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Verlogen, verschoben und betrogen

Positionspapier,

Die 100-Tage-Bilanz der Regierung Merkel/Westerwelle

Die 100-Tage-Bilanz der Regierung Merkel/Westerwelle

Schlechter geht es kaum. Ob Wirtschaftskrise und Arbeitsplätze, ob Bankenpleiten oder Spekulation, ob Spaltung in Arm und Reich, Bildung, Klimawandel oder Afghanistan - zu keinem der großen Themen bieten Union und FDP ein sinnvolles Konzept. Im Gegenteil: Es geht weiter auf der schiefen Bahn von Steuergeschenken und Sozialabbau. Die Begünstigten sind reiche Erben, Unternehmen, Banken und - dank kräftiger Spenden an FDP und CSU - die Hotelbranche. Im Gegenzug wächst der Druck auf Beschäftigte und Arbeitslose, Versicherte sollen Zuzahlungen leisten.

Auch die deutsche Außenpolitik bleibt auf ihrem falschen Kurs. Nach dem Rücktritt des unfähigen Ministers Jung und nach dem Eingeständnis, dass in Afghanistan "kriegsähnliche Zustände" herrschen, wäre ein schneller Abzug der Bundeswehr die richtige Konsequenz. Tatsächlich aber ist eine weitere Truppenaufstockung geplant. also noch mehr Krieg.

Unverschämte Steuergeschenke - harte Einschnitte

Verlogen sind Merkel und Westerwelle, weil sie mit niedrigeren Steuern locken und den Rest verhüllen. Bloß nicht jetzt die Maske fallen lassen, heißt die Devise. Denn im Mai 2010 kommt die Landtagswahl im größten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen. Bis dahin soll der schwarz-gelbe Kurs verborgen bleiben. Deshalb ist Aufklärung das Gebot der Stunde. Wer soll für die auf Pump finanzierten Steuergeschenke zahlen? Wer soll für die Bankenrettung bluten? Wer soll die Krisenkosten tragen? Union und FDP verweigern die Antwort - Entscheidung verschoben auf den Sommer, heißt es immer wieder. Trotzdem wird allmählich deutlich, dass die Regierungsparteien eine groß angelegte Attacke auf den Sozialstaat planen. Ursula von der Leyen, die sich gern zur Mutter der Nation aufschwingt, hat schon eines der widerwärtigen Stichworte genannt: Faulheit. Faule Arbeitslose hätten, so sagt sie, härtere Sanktionen verdient.

Verlogenheit prägt auch die Familienpolitik von Schwarz-Gelb. Angeblich geht es darum, allen Kindern eine faire Chance zu bieten. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Beispiel Kindergeld: Die schwarz-gelbe Formel lautet: 40 - 20 - Null. Die Reichen bekommen nun fast 40 Euro mehr für jedes Kind. So hoch ist der Steuervorteil, der aus dem neuen Kinderfreibetrag folgt. Für Normalverdiener bringt der veränderte Freibetrag nichts. Als Ausgleich erhalten sie 20 Euro mehr Kindergeld. Wer dagegen arbeitslos ist und Hartz IV bezieht, geht völlig leer aus. Keinen Cent mehr erhalten ausgerechnet die Mütter und Väter, die am Existenzminimum leben.

Wer hat, dem wird gegeben. Das gilt auch für den Rest des Pakets mit dem irreführenden Titel Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Unternehmer, Hotelbetreiber und Erben großer Vermögen zahlen künftig rund acht Milliarden Euro weniger Steuern. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch volkswirtschaftlicher Unsinn, und hat mit einem Anschub für Wachstum nichts zu tun. Seit 1990 ist der Spitzensteuersatz von 56 auf 42 Prozent permanent gesenkt worden. Der Effekt für das Wirtschaftswachstum war gleich null. Noch stärker sind die Unternehmenssteuern gefallen. Auch das hat nichts gebracht. Im Gegenteil: In Deutschland gab es seit dem Jahr 2000 die kräftigsten Steuersenkungen und gleichzeitig das schwächste Wirtschaftswachstum.

Selbst konservative Ökonomen bescheinigen Merkel und Westerwelle, dass sie den Kontakt zur Wirklichkeit verloren haben. Mehrheitlich ist auch die Bevölkerung gegen Steuersenkungen in dieser Zeit. Das verwundert nicht, weil die Folgen des jetzigen und des zusätzlich bereits geplanten Steuerwahnsinns abzusehen sind: schlechtere soziale Leistungen, weniger Geld für die Kommunen, geschlossene Schwimmbäder, höhere Wasser- oder Müllgebühren, weniger Kultur und mehr Armut.

Interessen kleiner, aber mächtiger Lobbygruppen spielen künftig eine noch größere Rolle. Das zeigen zwei Personalentscheidungen. Umweltminister Röttgen setzt mit Gerald Hennenhöfer einen ausgewiesenen Atom-Lobbyisten auf die Schlüsselposition des Abteilungsleiters Reaktorsicherheit. Gesundheitsminister Rösler feuert den obersten Arzneimittelprüfer Peter Sawicki, weil dessen kritische Analysen der Pharmaindustrie nicht genehm sind. Als Ausgleich besetzt Rösler wichtige Posten im Ministerium mit Vertretern der Privatwirtschaft.

Wegen der anstehenden NRW-Landtagswahl enthält der Koalitionsvertrag von Merkel und Westerwelle an vielen Stellen bewusst schwammige Formulierungen. Auch für Menschen mit Behinderungen tut die Bundesregierung viel zu wenig. Die UN-Konvention zu Gunsten behinderter Menschen hat sie immer noch nicht in Angriff genommen. Dennoch ist die Richtung erkennbar, in die es ab Sommer 2010 gehen soll. Vor allem in der Sozialpolitik ist mit gravierenden Einschnitten zu rechnen.

