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Existenzsicherung bei Corona

Positionspapier,

Die Corona-Pandemie bedroht nicht nur die Gesundheit, sondern auch das Existenzminimum von Arbeitslosen und Menschen mit geringen Renten: Lebensmitteltafeln schließen, billige Lebensmittel sind knapper. Die Regelbedarfe sind aber laut Bundesverfassungsgericht schon im Normalfall auf Kante genäht. Deshalb ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet, besondere Risiken einer Unterdeckung des Existenzminimums zu verhindern. Eine solche Situation besteht gegenwärtig.

Arbeitskreis I

Arbeit, Soziales und Gesundheit
Beschluss vom 21. April 2020

verantwortlich Katja Kipping, AG Soziales

Auf einen Blick:

  • Das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) muss gerade während der Corona-Pandemie erhöht werden: monatlich um 200 Euro pro Person und einmalig um 500 Euro pro schulpflichtiges Kind für Laptops für den Heimunterricht. Außerdem müssen die Beträge für Schul- und Mittagessen, die jetzt wegfallen, direkt an die Familien gezahlt werden. Diese Erhöhungen müssen für alle Sozialleistungen gelten, die das Existenzminimum sichern, also auch für die Sozialhilfe, die Grundsicherung im Alter usw.
  • Auch der Zugang zum Existenzminimum muss gerade während der Corona-Pandemie erleichtert werden: Alle Personen, die sich gegenwärtig in Deutschland aufhalten, müssen Zugang erhalten, auch erwerbslose EU-BürgerInnen und Asylsuchende. Das Existenzminimum umfasst auch Krankenversicherungsleistungen. Vollen Zugang dazu müssen auch Nichtversicherte erhalten, ferner ist ein Erlass von Beitragsschulden bei Krankenversicherungen notwendig.
  • Letztlich müssen Bund und Länder dafür sorgen, dass Sammelunterkünfte für Wohnungslose und Geflüchtete während der Corona-Pandemie durch dezentrale, gesundheitlich ungefährlichere Wohneinheiten ersetzt werden. Dafür können z.B. leerstehende Hotelzimmer, Jugendherbergen und Ferienwohnungen genutzt werden.

Die Corona-Pandemie bedroht nicht nur die Gesundheit, sondern auch das Existenzminimum von Arbeitslosen und Menschen mit geringen Renten: Lebensmitteltafeln schließen, billige Lebensmittel sind knapper. Die Regelbedarfe sind aber laut Bundesverfassungsgericht schon im Normalfall auf Kante genäht (BVerfG vom 23.7.2014 – AZ BvL 10/12). Deshalb ist der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet, besondere Risiken einer Unterdeckung des Existenzminimums zu verhindern (ebd.). Eine solche Situation besteht gegenwärtig: Um das Existenzminimum abzudecken, muss das Arbeitslosengeld II (ALG II/Hartz IV) gerade während der Corona-Pandemie höher ausfallen, ebenso die Sozialhilfe, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und die Asylbewerberleistungen. Dies fordern u.a. der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Diakonie, Tacheles e.V. und der Deutsche Anwaltsverein.

Hinzu kommt die Situation von Schulkindern, die gegenwärtig zu Hause unterrichtet werden müssen. Um an den digitalen Lern-Angeboten von Schulen teilnehmen zu können, sind Computer notwendig. Im ALG-II-Regelbedarf sind die Ausgaben für Computer aber nicht ausreichend berücksichtigt, sondern gelten als „Spielwaren“. Einkommensarme Haushalte besitzen deshalb oft keinen Computer. Die Kinder können dann dem digitalen Unterricht nicht folgen, es entsteht ein Rückstand beim Lernen. Um das Recht auf Bildung für alle Kinder auch während der Schulschließungen gewährleisten zu können, ist ein Zuschuss für den Erwerb von technischer Ausrüstung – Laptop, Tablets o.ä. – notwendig. Auch diese Forderung wird von vielen Verbänden erhoben, u.a. vom Deutschen Anwaltsverein und Tacheles e.V.

