Der Fünfte Altenbericht beschreibt die Potentiale des Alters in Wirtschaft und Gesellschaft und kritisiert dabei die Ist- Situation in verschiedenen Bereichen.
Die Empfehlungen der Alterberichtskommission zum Thema Arbeitsmarkt und Rente schlägt die Regierung in den Wind und verweist auf die Verantwortung der Tarifpartner und die Haushaltssituation.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die wachsende Zahl der älteren Menschen und die veränderten Vorstellungen vom Alter, die sich von Versorgung und Pflege bis hin zu Selbstbestimmung und Eigeninitiative wandeln, bedürfen neuer Bilder vom Alter und ein Umdenken in der Politik. Nicht die ältere Generation hat ein Problem mit dieser Gesellschaft und der Politik. Nein, Ihre Politik - wir reden heute über den Bericht der Bundesregierung - hat ein Problem im Umgang mit einer stark wachsenden, sehr selbstbewussten und aktiven älteren Generation.Allein die Vielfalt der Namen für diese Generation ist ein Beleg dafür, wie hilflos Politik und Wirtschaft letztlich sind. Sie heißen Golden Oldies oder Generation Gold, Silver Consumer, Best Ager, Master Consumer, Woopies - Abkürzung für Well-off older People - oder gar Selpies, die Second Life People. Das ist eine tolle Kreativität, die jedoch ein ganz abruptes Ende findet, wenn es in der Politik um konkrete Alternativen für diese älteren Menschen gehen soll.
Frau von der Leyen, Sie haben hier von Haushaltszahlen in Milliardenhöhe gesprochen. Nun frage ich Sie: Wie viel Unverfrorenheit muss man als Sozialdemokrat und als Christlich-Sozialer, die sich, wie ich gestern gehört habe, angeblich auf ihre Werte beziehen, eigentlich besitzen, um, wie es seit geraumer Zeit geschieht, den jüngeren und den älteren Menschen in diesem Lande ein schlechtes Gewissen einzureden, indem man sie für eine verfehlte Sozial- und Arbeitsmarktpolitik verantwortlich zeichnen will?
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wer tut denn das?)
Vor gut drei Stunden - das Wort schwebt in der Marienkirche noch in der Luft - hat Bischof Huber gesagt:
Gemeinwesen und Gemeinwohl sind uns
Christen als Auftrag mit auf den Weg gegeben.
Darüber sollten Sie einmal nachdenken
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir haben 700 000 Arbeitsplätze geschaffen!)
- Ich weiß, Herr Singhammer, Bischof Huber ist ein Protestant. Sie als Katholik halten Sie nicht so viel davon.
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was sagen Sie zu 700 000 Arbeitsplätzen in einem Jahr?)
Sie tolerieren Horrorszenarien, schüren Angst mit Blick auf das Leben in der Zukunft und wollen bei über 4 Millionen Arbeitslosen - von der Zahl der verdeckten Arbeitslosigkeit ganz zu schweigen - glauben machen, dass mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre viele Probleme gelöst werden, obwohl das völlig an der Realität vorbeigeht. Welch ein Zynismus!
(Beifall bei der LINKEN)
Eiskalt kehren Sie unter den Teppich, was Sie von Ihren ehemals gemachten Wahlversprechungen einhalten, dass Sie von diesen meilenweit entfernt sind. Sie schämen sich auch nicht, einzugestehen, dass Ihnen die Courage fehlt, politischen Willen für wirkliche Reformen im Interesse der Menschen aufzubringen. Aus Ihrem Munde kommend werden Begriffe wie „Demokratie“ und „Solidarität der Generationen“ zur Farce.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist doch eine Frechheit!)
- Das ist die Realität. - Sie haben keine Beziehung mehr zur wahren Demokratie. Sie handeln als Volksvertreter eigenverantwortlich im Sinne des Wortes „eigen“ und ohne Eingriffsmöglichkeiten durch das Volk.
Sie alleine, meine Damen und Herren der Koalition und der Regierung, tragen die politische Verantwortung für den von Ihnen produzierten Zeitgeist. Das Resultat werden Sie irgendwann bekommen, wenn die 70 Prozent, die Sie gewählt haben, merken, dass sie zu über 92 Prozent belogen wurden und werden.
(Christel Humme [SPD]: Die Zukunft gehört nicht Ihnen!)
Sie schüren mit Ihrer Politik offensichtlich und bewusst - das hat die heutige Debatte über die Gesundheitsreform auch gezeigt - Angst, Sorge, Unsicherheit und Verzweiflung.
