Zum Hauptinhalt springen

Alexander Ulrich: 60 Jahre sind genug - EURATOM-Vertrag beenden

Rede von Alexander Ulrich,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bertolt Brecht sagte einmal: „Man muss vom Alten lernen, Neues zu machen.“

Heute ist ein guter Tag, weil wir am gleichen Tag über Euratom diskutieren, an dem wir mittags eine Aktuelle Stunde zu den Römischen Verträgen durchgeführt haben; denn der Euratom-Vertrag ist einer dieser sogenannten Römischen Verträge. Ich glaube, es ist tatsächlich an der Zeit, das Alte – in diesem Fall den Euratom-Vertrag – zu beenden. Mit der milliardenschweren Förderung der Atomenergie sollte endlich Schluss sein.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ziehen wir unsere Lehren aus der Geschichte, und beginnen wir endlich mit dem Neuen, nämlich mit der Förderung der erneuerbaren Energien – und das nicht nur halbherzig, sondern tatsächlich richtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Vor 60 Jahren glaubte man an die Atomenergie. Die sechs Gründerstaaten der Europäischen Union unterzeichneten damals den Euratom-Vertrag. Damals galt die Atomenergie noch als sicher, billig und beherrschbar. Fukushima zeigte erneut, dass sie nicht sicher und beherrschbar ist, und ich glaube – Frau Scheer, Sie haben über die 1 Million Jahre und die hohen Kosten gesprochen –, wenn wir alles zusammenrechnen, dann wissen wir alle: Die Atomenergie ist keine billige Energieform.

(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Die teuerste!)

Inzwischen sind 60 Jahre vergangen. In diesen 60 Jahren haben die Menschen auf dramatische Art und Weise feststellen müssen – Stichworte: Tschernobyl und Fukushima –, zu welchen Folgen diese Atomenergie beitragen kann. Deshalb, glaube ich, ist es an der Zeit, noch einmal deutlich zu sagen: Wer den deutschen Atomausstieg ernsthaft betreiben will, der kann nicht länger an dieser milliardenschweren Förderung der Atomenergie über den Euratom-Vertrag europäisch festhalten. Wir müssen damit endlich Schluss machen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Dr. Scheer, ich habe Ihre Rede wirklich als sehr gut empfunden. Ich frage mich nur, warum Sie am Schluss zu dem Ergebnis kommen, dass die Anträge abgelehnt werden müssen;

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn die beste Begründung, warum man die Anträge von den Grünen und von uns heute annehmen müsste, haben Sie selbst geliefert.

Wenn Sie sagen, dass Sie in Ihrer Fraktion in der Minderheit sind, dann verstehen wir das ja noch.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Koalition!)

Wir verstehen es aber nicht, wenn Sie sagen, dass wir jetzt auf die nächsten zwei Jahre hoffen sollten, weil zehn Jahre lang nichts passiert ist, und wenn Sie das Argument anführen, dass der Brexit vielleicht ein toller Türöffner für Euratom-Gespräche ist. Ich glaube, die SPD-Fraktion sollte Ernst mit ihrer Regierungsverantwortung machen und sagen: Wir müssen jetzt frischen Wind in dieses Thema bringen und das europäisch verhandeln. Aus deutscher Sicht kann das nur bedeuten, dass wir nicht länger Steuergelder für die atomare Nutzung und Erforschung bereitstellen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch der Sicherheitsaspekt wird meines Erachtens falsch dargestellt. Nordrhein-Westfalen hat letztes Jahr Jodtabletten bestellt: Das Land hatte Angst, dass bei den Pannenreaktoren in Belgien etwas schiefgeht. Wir kennen die Situation von Kernkraftwerken aus Frankreich oder auch aus Osteuropa.

Es ist nicht so, dass Euratom die Sicherheit von Kernkraftwerken tatsächlich erhöht. Das ist nur ein Placebo; denn für die Sicherheit sind immer noch die Nationalstaaten zuständig. Euratom macht also gar nicht das, von dem man glaubt, dass es das macht, nämlich die Sicherheit der AKWs zu verbessern. Deshalb: Wenn man Euratom abwickeln würde, wie es unser Vorschlag vorsieht, und wenn man die vielen Milliarden zur Einrichtung einer Agentur zur Förderung der erneuerbaren Energien nutzen würde, dann könnte man die Sicherheitsfragen in diese Agentur eingliedern, ohne an Euratom festzuhalten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich etwas zu den vielen Hunderten von Millionen Euro sagen, die für ITER ausgegeben werden. Wenn wir es ernst damit meinen, dass die Zukunft in den Erneuerbaren liegt – das ist möglich; wir wären viel weiter, wenn man dieses Geld dafür genutzt hätte –, dann ist die Frage: Warum wollen wir dieses viele Geld weiterhin für eine Kernfusionsforschung nutzen, bei der wir nicht wissen, ob wir diese Technik sicherheitspolitisch meistern können? Wir wissen nicht, welche Gefahren damit verbunden sind. Auch da wird das Geld völlig unnütz für eine Zukunftstechnologie im Energiesektor verbrannt, die wir wirklich nicht brauchen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sagen deshalb ganz deutlich: Wir gehen weiter als die Grünen, die in ihrem Antrag schreiben: Wir wollen Euratom reformieren. – Ich glaube, wir können Euratom und damit eine veraltete Technologie, die uns wirklich nicht weiterbringt – da hat Frau Dr. Scheer vollkommen recht; ich bin mir sicher, dass dies die Rednerin der Grünen gleich bestätigen wird –, nicht reformieren. Wir müssen einfach sagen: All das, was sich die Staaten bei der Gründung von Euratom vor 60 Jahren, vielleicht im guten Glauben, erhofft haben, hat sich leider nicht bestätigt.

Um glaubwürdig zu bleiben, müssen wir sagen: Es ist an der Zeit, über Euratom nicht indirekt neue AKWs zu fördern und damit die Erneuerbaren zu schädigen. Wir müssen deutlich machen: Wir wollen überhaupt keinen Euro mehr in neue AKWs investieren. Wir wollen auch nicht, dass Euratom Bürgschaften für neue AKWs in Osteuropa gibt. Wir wollen, dass mit der Atomenergie endlich Schluss gemacht wird. Dafür muss Euratom als Agentur tatsächlich geschlossen werden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Frau Scheer, vielleicht können Sie Ihre Fraktion davon überzeugen – heute ist dafür eine gute Gelegenheit –, nach 60 Jahren zu sagen: Das war’s. Wenn wir es mit dem deutschen Atomausstieg wirklich ernst meinen, müssen wir Euratom abwickeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)