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2. und 3. Beratung zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes

Rede von Jörn Wunderlich,

Bereits in der öffentlichen Anhörung wurde von allen Sachverständigen klargestellt, dass auch mit diesem Gesetzentwurf der Kinderzuschlag in der jetzt vorliegenden Form kein effektives Mittel gegen Kinderarmut ist.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir wollen materielle Kinderarmut reduzieren und hierzu den Kinderzuschlag mit Wirkung ab dem Jahr 2006 weiterentwickeln.

Dieser Satz ist zweieinhalb Jahre alt und entstammt Ihrer Koalitionsvereinbarung. Dass Sie Ihre selbst gesteckten Ziele derart verfehlen, kann Ihnen nicht entgangen sein; denn wir haben Sie oft genug daran erinnert. Ich gebe zu: Ich hatte die Hoffnung, dass diese nicht geringe Fristüberschreitung von Ihnen dazu genutzt wird, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Versprechen einhält, die Sie in Ihrem Koalitionsvertrag geben. Der vorliegende Entwurf enttäuscht aber in den meisten Punkten. Die Aufgaben, die der Koalitionsvertrag dem Kinderzuschlag zurechnet, sind in zentralen Punkten nicht erfüllt, höchstens ansatzweise. Sie haben die zeitliche Begrenzung abgeschafft. Aufgrund der Änderungen werden Sie einige Familien mehr als bisher erreichen, wird die Abschmelzrate auf 50 Prozent reduziert und die Mindesteinkommensgrenze - das wurde bereits angesprochen - gesenkt.

In der öffentlichen Anhörung wurde dem Gesetzentwurf aber das Zeugnis ausgestellt, das er verdient hat. Alle neun Sachverständigen haben in ihren Statements klargestellt, dass der Kinderzuschlag auch in der jetzt vorgelegten Form kein effektives Mittel gegen Kinderarmut ist. Viele der dort genannten Kritikpunkte teilen wir als Fraktion Die Linke. Ich will mich auf die für uns wichtigsten beschränken.

Zentral ist für uns die Höhe des Kinderzuschlags. Den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung ist seit langem bekannt, dass die Höhe von 140 Euro viel zu gering ist. Dennoch halten sie an dieser Höhe fest, wohl wissend, dass sie den realen Problemen der Familie nicht gerecht wird. Eine Gruppe trifft die Regelung - das wurde bereits angesprochen - besonders hart: die Alleinerziehenden. Sie waren schon nach dem alten Modell des Kinderzuschlags die Verlierer. Dass die Gruppe der Alleinerziehenden größer wird und gleichzeitig das höchste Armutsrisiko hat, kann man in den Untersuchungen von Prognos nachlesen.

Auch die letzten Änderungen in dieser Woche entpuppen sich schnell als Mogelpackung. Wer Alleinerziehende ernsthaft vor die Wahl zwischen Kinderzuschlag und Mehrbedarf stellt, hat die Notwendigkeit des Mehrbedarfs nicht begriffen.

(Beifall bei der LINKEN - Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Hat denn die Sachverständigenanhörung ergeben, dass die das Wahlrecht wollen?)

Frau Fischbach, manchmal sollte man den eigenen Kopf anstrengen. - Die festgestellten Mindesteinkommensgrenzen machen deutlich, dass Sie aus der Ablehnungsquote von 87 Prozent beim bisherigen Kinderzuschlag nichts gelernt haben. Wenn Sie die ALG-IIBedürftigkeit überwinden wollen, müssen Sie an diesen Stellschrauben arbeiten.

