Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon verwunderlich. Wenn man den Gesetzentwurf durchliest und wenn man die Rede unserer Ministerin dazu hört, dann gewinnt man den Eindruck, die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen hätten das Gefühl, den beschlossenen Rechtsanspruch locker umsetzen zu können, und es ginge nur noch um diese kleine Differenz zwischen den Plätzen für 37 Prozent bzw. 39 Prozent der Kinder. Diese 30 000 Plätze könne man den Ländern gerne auch noch hinterhertragen, wie es Herr Kober vorhin sagte.
Sie nehmen überhaupt nicht zur Kenntnis, dass diese 37 Prozent bzw. 39 Prozent von Anfang an bewusst zu niedrig angesetzt wurden und dass es einen deutlich höheren Bedarf geben wird, den das Statistische Bundesamt vor wenigen Wochen deutlich beziffert hat.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
220 000 Plätze fehlen derzeit bundesweit. Frau Ministerin, da helfen keine Zahlenspiele. Da helfen auch keine statistischen Berechnungen. Es helfen auch keine Erklärungen, wie Umfragen oder statistische Mittelwerte zustande kommen. Das zu wissen, können Sie einem durchschnittlichen Bundestagsabgeordneten durchaus zutrauen.
Das Problem ist, dass der Bedarf deutlich größer ist als die Zahl, die Sie beschlossen haben. Dieses Problem haben die Kommunen. Die Realitätsverweigerung, die Sie dabei an den Tag legen, hilft den Kommunen nicht weiter.
Das Problem ist auch, dass Sie nicht nur fehlende Krippenplätze in einer nennenswerten Größenordnung ignorieren, sondern dass Sie auch ignorieren, dass derzeit aus einer Verzweiflung heraus eine Debatte über das Absenken von Qualitätsstandards geführt wird, nur um vielleicht doch noch den Rechtsanspruch einlösen zu können. Genau das dürfen wir aber nicht zulassen. Das dürfen wir auch nicht auf Bundesebene zulassen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen bundesweit qualitative Standards. Auf die muss man sich endlich verständigen. Deswegen fordere ich an dieser Stelle zum wiederholten Male: Bund, Länder und Kommunen müssen an einen Tisch. Es muss einen neuen Krippengipfel geben,
(Beifall bei der LINKEN)
und bei diesem Krippengipfel muss man sich mindestens über folgende drei Punkte Klarheit verschaffen.
Erstens. Wir brauchen realistische Zahlen, wie groß der Bedarf tatsächlich sein wird. Ich erinnere daran: Wir reden über einen Rechtsanspruch für Kinder ab dem ersten Lebensjahr, der in diesem Sommer greifen soll. Das heißt, die zukünftigen Kitakinder, um die es geht, sind schon geboren. Die Eltern können heute tatsächlich beurteilen, ob sie einen Kitaplatz brauchen oder nicht. Vor einigen Jahren war das vielleicht noch nicht der Fall. Das muss endlich eruiert, erforscht und erfragt werden. Das bringt dann die Zahlen des Familienministeriums vielleicht etwas näher an die Wirklichkeit.
Zweitens muss auf diesem Krippengipfel über verbindliche Qualitätsstandards und deren Umsetzung gesprochen werden. Wie groß dürfen Gruppen in der Kita maximal sein? Wie viele Erzieherinnen und Erzieher werden noch gebraucht? Welche Qualifikationen brauchen diese Fachkräfte? Wie können wir gewährleisten, dass es genügend Erzieherinnen und Erzieher gibt? Das in einem halben Jahr zu schaffen, ist kaum noch möglich. Wir haben die Bundesregierung mehrfach dazu aufgefordert, einen Maßnahmenplan vorzulegen; geschehen ist nichts.
Drittens muss bei diesem Krippengipfel festgestellt werden und man muss sich darauf verständigen, wie man damit umgeht , dass es trotz aller noch vorzunehmender Anstrengungen Kommunen geben wird, die im Sommer nicht genügend Betreuungsplätze zur Verfügung stellen können. Das werden nicht nur die Großstädte sein, es wird auch Regionen im ländlichen Raum geben, die diese Plätze nicht vorhalten können. Der Städte- und Gemeindebund warnt nicht zu Unrecht schon jetzt vor einer Klagewelle, die auf die Kommunen zurollt.
Frau Ministerin, sich dann hinzustellen und zu behaupten, Sie hätten Ihren Teil getan und jetzt müssten die Kommunen die Schadenersatzklagen bewältigen, das kann nicht sein. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für die Umsetzung dieses Rechtsanspruches. Der Bundestag darf die Kommunen, die Städte und Gemeinden nicht mit diesen Schadenersatzklagen alleine lassen, nur weil sie das letzte Glied in der Kette und Opfer dieses Missmanagements sind.
(Beifall bei der LINKEN)
Man kann also zusammenfassen: Mit diesem Gesetzentwurf haben die Regierenden wohl die letzte Chance vertan, in Richtung einer guten Tagesbetreuung für alle Kinder umzusteuern. Krisenmanagement sieht anders aus. Sie geben keine Antworten auf die wirklich drängenden Fragen, sondern sie spielen Blindekuh, was den Bedarf betrifft, und Schwarzer Peter, was die Folgen dieses Spiels betrifft. Das muss ein Ende haben. Sie wollen in der nächsten Sitzungswoche den Gesetzentwurf verabschieden. In der vorliegenden Form können wir ihm keinesfalls zustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dagmar Ziegler (SPD))