsumlage ein!

(Beifall bei der LINKEN)

Das zweite Problem. Trotz des Ausbildungspakts bilden nur noch 22,5 Prozent der Betriebe aus. Der Grund, so die Arbeitgeber: Nur gut die Hälfte der Betriebe darf noch ausbilden, und kleine Betriebe können ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen. 2003, meine Damen und Herren, wurde die Pflicht, eine Ausbildereignungsprüfung vorzuweisen, aufgehoben, um zu ermöglichen, dass auch Betriebe ohne Ausbilderin oder Ausbilder ausbilden. Es wurden aber fast keine neuen Ausbildungsplätze eingerichtet. Sechs Jahre später wurde die Ausbildereignungsprüfung deshalb wieder eingeführt.

Was also hindert die Betriebe tatsächlich daran, auszubilden? Arbeitgeber in kleinen Betrieben sagen mir: Der Druck ist sehr groß. Jeder Auftrag muss schnell und fachgerecht ausgeführt werden. Es gibt keine Ausbilder, oder man hat keine Zeit, um den Lehrlingen alles zu erklären und die Erklärungen zu wiederholen. Generell brächen die Azubis zu wenig Praxiserfahrung mit. Wir Linke sagen: Kleine Betriebe müssen unterstützt werden, wenn sie eine Ausbildungsbefähigung erwerben wollen. Sie sollen gefördert werden, wenn sie erstmals einen Ausbildungsplatz schaffen oder einen zusätzlichen Ausbildungsplatz einrichten. Auch die Ausbildung im Verbund wollen wir fördern.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Dann können Sie ja mal mit den Gewerkschaften anfangen!)

Ich selbst bilde im Bundestag eine Auszubildende aus. Sicher: Man muss sich darauf einstellen, und man muss sich umstellen. Allerdings eröffnet man einem jungen Menschen Zukunftschancen. Deshalb, meine Damen und Herren, lohnt sich Ausbildung. Als Lehrerin für 23 Ausbildungsberufe weiß ich, wie wichtig eine kontinuierliche Anbindung an den Betrieb ist.

An dieser Stelle wende ich mich den Grünen zu: Mit Ihrem Konzept DualPlus propagieren Sie immer noch die flächendeckende Modularisierung der Ausbildung. Sie sehen den Vorteil darin, dass Betriebe nicht mehr die gesamte Ausbildungsverantwortung übernehmen müssen, sondern nur noch einzelne Ausbildungsbausteine anbieten. Das ist Unsinn. Denn junge Menschen, insbesondere Menschen mit Unterstützungsbedarf, brauchen kein Modulhopping, sondern einen verlässlichen Betrieb, in dem sie handlungsorientiert lernen und kontinuierlich die Berufsbildungsreife erwerben.

(Beifall bei der LINKEN)

Dritter Punkt nun zu Ihnen, Frau Schavan: Sie erzählen uns häufig von Bildungsketten, Berufsorientierung und Einstiegsbegleitung. Dann behaupten Sie, dass der demografische Wandel die Ausbildungsprobleme von ganz allein lösen wird.

(Uwe Schummer (CDU/CSU): Das hat sie nie gesagt!)

Auch das ist Unsinn.

(Heiner Kamp (FDP): Das sagt sie ja auch nicht!)

Das Bundesinstitut für Berufsbildung sagt klipp und klar: Die Beschäftigungschancen von Menschen ohne Berufsabschluss werden sich durch die demografische Entwicklung nicht verbessern. Eine der wichtigsten Aufgaben ist doch heute, für die 1,5 Millionen jungen Menschen ohne Berufsabschluss Perspektiven zu schaffen. Dies gilt allerdings auch im Hinblick auf die Menschen im Übergangssystem und alle Menschen ohne Berufsabschluss.

Vierter Punkt nun zur Einstiegsqualifizierung: Gedacht war sie, um jungen Menschen mit eingeschränkten Vermittlungsperspektiven über die Praxis im Betrieb einen Ausbildungsplatz zu vermitteln. Die Arbeitgeber erhalten dafür monatlich 216 Euro und einen Zuschuss zur Sozialversicherung. Die Praxis zeigt aber, dass nicht nur sogenannte benachteiligte junge Menschen eine Einstiegsqualifizierung erhalten haben, sondern zur Hälfte auch junge Menschen mit mittlerem Schulabschluss und Abitur. Von all diesen jungen Menschen haben direkt nach der Maßnahme aber nur 44 Prozent einen Ausbildungsplatz erhalten. Ich frage Sie: Welche dieser jungen Menschen, die ohne Schulabschluss oder die mit Hauptschulabschluss oder die mit mittlerer Reife oder die mit Abitur, haben die Ausbildungsstellen wohl besetzt?

Fest steht jedenfalls, dass der begleitende Berufsschulunterricht, der ja keine Pflicht ist, meist nicht in Anspruch genommen wird. Es gibt häufig kein Zertifikat, also keinen Nachweis über die erworbenen Qualifikationen.

