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2. u. 3. Beratung des von der Linksfraktion eingebrachten Entwurfs eines 2. Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes

Rede von Jörn Wunderlich,

Die Unterhaltsvorschussleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erhalten derzeit nur Kinder, die bei einem alleinerziehenden Elternteil leben und von ihrem anderen Elternteil keinen Unterhalt erhalten. Dadurch können die Fälle nicht erfasst werden, in denen das Kind (zum Beispiel nach dem Tod des sorgeberechtigten Elternteils) bei Verwandten (zum Beispiel den Großeltern) lebt und vom anderen Elternteil keinen Unterhalt erhält.

Mit dem Gesetzentwurf soll eine Erweiterung des Berechtigtenkreises des § 1 UVG auf Kinder, die bei Verwandten bis zum dritten Grad leben und vom anderen Elternteil keinen Unterhalt erhalten.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde das toll: Alle reden von Kinderarmut und darüber, wie sie bekämpft werden kann/sollte/ müsste und was man früher alles gemacht hat; aber wenn es um etwas Konkretes geht, dann kneifen alle. Anders kann ich mir nicht erklären, dass über den Gesetzentwurf der Linken, der auch auf der Tagesordnung steht, nämlich zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes, bislang so gut wie kein Wort verloren worden ist; bei der FDP war das nur ansatzweise der Fall.

(Widerspruch bei der FDP - Sibylle Laurischk [FDP]: Das war schon ziemlich zentral, Herr Wunderlich!)

Unterhaltsvorschuss bekommt ein Kind, wenn es bei einem Elternteil lebt und der andere Elternteil keinen Unterhalt zahlt. Ich will Ihnen einmal einen Fall aus dem Leben schildern, der die Linke zur Vorlage dieses Gesetzentwurfs bewegt hat:

Ein Kind lebt bei seiner Mutter; der Vater zahlt keinen Unterhalt; das Jugendamt leistet Unterhaltsvorschuss. Die Mutter hat einen Verkehrsunfall und stirbt; denkbar wäre auch: Sie wird psychisch krank, hat eine Depression und wird in eine Einrichtung eingewiesen. Zum Vater kann das Kind nicht. Das Kind soll ins Heim kommen, wird aber von der Großmutter aufgenommen: Es ist ja schließlich ihr Enkelkind. Und wozu ist Familie da? - Was macht das Jugendamt daraufhin? Es stellt die Zahlung des Unterhaltsvorschusses ein.

Ich weiß - wir haben es im Ausschuss erörtert -, so ein Fall ist für die CDU nicht vorstellbar.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist alles vorstellbar!)

Frau Möllring kennt aus Ihrer Erfahrung nicht einmal einen Fall, bei dem ein Kind nicht bei einem Elternteil lebt.

Dieses Kind lebt nicht mehr bei einem Elternteil, sondern bei einem Großelternteil. Deshalb gibt es per Gesetz, so wie es gegenwärtig ist, kein Geld mehr. Gerade das soll mit unserem Gesetzentwurf geändert werden.

(Beifall bei der LINKEN - Abg. Helga Lopez [SPD] und Abg. Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD] melden sich zu einer Zwischenfrage)

- Nein, Marlene, heute nicht.

Was kann die Großmutter sonst machen? Für die Doppelbelastung anderer Personen als des Elternteils stehen die allgemeinen Jugendhilfeleistungen zur Verfügung. Diese Argumentation - das ist auch die Argumentation des Ministeriums - trägt aber nur teilweise.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Wunderlich, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rupprecht?

Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Das besprechen wir im Ausschuss.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Wollen Sie die Zwischenfrage jetzt zulassen oder nicht?
Jörn Wunderlich (DIE LINKE):

Nein. - Pflegeltern beispielsweise erhalten nach § 39 SGB VIII sogenanntes Pflegegeld, sodass kein Bedarf hinsichtlich eines Unterhaltsvorschusses entstehen kann.

