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2. und 3. Beratung des Gesetzenwurfs zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Rede von Jörn Wunderlich,

Der Gesetzentwurf greift zu einem nicht unerheblichen Teil die Kritiken von Sachverständigen, insbesondere der Frauenhäuser und anderer unabhängiger Stellen auf, bleibt aber in wesentlichen Punkten hinter den Positionen der Linken zurück. Deshalb wird unser Abstimmungsvotum "Enthaltung" sein.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte höflich anfangen.

(Christine Lambrecht [SPD]: Nur so kennen wir Sie!)

Der Gesetzentwurf kann sich insgesamt sehen lassen. Einige für uns wichtige Punkte führen aber - das muss ich leider auch feststellen - zu unserer Enthaltung. Wir sind nicht der Ansicht, dass der Gesetzentwurf in Gänze unvertretbar ist - dann würden wir ihn ablehnen -, aber er ist schon seit Jahren in Arbeit. Mir lag schon in meiner Zeit als aktiver Familienrichter der Gesetzentwurf in einer früheren Fassung zur Stellungsnahme vor.

Der Gesetzentwurf greift - das ist schon angesprochen worden - zu einem nicht unerheblichen Teil die in den Anhörungen des Rechtsausschusses von Sachverständigen, aber insbesondere von Frauenhäusern und anderen unabhängigen Stellen vorgebrachte Kritik auf. Die Berichterstattergespräche waren fruchtbar. In diesen Gesprächen konnten auch einige Forderungen der Linken - teilweise in Übereinstimmung mit den Grünen und der FDP - durchgesetzt werden. Einige wesentliche Punkte, um meine Fraktion von dem Gesetzentwurf zu überzeugen, sind jedoch nicht vorhanden; sie hätten noch eingefügt oder geändert werden müssen. Andere Punkte hätten rückgängig gemacht werden müssen.

Zu den positiven Aspekten des Gesetzentwurfs muss ich sicherlich keine weiteren Ausführungen machen. Meine Vorredner haben das breite Spektrum hinreichend dargelegt. Lassen Sie mich deshalb zu den Punkten sprechen, die auch Inhalt unseres Entschließungsantrages sind und nicht ausgelassen werden dürfen.

Die mit dem Gesetzentwurf vorgesehene Festschreibung des Beschleunigungsgrundsatzes bei Umgangsund Sorgerechtsstreitigkeiten ist insbesondere in Gewaltfällen, aber auch bei hochstreitigen Fällen nicht nur unangebracht, sondern kontraindiziert; denn gerade in Trennungssituationen ist die Gewaltgefährdung erhöht. Zudem dient in allen Fällen von häuslicher oder innerfamiliärer sexueller Gewalt gegenüber dem anderen Elternteil der Umgang des Kindes mit dem Täter nicht dem Kindeswohl. Die gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf vorgesehene Einschränkung hinsichtlich des Hinwirkens auf Einvernehmen ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung - das ist bereits angesprochen worden -; die berechtigten Interessen eines von Gewalt betroffenen Elternteils werden dadurch jedoch nur unzureichend berücksichtigt.

Die im Gesetzgebungsverfahren eingefügte zulassungsfreie Rechtsbeschwerde in Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen ist als richtiger Schritt zu begrüßen. Das war auch eine unserer Forderungen. Allerdings sollte der Instanzenzug wie bisher geregelt bleiben; denn es wurden keine nachvollziehbaren Gründe für eine Änderung vorgetragen. Dazu hat Professor Bernhard Knittel Folgendes ausgeführt - ich zitiere -:

Bemerkenswert ist auch, dass die Neuregelung gegen den fast einhelligen Widerstand der Praxis durchgesetzt werden soll.

(Joachim Stünker [SPD]: Nur die OLG-Räte!)

Die Präsidenten der OLG und des BGH haben bei ihrer Jahrestagung 2003 in Naumburg einstimmig folgende Entschließung gefasst: „Der jetzige Rechtsmittelzug der freiwilligen Gerichtsbarkeit muss beibehalten werden. Die Verlagerung der Erstbeschwerde auf die Oberlandesgerichte ist unter den Gesichtspunkten der Bürger- und Ortsnähe sowie der sparsamen Mittelverwendung abzulehnen.“

Er hat in seiner Stellungnahme vorrangig auf die Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit abgestellt, insbesondere auf die Unterbringungs-, die Betreuungs- und die Freiheitsentziehungssachen. Wir haben eine vollumfängliche Aufrechterhaltung des Rechtsmittelsystems gefordert.