Der Kinderzuschlag wurde unter Rot-Grün eingeführt - ich zitiere -, „dass ein wesentlicher Teil der Familien nicht wegen ihrer Kinder auf Sozialhilfe oder zukünftig auf das Arbeitslosengeld II angewiesen sein soll“. Bekanntermaßen sind die - zuerst 150 000 - Kinder nicht erreicht worden. Wie gesagt, wurden 87 Prozent der Anträge abgelehnt. Aber Sie wollen das alles als Erfolg verkaufen. In der Sendung Hart, aber fair am 28. Mai 2008 spricht die CSU-Generalsekretärin ernsthaft von den - angeblichen - Verdiensten der Großen Koalition und sagt: Wir haben den Kinderzuschlag erhöht.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das haben wir auch!)

Diese Aussage ist nachweislich falsch, um nicht zu sagen: gelogen.

Der Kinderzuschlag wird doch auch nach der Reform bei 140 Euro liegen, Herr Singhammer. Den Kinderzuschlag von 140 Euro auf 140 Euro zu erhöhen, das ist Ihre Erhöhung. Das ist genauso, als wenn Sie sagen würden: Wir erhöhen die Renten, weil die Zahl der Rentner steigt.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sie erhöhen die Steuern!)

Die Regierung kann sich nicht damit herausreden, dass mehr Kinder in den Genuss des Zuschlages kommen werden. Wie gesagt: Nur weil die Zahl der Rentner steigt, wird doch die Rente nicht erhöht.

(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal, wie Sie Ihre ganzen Wunschvorstellungen finanzieren wollen!)

- Dazu komme ich noch.

Dass sich die Bundeskanzlerin, das Familienministerium und das Ministerium für Arbeit und Soziales ständig in den Angaben widersprechen „Erhöhen“, „Nicht erhöhen“, „Doch erhöhen“, „Von Erhöhung war nie die Rede“, habe ich schon gesagt und möchte ich hier nicht im Detail wiederholen.

Das formulierte Vorhaben, den Kreis der Berechtigten auszuweiten, um mehr Kinder zu erreichen, wurde mit der Zahl von etwa 500 000 zu erreichenden Kindern umschrieben und dann auf 250 000 herunterkorrigiert. Dass unsere Bundesfamilienministerin - leider ist sie nicht da -

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Der Staatssekretär ist da und spricht auch!)

das damit begründet, dass mehr Familien vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren und deshalb das Geld nicht brauchen, war für viele Familien wie eine Ohrfeige. Der wirtschaftliche Aufschwung, von dem unsere Ministerin redet, endet für etliche Familien in Armut, weil er mit Minijobs und unwürdiger Arbeit einhergeht. Die Folgen sind allen bekannt. 2,6 Millionen Kinder leben in dieser reichen Bundesrepublik in Armut. Wir leisten uns einen Kinderzuschlag mit enormem Verwaltungsaufwand, der völlig am Ziel vorbeigeht. Ich denke, bei Frau von der Leyen ist die Inkubationszeit für Realitätsverluste überschritten.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist eine merkwürdige Formulierung! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir wollen materielle Kinderarmut reduzieren - das war Ihre Zielsetzung im Koalitionsvertrag.

(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Vielleicht sollten Sie Ihren Kopf auch einmal benutzen!)

Dieses Ziel wird mit unserem Antrag eher erreicht; denn allen hier im Haus - das klang durch - ist klar, dass der Kinderzuschlag allein nicht die Lösung sein kann. Er ist ein Baustein, der aber viel zu klein ist.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Fischbach zulassen?

Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Nein, ich möchte zum Ende kommen. Ich bin gleich fertig, Frau Fischbach.

(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Feige ist er auch noch! - Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Dann muss er ja seinen Kopf anstrengen! - Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sagen Sie doch, wie viele Steuererhöhungen Sie wollen! Sagen Sie es doch einfach!)

Deshalb fordern wir: Der Kinderzuschlag wird deutlich erhöht, die Mindesteinkommensgrenze und die Höchsteinkommensgrenze entfallen, die Kinderzuschlagsberechtigung endet im Zuge der Einkommensanrechnung durch Abschmelzung.

(Zuruf des Abg. Johannes Singhammer [CDU/ CSU])

- Herr Singhammer, wenn Sie immer dazwischenquatschen und nicht zuhören, dann können Sie es nicht begreifen.