(Zuruf des Abg. Johannes Singhammer [CDU/ CSU])

- Zu Ihnen, Herr Singhammer, komme ich noch. - Zu diesem Personenkreis gehört die Großmutter aber in aller Regel nicht, weil sie ihr Enkelkind aus innerfamiliärer Hilfsbereitschaft - es ist ja schließlich ihr Enkelkind - aufnimmt.

(Zurufe von der SPD)

Ich weiß, solche innerfamiliäre Hilfsbereitschaft geht der SPD ab. Sie ist der Meinung, § 39 SGB VIII greife immer. Aber selbst wenn dieser Paragraf greift, kann das Pflegegeld aufgrund bestehender Unterhaltsverpflichtungen seitens der Großmutter nach § 1601 BGB - da steht: „Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren“ - angemessen gekürzt werden. In jedem Fall bleibt die Tatsache, dass das Kind seinen Anspruch auf Gewährung von Unterhaltsvorschuss verliert, wenn ein Großelternteil an die Stelle der Mutter tritt. Insoweit stellt sich schon die Frage, ob die alleinstehende Großmutter der belastenden Situation ausgesetzt werden soll, die das Unterhaltsvorschussgesetz eben vermeiden will.

(Rolf Stöckel [SPD]: Das passiert doch gar nicht! - Gegenruf des Abg. Frank Spieth [DIE LINKE])

Nun kann bei Bedürftigkeit Sozialhilfe in Anspruch genommen werden. Anspruchsinhaber auf den Unterhaltsvorschuss ist aber das Kind. Insoweit ist eine Bedürftigkeit der Großmutter nicht von Bedeutung.

(Zuruf von der SPD: Ist doch Blödsinn, was der erzählt! - Gegenruf von der LINKEN: Hört doch mal zu!)

Da sich weder der juristischen Literatur noch der Rechtsprechung Argumente entnehmen lassen, die einer Ausweitung des Berechtigtenkreises des § 1 Abs. 1 Unterhaltsvorschussgesetz entgegenstehen, sollte die Koalition ihre Meinung zu den Voraussetzungen, um zum Berechtigtenkreis nach § 1 Abs. 1 Unterhaltsvorschussgesetz zu gehören, in diesem begrenzten Sinne, wie es der Gesetzentwurf, vorsieht, einmal überdenken.

(Zuruf von der SPD: Das haben wir Ihnen im Ausschuss schon erklärt!)

Die Linke will den in solchen Fällen betroffenen Kindern helfen. Helfen Sie mit! Da spreche ich jetzt insbesondere die SPD an.

(Beifall bei der LINKEN - Caren Marks [SPD]: Sie sollten aufhören, den Leuten mit falschen Tatsachen Sand in die Augen zu streuen!)

Stimmen Sie dem Gesetz zu und lassen Sie diese Hilfe nicht wieder an der Kinderfeindlichkeit der Großen Koalition und Ihrer Hörigkeit in dieser Koalition scheitern! Hören Sie doch endlich einmal auf, der CDU/CSU immer hinterherzuhecheln!

(Caren Marks [SPD]: Hören Sie auf, Dinge zu erzählen, die unwahr sind! Unglaublich!)

Nun noch ganz kurz zum Antrag der FDP, die Altersgrenzen anzuheben. Das wird ja von der Linken schon seit eh und je gefordert. Insoweit ist das gut.

(Zurufe von der FDP)

- Tun Sie nicht so erstaunt. Wir haben das schon oft im Ausschuss gefordert. Es gab dazu sogar einen Antrag von uns, der abgelehnt worden ist. Frau Laurischk, wo waren Sie bei diesen Ausschusssitzungen?

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Immer da! - Weitere Zurufe von der FDP)

Die entsprechenden Anträge sind also bisher immer abgelehnt worden. Die FDP versucht jetzt das Gleiche noch einmal, aber gleichzeitig unter Kürzung der Bezugsdauer. Dazu kann ich nur sagen: Nicht mit uns!