Kopfpauschale und Pflegerisiko

Auch nach 100 Tagen ist die Regierung in der Gesundheitspolitik weiter zerstritten. Der Gesundheitsminister fordert die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kopfpauschale. Die Sekretärin müsste dann genauso viel zahlen wie der Vorstandsboss. Ein Sozialausgleich soll zwar die schlimmsten finanziellen Belastungen abfedern. Aber Menschen mit geringem Einkommen werden dann zu Bittstellern. Die Kopfpauschale ist nichts anderes als Hartz IV im Gesundheitswesen. So wird die Gesundheit von Menschen zum Spielballdes Finanzministers. Entlastet werden allein die Besserverdienenden und die Unternehmer. Bereits jetzt erwartet uns eine Welle von Zusatzbeiträgen. Genauso düster sieht es in der Pflege aus. Auf lange Sicht soll jeder für sein eigenes Pflegerisiko vorsorgen. Die Koalition will dafür schon jetzt den Ausstieg aus dem Solidarsystem einleiten. Doch den Pflegenotstand beseitigen Union und FDP nicht. Die Pflegeversicherung bleibt weiter chronisch unterfinanziert. Pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen bekommen immer weniger Leistungen.

Vorfahrt für schlechte Jobs

In Deutschland sind aktuell 4,8 Millionen Menschen arbeitslos, wenn man diejenigen berücksichtigt, die durch Tricks aus der Statistik manipuliert worden sind. Grund genug also mit öffentlichen Investitionen tariflich bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen. Aber das Gegenteil geschieht. Die Regierung setzt auf befristete Beschäftigung und Minijobs. Mehr Hinzuverdienst bei Hartz IV sowie schärfere Sanktionen für Erwerbslose erfreuen vor allem die Unternehmen. Denn sie können die Löhne weiter drücken - auf Staatskosten! Auf skandalöse Entwicklungen der Leiharbeit (Beispiel Schlecker) reagiert die Bundesregierung nur mit Prüfaufträgen statt endlich aktiv zu werden und Lohndumping zu verhindern. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist das Gebot der Stunde.

Unterschreitung der Tariflöhne bis zu 30 Prozent

Deutschland braucht endlich einen auskömmlichen gesetzlichen Mindestlohn. Die neue Regierung will davon nichts wissen und plant das Gegenteil. Sie schwächt das Tariflohnsystem noch mehr als bisher schon. Künftig soll es ausdrücklich erlaubt sein, vereinbarte Tariflöhne um 30 Prozent zu unterschreiten. Die von Schröder eingeleitete, von Merkel und Steinmeier fortgesetzte Lohndumpingpolitik wird auf die Spitze getrieben.

Ostdeutschland vernachlässigt

Die Koalition hat als nebulöses Ziel eine weitgehende Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West formuliert. Das ist halbherzig und vertieft die innerdeutsche Spaltung. Neue Impulse für den Osten sind von Merkels rein westdeutschem Kabinett nicht zu erwarten. Zwar wurde versprochen, das Rentensystem zu vereinheitlichen. Keiner weiß jedoch, ob die Ostrentnerinnen und -rentner davon überhaupt etwas haben werden. Wirtschaftspolitisch hat die neue Regierung keine Konzepte für Ostdeutschland.

Noch mehr Armut und Altersarmut

Die Bundesregierung findet die Hartz-IV-Regelsätze angemessen und sachgerecht. Das Bundessozialgericht sieht das völlig anders. In Kürze wird das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung treffen. Künftig soll ein Pauschalbetrag für Unterkunfts- und Energiekosten gezahlt werden. Das bedeutet: Liegen die tatsächlichen Kosten über der Pauschale, bleibt den Menschen noch weniger zum Leben. Dagegen ist die Anhebung des sogenannten Schonvermögens auf 750 Euro pro Lebensjahr nur für eine winzig kleine Gruppe vorteilhaft. Denn die meisten Hartz-IV-Bezieher bleiben mit ihrer privaten Altersvorsorge oder ihrem Immobilienbesitz weit unterhalb dieses Schonvermögens. Die neue Bundesregierung hält auch an der Rente erst ab 67 Jahren fest. Mangels Arbeitsplätzen für Ältere ist die Rente erst ab 67 eine kräftige Rentenkürzung. Flexible Übergänge in den Ruhestand soll es nicht mehr geben. Bei den Renten gibt es bis 2016 nur Nullrunden und minimale Anpassungen. Dadurch sinken die realen Nettorenten. Die Regierung nennt das gerecht.

Keine Lösung für die Bildungsmisere

Die Kleinstaaterei im Bildungswesen wird fortgesetzt. Das Bildungssystem bleibt unterfinanziert. In der Studienfinanzierung leiten Union und FDP den Anfang vom Ende des BAföG ein. Staatlich gefördertes privates Bildungssparen tritt ebenso wie das Stipendienprogramm für Eliten in Konkurrenz zum BAföG. Und zum Mangel an Ausbildungsplätzen wird nichts gesagt - Leerstelle im Koalitionsvertrag.

Noch weniger Steuern für Reiche

Die sogenannte Steuerstrukturreform, über die sich Union und FDP im Verlaufe des Jahres verständigen wollen, entlastet erneut vor allem die Reichen. Sie profitieren am meisten, wenn der Steuertarif in der höchsten Stufe nur noch 35 Prozent beträgt - statt bisher 42. DIE LINKE fordert von Union und FDP, dass sie jetzt Farbe bekennen. Unsere Position bleibt glasklar und, wir lavieren nicht herum wie SPD und Grüne. Unser Land braucht einen grundlegenden Kurswechsel und einen Schub sozialer Gerechtigkeit.