Außerdem ist der Zugang zum ALG II und zu anderen Leistungen, die das Existenzminimum sichern, zu eng ausgestaltet. Nicht-deutsche Menschen haben teilweise gar keinen Anspruch auf ALG II oder andere Leistungen. Dies betrifft beispielsweise EU-BürgerInnen, wenn sie erwerbslos sind und vorher keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I erworben haben. Eine Rückreise ins Heimatland ist aber gegenwärtig nicht nur unzumutbar, sondern teilweise wegen geschlossener Grenzen unmöglich. Wegen des Risikos einer weiteren Virus-Verbreitung ist sie auch für das Gesundheitssystem riskant. Der Ausschluss von Sozialleistungen betrifft auch den Krankenversicherungsschutz und begrenzt medizinische Leistungen auf Notfallbehandlungen – auch dies ist nicht nur für Betroffene, sondern auch für die Allgemeinheit ein Risiko, da dann oft zu spät der Arzt aufgesucht wird. Zum Existenzminimum gehören auch Krankenversicherungsleistungen. Das Sozialgericht Düsseldorf hat jüngst festgestellt, dass es „in der derzeitigen Extremsituation aufgrund der Pandemiesituation völlig unverständlich“ ist, wie erwerbslosen EU-BürgerInnen ALG II verweigert werden kann (SG Düsseldorf vom 14.4.2020 – AZ: S 25 AS 1118/20 ER).

Zudem wird beim ALG II in der Bedarfsgemeinschaft das Einkommen sehr rigide angerechnet, so dass viele Paare, bei denen nun ein Einkommen wegfällt, keinen Anspruch haben, auch wenn das verbleibende Einkommen des Partners bzw. der Partnerin niedrig ist. Hier wie an anderen Stellen werden in der Corona-Pandemie viele gravierende Probleme von Hartz IV erneut deutlich, für die es schon lange Lösungsvorschläge gibt, etwa im Antrag der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag „Hartz IV- überwinden – für gute Arbeit und soziale Garantien“ (BT-Drs. 19/14788, PDF).

Letztlich sind auch die Sammelunterkünfte, in denen Wohnungslose und Geflüchtete oft untergebracht werden, wegen der beengten Wohnverhältnisse und gemeinsam genutzter Räume ein gesundheitliches Risiko – für die Betroffenen und für das Gesundheitssystem. Auch Wohnungslose und Geflüchtete müssen Abstand zu anderen halten, m Krankheitsfall einzelne isoliert werden können. Es darf nicht zu Ausgangssperren für sämtliche Bewohnerinnen und Bewohner kommen. Das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert deshalb „kreative Lösungen“, wie etwa die zeitweilige Unterbringung von Wohnungslosen und Geflüchteten in leerstehenden Hotels oder Jugendherbergen (DIMR, Corona-Krise: Menschenrechte müssen das politische Handeln leiten). 

Forderungen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag über die bestehenden Änderungen des Sozialschutzpakets hinaus für die Dauer der Corona-Pandemie:

  1. Die Leistungen, die das Existenzminimum absichern sollen, müssen erhöht werden:
    • Die ausgezahlten monatlichen Leistungen sind um 200 Euro pro Person zu erhöhen. Dies kann als Mehrbedarf oder als erhöhter Regelbedarf geschehen. Die Erhöhung muss fürs Arbeitslosengeld II gelten und für alle existenzsichernden Sozialleistungen – also auch für die Hilfe zum Lebensunterhalt, die Grundsicherung im Alter, bei Erwerbsminderung und für die Asylbewerberleistungen.
    • Für schulpflichtige Kinder muss es über das Bildungs- und Teilhabepaket einen einmaligen Zuschuss von 500 Euro für Computer und weitere IT-Ausstattung geben. So erreicht er alle Familien, die ALG II, Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung und bei Erwerbsminderung, Wohngeld, Kinderzuschlag und Asylbewerberleistungen beziehen.
  2. Außerdem muss der Zugang zu Sozialleistungen ausgeweitet werden: Alle Personen, die sich gegenwärtig in Deutschland aufhalten, müssen Zugang zu existenzsichernden Leistungen und damit auch zu vollen Leistungen auf dem Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten, also beispielsweise auch erwerbslose EU-AusländerInnen und andere Nichtversicherte. Gesetzlich oder privat Versicherte mit Beitragsschulden sind unter Erlass ihrer Schulden in die Krankenversicherung zu integrieren, Asylsuchende in den ersten 18 Monaten des Aufenthalts sollen wie gesetzlich Versicherte Anspruch auf sämtliche notwendige Leistungen erhalten.
  3. Es muss gesetzlich klargestellt werden, dass keine Sanktionen verhängt werden.
  4. Letztlich muss mehr Wohnraum für Menschen ohne eigene Wohnung geschaffen werden: 
    Der Bund soll in Zusammenarbeit mit den Ländern darauf hinwirken, dass für wohnungslose und geflüchtete Menschen zusätzlicher Wohnraum beschafft wird, damit Sammelunterkünfte mindestens während der Corona-Pandemie durch dezentrale, gesundheitlich ungefährlichere Wohneinheiten ersetzt werden können. Dafür können z.B. leerstehende Hotelzimmer, Jugendherbergen und Ferienwohnungen genutzt werden, um alle Personen sicher unterzubringen und allen die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln zu ermöglichen.