(Beifall der Abg. Elke Reinke [DIE LINKE] - Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Lassen Sie doch die Frage zu!)

Der Mehrbedarfszuschlag für Alleinerziehende wird im Anrechnungsverfahren nicht berücksichtigt, aber im Falle der Kinderzuschlagsberechtigung als Erhöhungsbetrag zum Kinderzuschlag gewährt. Darüber hinaus wird ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt. Man kann nämlich die Armut der Kinder nicht von der Armut der Eltern abkoppeln.

Hören Sie doch einmal auf die Sozialverbände. Stimmen Sie unserem Antrag zu und gehen Sie die Kinderarmut nicht nur halbherzig, sondern wirklich an. Dem Argument der Haushaltskonsolidierung kann ich nur entgegnen: Bauen Sie drei Kriegsschiffe weniger und investieren Sie das Geld in Familien. Dann sind sie besser bedient. Familien brauchen, bezogen auf die Zukunftsperspektiven, Frau Fischbach, keinen Kinderzuschlag, wenn die Eltern ordentlich verdienen und davon sich und ihre Kinder ernähren können. Das ist zukunftsweisend.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Fischbach, es mutet schon komisch an, wenn es immer heißt, die Anträge der Linken seien nicht bezahlbar und würden deshalb abgelehnt, aber wenige Monate später kommen praktisch wortgleiche Anträge von der Koalition und sind dann plötzlich bezahlbar.

(Christel Humme [SPD]: Ist das so?)

Das ist schon merkwürdig. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Fischbach das Wort.

Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da Herr Wunderlich so feige war, keine Zwischenfrage zuzulassen, nutze ich die Form der Kurzintervention.

Herr Wunderlich, ich habe meinen Kopf angestrengt, Sie Ihren sicherlich auch. Aber was ich bei aller Anstrengung nicht erfahren habe, war, wie Sie denn nun, auch wenn Sie dreimal angekündigt haben, dass das nun kommt - ich habe sehr genau zugehört -, all das, was Sie gerade vorgeschlagen haben, finanzieren wollen, nämlich die Ausweitung des Berechtigtenkreises und die Erhöhung des Betrages des Kinderzuschlages. Ich glaube, nicht nur wir Kolleginnen und Kollegen wären sehr daran interessiert, das zu hören, sondern sicherlich auch die Zuschauer auf den Tribünen. Vielleicht können Sie die eine Möglichkeit, die Sie im Kopf haben, wie Sie das alles bezahlen wollen, darlegen.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Und auch das, was Frau Christa Müller fordert!)

Im Übrigen würde ich mich freuen, wenn wir zukünftig in einem vernünftigen Ton miteinander und auch über Personen reden, die nicht anwesend sind. Ich fand das sehr daneben, wie Sie sich gerade geäußert haben.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Wunderlich hat das Wort zur Antwort.

Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Frau Kollegin Fischbach, Sie haben offensichtlich eben nicht zugehört, als ich mich dazu geäußert habe. Ich will nur ein Beispiel anführen:

(Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Keine Beispiele, sondern konkret!)

Wenn der politische Wille da ist, ist auch das Geld da.

(Lachen bei der CDU/CSU - Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die wunderliche Geldvermehrung!)

- Einen Moment. Durch Umschichtungen im Haushalt ist vieles möglich.

(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wo wollen Sie denn umschichten?)

- Frau Fischbach, wenn Sie nicht zuhören, dann ist das Ihr höchstpersönliches Problem. Ich habe gerade am Pult gesagt: Bauen Sie drei Kriegsschiffe in Form von Fregatten weniger und geben Sie das Geld den Familien. Damit ist vielen Familien geholfen.

(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist die Rechenart der SED! - Ingrid Fischbach [CDU/ CSU]: Zum Ton wollen Sie nichts sagen, Herr Wunderlich?)