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Aktuelle Stunde zu Castor-Transporten

Rede von Dorothée Menzner,

Proteste wieder sehr stark in diesem Jahr

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich kann von uns nicht gerade behaupten, dass
wir Altkanzler Schröder viele Tränen nachweinen; aber
mit einer Aussage lag er richtig . ich zitiere .:
Atomtransporte quer durch die Republik, die nur
durch massiven Polizeischutz zu sichern sind, pas-
sen nicht zu einer auf Konsens und Zukunftsfähig-
keit ausgerichteten Demokratie.
Der Elan der damaligen Bundesregierung verließ sie
dann allerdings sehr schnell wieder. Die Realität bei
Castortransporten sind 17 000 Einsatzkräfte, Aushebe-
lung der Grundrechte, Verbotskataloge, Einschränkung
der Bewegungsfreiheit der Bewohnerinnen und Bewoh-
ner. Ich könnte das fortsetzen.
Die B.Z. titelte in den vergangenen Tagen: .Atom-
Chaoten kosten uns 30 Millionen Euro.. Kollegin
Brunkhorst hat eben Ähnliches angeführt. All dies sug-
geriert verunglimpfend: alles schwarzer Block, alles
Chaoten, die dort demonstrieren. Nein, mitnichten! Die,
die da demonstrieren, sind Schülerinnen und Schüler,
Landwirte, Gewerbetreibende, kommunale Abgeord-
nete der angrenzenden Kommunen und aller Parteien, es
sind Lehrerinnen und Lehrer, fast die komplette Ärzte-
und auch Pastorenschaft, also ein ganz breites Bündnis
aller Bevölkerungsgruppen, hinweg über alle Weltan-
schauungen.
Die Atomchaoten sind andere. Die Atomchaoten sind
die, die ein Endlager in einem absaufenden Bergwerk
angelegt haben, die Atomenergie sponsern . und das
ohne ausreichende Versicherung.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es sind die, die schon jetzt 40 Milliarden Steuergelder
verschwendet haben: in Schwarzbauten und Sackgassen.
Wo nicht gesprochen wird . das ist an Castortagen im
Wendland der Fall ., suchen sich die Betroffenen eine
andere Sprache, eine Sprache des zivilen Ungehorsams,
eine Sprache, die sich mit .Widersetzen. und .Anliegen
deutlich machen. umschreiben lässt. Sie legen schlicht-
weg ihre Körper in den Weg.
Listige Bauern stellten Betonpyramiden vor den Cas-
tor und sich damit gegen die Atompolitik. Sie sagten:
Wir wollen keine Konfrontation; wir wollen den Dialog.
Sie wollten Gespräche mit Innenminister Schünemann
aus Niedersachsen oder Kanzlerin Merkel oder Umwelt-
minister Gabriel führen. Neun Stunden hätten diese Zeit
gehabt, mit ihnen ins Gespräch zu kommen; denn so
lange waren sie dort verankert. Aber dieser Dialog fand
nicht statt . so wie viele Möglichkeiten zum Dialog
nicht genutzt wurden. Diese Bauern treibt die Sorge um
ihre Existenz, um ihre ganz persönliche Existenz. Das ist
ihre Motivation.
Aber mein Herz lacht, wenn ich so viel kreative Ener-
gie sehe und erlebe: gegen die Milliardenlobby, gegen
eine Politik, die nur verschiebt, verschaukelt, ver-
schweigt, verdrängt und vertuscht und dafür noch nicht
einmal zur Rechenschaft gezogen wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Mein Herz lacht, wenn ich erlebe: 16 000 Menschen
haben am vergangenen Samstag auf der Demonstration
gerufen: Yes, we can. . Die meisten von ihnen sind übri-
gens nicht für den Erhalt des fadenscheinigen Atomkon-
senses, sondern wirklich für ein Abschalten, für eine
klare Perspektive, für den Ausstieg aus dieser Politik,
und sie machen das auch immer wieder deutlich.
Mein Herz lacht, wenn ich sehe, wie Clowns mit Spaß
und Lust ihren Protest auf die Straße tragen und so die
Absurdität der gepanzerten Staatsmacht entlarven.
(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Und was hat das
mit Verantwortung für den Müll zu tun?)
Wer solche Einsätze zwei-, vier- oder, wie ich, zehn-
mal erlebt hat, verliert den Respekt und glaubt nicht
mehr an den so viel beschworenen Dialog. Der Dialog
an Castortagen im Wendland ist sehr einseitig: mit Flüs-
tertüte, Räumbefehl, NATO-Draht, Hubschraubern und
17 000 gepanzerten Einsatzkräften. Erzählen Sie mir
jetzt nichts von Deeskalation! Das ist so wahr wie die
Asse trocken.
Ich habe auch diesmal wieder gesehen und hautnah
gespürt . wie manche Kolleginnen und Kollegen hier .,
wie das ganze Arsenal unmittelbarer Maßnahmen aus-
sieht: kopf- oder gelenkverdrehende Griffe, Faust-
schläge, Abdrängen, Tritte, Schlagstock- und Wasser-
werfereinsatz. Das Gefühl der Demütigung, das dabei
aufkommt, ist sehr real. Ich glaube, es ist kein Ausweis
von Demokratie, wenn ein solches Gefühl bei Bürgerin-
nen und Bürgern erzeugt wird, die ganz berechtigte Sor-
gen, Ängste und Nöte zu Gehör zu bringen versuchen.
(Dr. Daniel Volk [FDP]: Ein seltsames Demo-
kratieverständnis!)
Ich danke den Menschen in Gorleben und anderswo,
die immer wieder diesen selbstlosen Einsatz fahren.
Ohne sie hätten wir eine WAA. Ohne sie hätten wir
Schnelle Brüter und rund 100 Atomkraftwerke in
Deutschland.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ohne sie wären etliche Skandale . das ist vorhin in der
Fragestunde deutlich geworden . immer noch unter der
Decke, nicht aufgegriffen und nicht transparent. Sie trot-
zen dem Atomstaat . und das seit Jahrzehnten, seit über
30 Jahren im Wendland. Ich frage mich nur: Wer wird
ihnen einmal und wann ein Bundesverdienstkreuz oder,
vielleicht besser, ein Bundesverdienst-X überreichen?
Ich danke.
(Beifall bei der LINKEN . Renate Künast
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann
man doch gar nicht annehmen! Das ist nicht
mehr logisch! . Gegenruf von der LINKEN .
Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr haltet mal die
Füße still! Die sozialistischen Atomkraftwerke
waren immer die sichersten!)