Ordnungsmittel haben wegen ihres Sanktionscharakters - das wurde bereits angesprochen - insbesondere im Bereich der Durchsetzung von Umgangsregelungen keine Berechtigung. Auch wenn hier geringfügige Verbesserungen im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf vorgenommen wurden, ist insbesondere die Anordnung von Ordnungshaft gegenüber einem Elternteil auch wegen der kindeswohlgefährdenden und konfliktverschärfenden Auswirkungen als völlig ungeeignet anzusehen. Deshalb hat unsere Bundesjustizministerin Zypries wohl in ihrem Beispiel, das sie hier genannt hat, die Ordnungshaft nicht erwähnt. Man kann nicht nur ein Ordnungsgeld gegen die Mutter, wenn sie den Umgang nicht gewährt, nachträglich festsetzen. Was passiert denn, wenn die Mutter, die möglicherweise ALG-II-Bezieherin ist, das Ordnungsgeld nicht zahlen kann? Dann wird Ordnungshaft angeordnet. Mutter-Kind-Knast haben wir bereits. Ob das dem Kindeswohl unbedingt dient, wage ich zu bezweifeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Situation der Gerichte, der Jugendämter sowie deren Beratungs- und Hilfsangebote nähert sich - das wurde bereits angesprochen - dem finanziellen und personellen Kollaps. Die in familiengerichtlichen Verfahren involvierten Professionen bedürfen dringend einer zielgerichteten und angemessenen finanziellen und personellen Ausstattung, um die Aufgaben, die gesetzlich vorgegeben werden, zu erfüllen. In den wirklich für eine Beschleunigung und Beratung geeigneten Fällen werden die mangelnden Kapazitäten insbesondere der Jugendämter - das wird Ihnen jeder Familienrichter bestätigen - zu einer wesentlichen Verzögerung der Verfahren führen. Der vorgesehene frühe erste Termin ist jedenfalls mit den vorhandenen Ressourcen nach den gesetzlichen Maßgaben innerhalb eines Monats schwer zu ermöglichen. Zudem ist ein dringendes Bedürfnis nach gesetzlichen Qualitätsanforderungen an die beteiligten Professionen zu konstatieren. Die Länder sind nun in der Pflicht; denn die gute Umsetzung des Gesetzes müssen letztlich sie garantieren. Dass die Familiengerichte personell aufgestockt werden sollen, ist ein frommer Wunsch, an dessen Erfüllung ich angesichts der massiven Einsparungen in diesem Bereich in den letzten Jahren nicht zu glauben vermag. Auf die Einsparungen komme ich gleich im Zusammenhang mit den Verfahrenspflegerkosten, den künftigen Beiständen zu sprechen. Wer glaubt denn daran, dass die Bundesländer Finanzmittel für eine personelle Aufstockung einsetzen? Den Vergleich mit dem Zitronenfalter erspare ich mir.

Das Cochemer Modell oder auch die Cochemer Praxis ist vor dem Hintergrund der Wahrung der berechtigten Interessen der Betroffenen kritisch zu hinterfragen. Die Bundesregierung hat die grundlegenden Verfahrensweisen des Modells nicht ausreichend unabhängig evaluiert. Das ist unbedingt nachzuholen und nicht grundsätzlich abzulehnen.

Die Rollen der Verfahrensbeteiligten sind zu undifferenziert auf Einigung und Vermittlung ausgelegt. Für mich und meine Fraktion ist schwer vorstellbar, wie ein Gutachter einerseits ein objektives Gutachten erstellen soll, andererseits „auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll“.

Die pauschalierte Deckelung der Gebühren für Verfahrensbeistände auf 350 Euro ist nicht vertretbar. Für diese Summe sollen die Beistände, die sogenannten Anwälte des Kindes, mehrere Gespräche mit den Eltern und den Kindern,

(Ute Granold [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)

möglicherweise mit Lehrern, Freunden und dem beteiligten Jugendamt führen, eine schriftliche Stellungnahme abgeben, das Kind zum Gericht begleiten, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen

(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht wahr!)

und unter Umständen auch noch gegen die Entscheidung des Gerichts intervenieren, Frau Granold.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Granold?

Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ja.

Ute Granold (CDU/CSU):
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass der Gesetzentwurf für den einfachen Wirkungskreis, das heißt, dem Kind in geeigneter Weise das Verfahren zu erklären, 350 Euro und für den erweiterten Wirkungskreis, das heißt, unter Umständen ein Gespräch mit den Eltern oder mit den Erziehern zu führen, 550 Euro vorsieht?

Jörn Wunderlich (DIE LINKE):
Bei dem Beispiel, das ich genannt habe, geht es um 550 Euro.

(Ute Granold [CDU/CSU]: Sie haben von 350 Euro gesprochen!)

- Wenn Sie mich hätten ausreden lassen, dann hätten Sie es noch gehört.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Schwach angefangen und stark nachgelassen!)

Warum es zu diesen 350 Euro bzw. 550 Euro gekommen ist, wissen wir doch. Es wurde gesagt: Schimpfen Sie mit uns! Meckern Sie mit uns! Das ist ein Zugeständnis an die Länder. - Andernfalls würde das Gesetz im Bundesrat nicht verabschiedet. Aus Finanzgründen werden bestimmte Verfahrenskosten festgelegt.

(Joachim Stünker [SPD]: Wenn Sie so etwas hier erzählen, mache ich mit Ihnen nie wieder ein Berichterstattergespräch!)

Letztendlich ist es ein Eingeständnis bezüglich der finanziellen Situation der Länder. Sie ist auch Grund dafür, dass im familiengerichtlichen Bereich keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Die Anfechtbarkeit von Entscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen ist unbefriedigend geregelt, soweit es den Umgang betrifft. In dem ursprünglichen Referentenentwurf war ein Rechtsmittel auch noch vorgesehen, mit der Begründung - ich zitiere -:
… besteht auch in diesem Fall ein besonderes Bedürfnis für eine Anfechtbarkeit der Entscheidung …

Es folgte der Hinweis, dass Gründe für eine vorläufige Umgangsregelung in der Hauptsache möglicherweise nicht ausreichend sind. Warum diese Rechtsmittel jetzt in Gänze entfallen, ist nur schwer nachzuvollziehen. Der Verweis auf die Hauptsache jedenfalls reicht nicht aus.

Sämtliche genannten Punkte können leider nur zu einer Enthaltung meiner Fraktion bei der Verabschiedung dieses Gesetzes führen. Es ist schade, dass die Interessen und die Rechte von Kindern nach so langer Zeit der Beratung wieder einmal aus finanziellen Gründen auf der Strecke bleiben.

(Widerspruch bei der SPD)

Es ist schade und bedauerlich, aber kennzeichnend. Danke.

(Beifall bei der LINKEN)