(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Kommen Sie einmal zum Bericht!)
Menschen, vor allem Kinder und Ältere, brauchen für eine gesunde Entwicklung Sicherheit und Geborgenheit. Wenn sie Sicherheit und Geborgenheit haben, dann erfüllen sich junge Familien auch Kinderwünsche. Ohne mit der Wimper zu zucken, setzen Sie allerdings, der Tradition folgend, Ihre unsoziale Politik und eine bereits gescheiterte Rentenpolitik fort.
Der Perversitäten nicht genug: Heute Morgen haben Sie mit Ihrer Gesundheitspolitik noch einen draufgesetzt. Sie missbrauchen und instrumentalisieren die Sozial-, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik für eine Politik gegen die Menschen, weil Sie einzig und allein der Logik der Finanzmärkte folgen. Es ist Ihnen auch nicht zu schade, die vorhandenen Sicherungssysteme wissentlich aufzuweichen, indem Sie sich nach und nach von der öffentlichen Daseinsvorsorge verabschieden und an das bürgerschaftliche Engagement sowie an die Eigeninitiative der Einzelnen, insbesondere der Älteren, appellieren.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie eine Politik verfechten, die vor allem wirtschaftspolitisch und interessengeleitet ist und zum Nutzen des globalen Wettbewerbs allein die private Vorsorge als Alternative anbietet.
(Christel Humme [SPD]: Herr Wunderlich, wir debattieren über den fünften Altenbericht! Wo bleibt das? - Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Sie sollten zum Thema kommen!)
Wir lehnen eine solche Entsolidarisierung in der Gesellschaft genauso ab wie eine Dramatisierung der demografischen Entwicklung und eine Stigmatisierung des Alters als Katastrophenfall.
(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Machen wir das?)
Ich zitiere einmal den Präsidenten des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts und Professor für Volkswirtschaft an der Uni Hamburg, der im „Rheinischen Merkur“ gesagt hat:
Es ist lebensverachtend, die demografische Alterung als gesellschaftliches Problem zu bezeichnen.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist das SED-Grundsatzprogramm!)
Es macht schon Mühe, politische Ansätze und Alternativen zu entwickeln, durch die die Erfahrungen, Kompetenzen und Ansprüche auch und besonders der älteren Generation eingebunden werden. Deshalb ist es für mich umso verwerflicher, dass die Bundesregierung die Vorschläge der Altenberichtskommission in großen Teilen ignoriert. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Sie sich als Koalition und Regierung immer mehr von dem außerparlamentarischen Sachverstand und der Meinung aus dem Volk entfernen.
Für meine Fraktion kann ich mit Blick auf den fünften Altenbericht nur fordern: Eine vorausschauende Seniorenpolitik braucht ein realistisches Altenbild. Das Altenbild der Linkspartei ist davon bestimmt, dass heute Menschen nach ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben länger als früher aktiv und gesund sind. Trotz möglicher Einschränkungen bleibt eine höhere Lebenserwartung ein großer zivilisatorischer Wert; sie ist erstrebenswert.
(Markus Grübel [CDU/CSU]: Wo ist da der Widerspruch?)
Alter ist für uns ein Lebensabschnitt mit eigenen Ansprüchen und Bedürfnissen, der nicht auf Begriffe wie Rente, Pflege oder Kosten reduziert werden darf und an dessen Mitgestaltung Seniorinnen und Senioren aktiv teilhaben sollen.
(Markus Grübel [CDU/CSU]: Die Ministerin hat die ganze Zeit vom Potenzial des Alters geredet!)
Selbstbestimmtes Altern in Würde ist ein unveräußerliches Menschenrecht. Schutz der Menschenwürde, Recht auf Selbstbestimmung, Verbot der Altersdiskriminierung - diese Prämissen sind längst festgeschrieben:
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist eine Debatte und keine Vorlesung!)
im Grundgesetz, in verbindlichen Richtlinien der Europäischen Union und in zahlreichen Erklärungen nationaler und weltweit agierender Seniorenverbände. Es erfüllt mich deshalb mit Sorge, dass die Bundesregierung fortfährt, durch ihre unsoziale Politik die Grundlagen dafür zu untergraben und die Altersarmut zu einer ernst zu nehmenden Gefahr für die Zukunft zu machen. Aber irgendwann - da bin ich mir sicher - wird auch hier die Realität Sie einholen.
Da Frau Graf schon so schön zitiert hat, spare ich mir das heute. Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)