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Impfen fördern, nicht erzwingen

Positionspapier,

Beschluss der Fraktion vom 3. März 2015

Beschluss der Fraktion vom 3. März 2015

 

Impfungen sind eine effektive Methode zur Bekämpfung vieler Infektionskrankheiten. Sie haben sowohl einen individuellen wie auch einen kollektiven Nutzen. Eine ausreichend hohe Impfquote verhindert zuverlässig Epidemien und kann zum Aussterben von Erregern und Verschwinden von einstmals gefürchteten Erkrankungen führen. Wir nehmen warnende Stimmen der Impfskeptikerinnen und -skeptiker zur Kenntnis, folgen aber letztlich dem überwältigenden wissenschaftlichen Konsens, demzufolge der Nutzen der allermeisten Impfungen deren Risiken übersteigt.

Masern sind eine schwerwiegende Viruserkrankung, die in den Jahrzehnten vor der Entwicklung eines Impfstoffes regelmäßig zu vielen Todesfällen und schweren geistigen und körperlichen Behinderungen geführt hat. Die Weltgesundheitsorganisation hat deshalb das Ziel beschlossen, sie bis zu diesem Jahr auszurotten - ein Ziel, das deutlich verfehlt wurde - weltweit ist die Zahl der gemeldeten Infektionen 2013 erstmals wieder gestiegen.

Jeder Mensch bzw. dessen gesetzliche Vertretung kann sich grundsätzlich frei für oder gegen medizinische Maßnahmen entscheiden. Diese Freiwilligkeit ist schon für sich ein hohes Gut, denn es geht um Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit und auch das Vertrauen in die Patientenorientierung der Medizin. Ein medizinischer Eingriff ohne Zustimmung erfüllt grundsätzlich den Tatbestand der Körperverletzung.

Dem gegenüber stehen der Schutz der öffentlichen Gesundheit, die Verhinderung von Epidemien und damit auch die körperliche Unversehrtheit derjenigen, die mit Krankheitserregern infiziert werden könnten, im Fall der Masern z.B. Kinder unter einem Jahr und Menschen, die gesundheitsbedingt nicht geimpft werden konnten oder die trotz Impfung nicht immun sind (sogenannte Impfversager).

Das Ziel besteht also nicht zwangsläufig darin, dass möglichst jeder einzelne Mensch geimpft wird, sondern darin, eine ausreichend hohe Impfquote zu erreichen, um die Übertragungswege für das Virus zu blockieren (sogenannter Herdenschutz).

Um dieses Ziel zu erreichen, sind grundsätzlich die mildest möglichen Mittel zu wählen. Ein zwangsweiser Eingriff in die körperliche Integrität ist ethisch und auch verfassungsrechtlich immer problematisch. Zudem ist die Durchimpfung der Bevölkerung nicht zwangsläufig notwendig, um die wichtigsten Ziele zu erreichen. Eine Impfpflicht sollte als Zwangsmaßnahme nur infrage kommen, wenn alle andere Maßnahmen nicht zum Erfolg geführt haben und eine entsprechende Bedrohung der öffentlichen Gesundheit besteht. Die momentanen Masernausbrüche sind alarmierend, wären aber nach unserer Einschätzung durch geeignete Maßnahmen weitgehend zu verhindern gewesen. Bei ohnehin stetig steigenden Masern-Impfquoten bei Kindern hilft die Pflicht nicht wirklich weiter. Die hohe Quote der Erstimpfung zeigt, dass sich die wenigsten Eltern bewusst gegen die Impfung entscheiden. Und entsprechend weist auch die epidemiologische Statistik im langjährigen Mittel einen deutlichen Rückgang der Infektionen mit dem Masernvirus auf, allerdings bei sehr großen regionalen Unterschieden.

Die freiwillige und informierte Entscheidung der einzelnen Menschen sollte die Leitschnur emanzipatorischer linker Gesundheitspolitik sein. Es geht darum, über eine gesellschaftliche Debatte einen breit getragenen Konsens zu erreichen. Die Akzeptanz der Impfung hängt entscheidend von der Beteiligung der Betroffenen an der Entscheidungsfindung ab. Die Impfpflicht nimmt dagegen den Einzelnen diese Entscheidung ab: Der Staat definiert, was richtig und was falsch ist und bedroht Ungehorsam mit Strafe. Dieser Erziehungsduktus ruft verständlicherweise Unbehagen, Misstrauen oder sogar Widerstand hervor. Wie bei anderen Maßnahmen der Prävention sollte auch hier gelten: befähigen statt erziehen. Erst bei schwerwiegenderen Gefährdungslagen sind weitergehende Maßnahmen gerechtfertigt, um die öffentliche Gesundheit zu schützen.

