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Akzeptanzprobleme bei der Rheintalbahn durch offene Planung beseitigen

Rede von Karin Binder,

Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist wichtig, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. Das sehen auch die Menschen am Oberrhein so. Deshalb treten sie dafür ein, dass die Rheintalbahn um ein drittes und viertes Gleis ergänzt wird, und zwar für den Güterverkehr. Die Menschen dort brauchen keine Hochgeschwindigkeitstrasse, wie die Bahn sie nach wie vor in der Planung hat, sie brauchen einen funktionierenden Personennahverkehr.

Das haben sie auch in den Projektbeirat eingebracht, der nach heftigen Protesten eingerichtet wurde. Hier sieht man, wie wichtig Bürgerbeteiligung ist. Die Kompetenz und das Fachwissen, die von den Initiativen und den Umweltverbänden eingebracht wurden, haben zu einem Nachdenken über Landschaftsverbrauch und über die Existenzsicherung der dortigen Landwirte geführt. Das und einiges mehr haben ich und meine Fraktion von den Menschen dort erfahren. Darüber haben wir mit den Initiativen, mit Bürgermeistern, mit Ratsvertreterinnen und -vertretern diskutiert. Das ist für mich der beste Beweis dafür, wie wichtig diese Beteiligung ist.

Deshalb gehe ich davon aus, dass wir als Politikerinnen und Politiker solche Institutionen wie den Projektbeirat künftig verankern und dessen Ausgestaltung verbindlich regeln müssen. Die Beteiligungsrechte müssen definiert werden. Es darf nicht so sein, dass die Menschen erst etwas einbringen und die Politiker dann schauen, ob man es macht oder nicht; es muss verbindlich geregelt werden. Das ist für mich Bürgerbeteiligung. Das haben wir als Politikerinnen und Politiker auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der LINKEN)

Inzwischen rasen auf der bestehenden Strecke, der alten Rheintalstrecke, mehr als 150 Güterzüge pro Tag. Sie donnern tagsüber mit 80, nachts mit 100 oder 120 Kilometern in der Stunde durch die Ortschaften bzw. an ihnen vorbei. Das erzeugt in den Wohngebieten Lärm von mehr als 100 Dezibel pro Zug. Die Häuser stehen an einigen Stellen nur 15 oder 25 Meter von den Schienen entfernt. Auch dort sind noch 90 bis 95 Dezibel Lärm zu messen. Fast 500 Menschen in der Belchenstraße im Entennest in Herbolzheim haben jede Nacht an die 80 Güterzüge, die jeweils 90 bis 95 Dezibel erzeugen, zu ertragen.

Man weiß, dass Menschen bereits ab einer Lärmbelastung von 45 Dezibel krank werden. Daher kann man sich vorstellen, was die Menschen dort auszuhalten haben. Lärm macht krank. Er fördert Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Lärm schädigt das Immunsystem und das Gehör. Lärm erzeugt Stress, und Stresshormone erzeugen Bluthochdruck und Magengeschwüre. Kinder werden durch Lärm in ihrer Entwicklung behindert. Das wirkt sich häufig auf ihre kognitiven Fähigkeiten aus, sodass sie nicht richtig lernen können.

Um all diese Auswirkungen zu vermeiden, müssen wir den Lärm reduzieren, und zwar bald nicht erst, wenn die neue Strecke gebaut ist, sondern schon jetzt auf der bestehenden Strecke. Schallschutzfenster oder 5 Meter hohe Schallschutzwände verhindern nicht, dass die Menschen krank werden. Die Entstehung von Lärm muss vermieden werden: durch modernen Gleisbau, durch modernen Waggonbau. Auch die Bestandsstrecken und die alten Waggons müssen dringend nachgerüstet werden. Ich glaube, dass man damit nicht warten darf, bis Planfeststellungsverfahren abgeschlossen sind und Ähnliches. Die Strecke ist jetzt zu laut, und dieses Problem muss jetzt angegangen werden, zumindest in den Bereichen, wo Menschen wohnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Schon deshalb sind das dritte und vierte Gleis am Oberrhein für den Güterverkehr dringend notwendig.

Es kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Die Güterzüge rasen ungebremst durch kleine Bahnhöfe wie Bad Krozingen, Kenzingen und Herbolzheim. Manchmal sind die Bahnsteige nur 2,5 Meter breit bzw. schmal. Diese kleinen Bahnhöfe sind für die Menschen in der Region wichtige Haltestellen: für den ÖPNV, für Kinder und Jugendliche auf dem Weg zur Schule, für viele auf dem Weg zur Arbeit. Die Menschen können nicht warten, bis endlich irgendwann einmal die neuen Gleise liegen.

Man rechnet damit, dass sich der Güterverkehr bis 2025 verdoppelt, dass dann also mehr als 300 Güterzüge am Tag durch diese Bahnhöfe rasen. Wenn Güterzüge durch diese Bahnhöfe fahren, muss zumindest das Tempo gedrosselt werden. Sie rasen dort bisher ungebremst durch. Da passieren schreckliche Unfälle. Der letzte ereignete sich am letzten Sonntag. Ein junger Mann ist tödlich verunglückt. Er ist von einem Zug erfasst worden.

(Ute Kumpf (SPD): Das ist da unten aber auch eine Selbstmordstrecke!)

Gerade Güterzüge entwickeln durch ihre unterschiedlich gebauten Waggons Luftverwirbelungen. Sie entwickeln eine ungeheure Sogwirkung. Kinderwagen, die am Bahnsteig stehen, werden mitgerissen, Koffer selbstverständlich auch. Alte Menschen, Behinderte, Kinder haben keine Chance, wenn sie in den Sog dieser Züge geraten. Hier ist viel zu tun, und zwar gleich, nicht erst, wenn planfestgestellt ist bzw. wenn irgendwann einmal die neue Strecke besteht.

Das Heimtückische ist: Diese Züge kommen leise an. Man hört sie erst, wenn sie schon da sind. Da helfen auch Anzeigetafeln nicht. Ein sehbehinderter Mensch kann eine Anzeigetafel nicht lesen. Wir brauchen die Durchsagen, die auch früher auf Bahnsteigen zu hören waren: „Vorsicht, ein Zug fährt durch!“ Aber die Bahn hat in den vergangenen Jahren jährlich 15 000 Mitarbeiter eingespart. Daran erkennt man: Hier werden Kosten gespart, hier wird an der Sicherheit gespart, und hier wird bei den Menschen gespart. Das muss aufhören.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin.

Karin Binder (DIE LINKE):
Durch Projekte wie Stuttgart 21 wird uns das notwendige Geld genommen, um hier für Sicherheit und Lärmschutz zu sorgen. Sorgen Sie heute dafür, dass sich das ändert, und stimmen Sie unseren vorliegenden Anträgen zu.

Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)