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der FDP)

Wenn bei Ihnen schon im Feststellungsteil der Kinderzuschlag erwähnt und bemängelt wird, frage ich mich, warum im Forderungskatalog keine entsprechenden Forderungen auftauchen. Ich kann dazu nur wieder feststellen: Auch hier hat die FDP wieder einmal kein eigenes Konzept. Eigentlich schade; denn es geht ja um die Kinder.

Nun zu Ihren Ausführungen, Herr Singhammer, zum Erziehungsgehalt: Kommen Sie einmal in der Realität an!

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Nicht Erziehungsgehalt! Betreuungsgeld meinen Sie!)

Es gibt einen Bundesparteitagsbeschluss der Linken vom 25. Mai, der ein solches Erziehungsgehalt eindeutig ablehnt,

(Beifall bei der LINKEN)

auch wenn das Ihren Wünschen und Vorstellungen - es ist ja eine alte Zielvorstellung der CSU: Frauen an den Herd und sie dafür ordentlich bezahlen - nicht entspricht.

(Caren Marks [SPD]: Das ist das Konzept Ihrer Christa Müller!)

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Marlene Rupprecht.

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte dieses Problem eigentlich gerne durch eine Zwischenfrage gelöst. Herr Kollege Wunderlich, wir arbeiten sonst eigentlich sehr kollegial zusammen, wenn es um Kinder geht. Man sollte aber zumindest die Rechtslage kennen. Ich lese Ihnen einmal § 27 Abs. 2 a des SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe - vor:

Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person

- unterhaltspflichtige Personen gibt es nur in direkter Linie, also Eltern und Großeltern, mehr nicht -

bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen; die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Fall voraus, dass diese Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und 37 zu decken.

Weitere Paragrafen, die hier zutreffen, sind die §§ 33, 36 und 39. Unterhaltspflichtige, die für ein Kind aufkommen müssten, werden also vom Jugendamt gefordert, wobei das Jugendamt die Fremdunterbringung bezahlen muss. Wenn hier irgendjemand etwas anderes sagt, dann ist klar, dass er die entsprechenden Gesetze zur Jugendhilfe und das Unterhaltsvorschussgesetz nicht kennt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Unterhaltsvorschuss ist keine Ersatzleistung bei außerhäusiger Unterbringung. Für den Fall, dass ein Kind außerhäusig bei Großeltern untergebracht wird, haben wir mit der letzten Reform der Jugendhilfe im § 27 SGB VIII den Abs. 2 a eingeführt, um damit die Verwandtenpflege abzusichern, also um dafür zu sorgen, dass Großeltern, die dazu bereit sind, nicht bestraft werden. Dabei kann dann die Unterhaltspflicht der Großeltern anteilig mitberücksichtigt werden, aber mehr nicht. Das Kind bekommt einen nach dem Alter abgestuften Barbetrag darüber hinaus. Ich bitte, dies einmal zur Kenntnis zu nehmen.

(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Es ist schon wichtig, dass man Gesetze liest, bevor man im Bundestag entsprechende Anträge stellt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Wunderlich zur Erwiderung.

Jörn Wunderlich (DIE LINKE):

Frau Kollegin Rupprecht, der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss entfällt in dem Falle; es ist halt so. Die übrigen Leistungen werden ersetzt.

Am Ende ist von Ihnen in einem konzilianten Nebensatz erwähnt worden, dass die Unterhaltsverpflichtungen der Großeltern bestehen und dass sie angerechnet werden können. Sie werden auch angerechnet. So sind die Fälle in der Praxis, und gerade um diese Fälle geht es in unserem Gesetzentwurf.

Es soll ein minimaler Punkt angepasst werden, um diese kleine Regelungslücke zu schließen. Trotzdem sträuben Sie sich ohne Ende. Jedes Mal, wenn es eine konkrete Problemlösung gibt - es handelt sich um Fälle aus der Praxis -, dann zieht diese Koalition nicht mit. Große Worte, keine Taten, das kennzeichnet die Kinder und Familienpolitik dieser Regierung im Hinblick auf Kinderarmut.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der SPD - Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Leeres Gerede bei den Linken!)