  • Eine wichtige Maßnahme ist daher ein flächendeckendes, aufsuchendes Informationsangebot für Eltern, etwa in der Kita, der Schule etc., das wertfrei, verständlich und ohne erhobenen Zeigefinger den Stand des Wissens vermittelt.
  • Ärztinnen und Ärzte, aber auch etwa Hebammen und Entbindungspfleger sollten berufsrechtlich auf eine Information zum Impfen verpflichtet werden. Dabei sind sie darauf zu verpflichten, den aktuellen Stand der Wissenschaft zur Grundlage ihrer Beratung zu machen, denn von einigen Angehörigen unterschiedlicher Berufsgruppen werden eher Glaubenssätze als Informationen verbreitet.
  • Für den Schutz der öffentlichen Gesundheit und den Infektionsschutz sind v.a. auch die Öffentlichen Gesundheitsdienste verantwortlich. Diese wurden aber vielerorts bereits massiv abgebaut - eine Entwicklung, die wir als LINKE ablehnen.
  • Die größten Impflücken bestehen nicht bei Kindern, sondern bei Erwachsenen unterschiedlicher Altersgruppen. Es sollte ein selbstverständlicher Teil (haus-) ärztlicher Tätigkeit sein, den Impfstatus ihrer Patientinnen und Patienten zu kennen und ggf. Beratungen anzubieten. Auch hier ist die Ärzteschaft in die Pflicht zu nehmen und falls notwendig sind wirksame Anreize zu setzen. Sollten Ärztinnen und Ärzte aber verpflichtet werden, eine Impfpflicht durchzusetzen und letztlich zur Gesundheitspolizei (mit Sanktionsandrohung) zu werden, droht schwerer Schaden für das Arzt-Patienten-Verhältnis.
  • Lokale Initiativen, etwa die Sperrung von Kitas für ungeimpfte Kinder sind grundsätzlich ok, denn sie fördern und erfordern die individuelle Auseinandersetzung von und zwischen Familien/Kitaleitungen/Kita-Trägern mit dem Thema. Eine grundsätzliche gesetzliche Impfpflicht für Kita-Kinder bewerten wir dagegen zurückhaltend, da sie de facto das Recht auf einen Kitaplatz bei Menschen aushebelt, die sich gegen eine Impfung ihrer Kinder entschieden haben und damit der entsprechenden Forderung der LINKEN zuwider läuft. In der Abwägung also auch eher Nein zur gesetzlichen, flächendeckenden Kita-Impfpflicht.
  • Auch Flüchtlinge und ihre Kinder müssen dringend Zugang zu einer umfassenden, auch präventiven medizinischen Versorgung erhalten. Durch die Unterbringung in Sammelunterkünften sind sie besonders gefährdet und durch das Leben auf engem Raum verbreiten sich Krankheiten besonders schnell. Mit wenig finanziellem Aufwand könnte hier ein großer Nutzen erzielt werden. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist dahingehend zu ändern.
  • Die Ständige Impfkommission (STIKO) beim Robert-Koch-Institut (RKI) soll Impfempfehlungen auf der Grundlage des aktuellen Stands des Wissens erarbeiten. Diese Empfehlungen sind Grundlage für die Erstattungspflicht der Krankenkassen und werden von Behörden/Regierung i.d.R. übernommen. Für die Akzeptanz der Entscheidungen sind daher Transparenz und Unabhängigkeit besonders wichtig. In der Vergangenheit gab es hier immer wieder Anlass zu Kritik, was zu großer Verunsicherung bis hin zur Ablehnung der Empfehlungen in Teilen der Bevölkerung beigetragen hat. Trotz einiger Verbesserungen ist noch viel zu tun, um der Problematik der Interessenkonflikte (v.a. Zuwendungen durch Impfstoffhersteller) mit der angemessenen Konsequenz zu begegnen. Dies gilt in noch stärkerem Maß für die WHO (Stichwort Ausrufung der Pandemie-Warnstufen bei der „Schweinegrippe“).
  • Die Forschung zu erwünschten (Effektivität des Impfschutzes) wie unerwünschten (Impfschäden) Wirkungen des Impfens muss intensiviert und die Ergebnisse müssen objektiv an die Öffentlichkeit kommuniziert werden. Menschen, die einen der seltenen schwerwiegenden Impfschäden erlitten haben, müssen die bestmögliche Behandlung erhalten. Die eher durch Glaubenssätze geprägte Auseinandersetzung folgt häufig der alten Front Technologiebefürwortung versus Technologieskeptizismus. Dem kann nur mit einer ergebnisoffenen, wertfreien, transparenten und korruptionsfreien Forschung zur Bestätigung oder Widerlegung der Annahmen begegnet werden, die beide Seiten ernst nimmt.