Bei all diesen Mängeln verstehe ich nicht, warum die SPD die Einstiegsqualifizierung als zentrales Instrument im Übergangsbereich festschreiben will.

Dennoch finde ich: Dieses Instrument kann viele Vorteile bieten, wenn es richtig ausgestaltet wird. Ich sage Ihnen: Wer eine Einstiegsqualifizierung erwirbt, der muss auch einen Ausbildungsplatz bekommen. Die Grundregel lautet für uns: Alle Maßnahmen müssen individuell auf die einzelnen Menschen abgestimmt werden und verlässlich in Ausbildung führen.

(Beifall bei der LINKEN)

Fünfter Punkt. Warum können bestimmte Ausbildungsplätze nicht besetzt werden? Das liegt zum einen an den regionalen Ungleichgewichten. Während beispielsweise in Bayern und an der Ostseeküste in verschiedenen Berufen Auszubildende gesucht werden, gibt es in Herford oder auch in meiner Heimatstadt Bremen mehr Bewerberinnen und Bewerber als Plätze.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Damit ist der Wahlkreis erwähnt!)

Zum anderen gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung geht davon aus, dass für Büroberufe auch noch im Jahre 2030 ein ausreichendes Fachkräfteangebot zur Verfügung stehen wird. Ganz anders sieht es im Hotel- und Gaststättenbereich aus. So kommen in der Gastronomie heute nur 37 Bewerberinnen und Bewerber auf 100 Ausbildungsstellen. Auszubildende im Hotel- und Gaststättengewerbe in Bremen haben mir in Gesprächen und bei meiner Befragung folgende Gründe genannt: Überstunden, ausbildungsfremde Tätigkeiten, schlechte Vermittlung der Ausbildungsinhalte, regelmäßig Arbeit nach der Berufsschule, kaum Freizeit, geringe Vergütung und geringe Wertschätzung ihrer Person.

Angesichts dessen fordern wir als Linke: Die duale Ausbildung muss attraktiv bleiben. Eine hohe Qualität, eine gute Vergütung, Übernahmegarantie mit guten Tarifen und Aufstiegsperspektiven, das schafft klare Perspektiven für all diese jungen Menschen.

(Beifall bei der LINKEN Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Recht auf Aufstieg, das ist doch Planwirtschaft!

Sechster Punkt. Fachkräftesicherung durch die Integration von jungen Menschen ohne Berufsausbildung. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales schätzt die Wirksamkeit, unterschiedliche Gruppen als Fachkräfte zu mobilisieren, folgendermaßen ein: Große Chancen werden darin gesehen, die Arbeitszeiten von erwerbstätigen Frauen auszuweiten und Ältere länger in Arbeit zu halten. Mittel- und langfristig wird es aber auch sehr wirksam sein, nichterwerbstätige Mütter zu integrieren und die Bildungsangebote sowie die Angebote zur Betreuung von Kindern auszubauen. Im Gegensatz dazu stuft das Ministerium die Wirksamkeit der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und der Aktivierung von Langzeitarbeitslosen dafür, diese Menschen als Fachkräfte zu mobilisieren, als gering ein. Auch langfristig wird es kaum wirksam sein, Frauen für die MINT-Berufe zu interessieren. Die geringste Wirksamkeit hat die Integration von mehr Jugendlichen in die Berufsausbildung. Junge Menschen ohne Berufsausbildung müssen sich also wieder ganz hinten in der Schlange anstellen. Das ist nicht verantwortbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Siebter Punkt. Ganz schlechte Perspektiven haben bei Ihrer Politik Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung und Frauen. Der Anteil aller mit Frauen abgeschlossenen Ausbildungsverträge liegt gerade noch bei 40 Prozent. Menschen mit Behinderung und Menschen mit Migrationshintergrund werden bei der Vergabe von Ausbildungsstellen oft gar nicht berücksichtigt. Nur jeder dritte Mensch mit Migrationshintergrund erhält heute einen Ausbildungsplatz und das bei gleichen Interessen und gleichen Abschlüssen. Das ist nicht nur zu verurteilen, sondern das haben Sie auch abzustellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Achter Punkt. Das große Konzept dieser Regierung heißt seit 2010: Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland. Doch hier tut sich noch immer nichts Wesentliches. Es reicht eben nicht, mit den Arbeitgebern Absichtserklärungen auf einem Stück Papier abzugeben, sondern es muss endlich verbindlich für alle Menschen ohne Berufsausbildung gehandelt werden.

(Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Planwirtschaft!)

Frau Ministerin Schavan, Sie schwadronieren

(Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Das macht sie nun überhaupt nicht!)

über das duale System in Europa, in der ganzen Welt. Garantieren Sie endlich hier allen Menschen eine gute Ausbildung! Dann wird man Ihnen auch wieder glauben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)