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Zynismus hilft keinem Flüchtling

Im Wortlaut von Ulla Jelpke,

Von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 



Der Tod Hunderter Flüchtlinge bei einem Bootsunglück vor Lampedusa wurde von vielen Politikerinnen und Politikern als "Schande Europas" bezeichnet. Das ist richtig. Doch aus dem Munde der politisch Verantwortlichen ist dies pure Heuchelei. Denn auch wenn die Ausmaße der Tragödie von Lampedusa außergewöhnlich sind: Das Massensterben an den Außengrenzen der EU ist längst furchtbare 'Normalität' und Teil einer vor allem auf Abwehr und Abschottung setzenden Politik. Niemand kann sagen, er oder sie hätte es nicht gewusst: An die Zehntausenden Toten als 'Preis der Abschottung' hat die Fraktion DIE LINKE in den letzten Jahren mehrfach im Bundestag erinnert (siehe Anträge 16/5109, 17/4679 und 17/8139) und zusammen mit Nichtregierungsorganisationen einen grundlegenden Wandel der EU-Flüchtlingspolitik gefordert. Vergeblich. Die konsequente Abschottung vor dem Elend der Welt war den Regierenden wichtiger als die Rettung von Menschenleben. Die Toten von Lampedusa haben auch sie deshalb mitzuverantworten.

Höhere Strafen für Schleuser erhöhen nur ihren Preis

Der Gipfel des Zynismus ist es, wenn Bundesinnenminister Friedrich oder auch EU-Innenkommissarin Malmström als Reaktion auf die Katastrophe vor allem schärfere Maßnahmen gegen organisierte Schleuser fordern. Denn eine solche Politik härterer Strafen im Zusammenhang der illegalen Einreise wird seit Jahren praktiziert und ist komplett gescheitert. Das Geschäft der Schlepper und Schleuser basiert geradezu auf der EU-Politik: Eine legale Einreise wird Asylsuchenden und unerwünschten Migrantinnen und Migranten verweigert, die illegale Einreise zunehmend erschwert. Die Menschen haben also gar keine andere Wahl, als Fluchthelfer in Anspruch zu nehmen. Höhere Strafen gegen Schleuser erhöhen vor allem den Preis, der für ihre Dienste zu zahlen ist, und die Gefährlichkeit der Routen, die sie wählen, um nicht entdeckt zu werden.

Wer Geschäftemachern der Flüchtlingsnot die Grundlage ihres Geschäfts entziehen will, muss  eine sichere Einreise Schutzsuchender ermöglichen und legale Einwanderungswege für Migrantinnen und Migranten schaffen. In diese Richtung geht auch der aktuell diskutierte Vorschlag eines humanitären Korridors für Flüchtlinge: Asyl soll in europäischen Botschaften im Ausland beantragt werden können. Wird ein Schutzbedarf festgestellt, soll eine legale und sichere Einreise in die EU möglich sein. Dies darf nun allerdings nicht dazu führen, Asylsuchende generell auf die Antragstellung bei europäischen Institutionen im Ausland zu verweisen. Besser wäre es daher, den Asylsuchenden ein Visum zur Einreise in die EU zu geben, damit sie hier ihr Asylverfahren betreiben können. Auch Familienangehörige bereits in der EU lebender Flüchtlinge sollten einen Anspruch auf sichere Einreise haben, ohne ihr Leben aufs Spiel setzen zu müssen.

Anreize für Abschottung auflösen

Geändert werden muss auch die so genannte Dublin-Verordnung. Danach sind diejenigen EU-Staaten für ein Asylverfahren oder die Aufnahme (und Abschiebung) von Flüchtlingen zuständig, die deren Einreise nicht verhindert haben – dies sind zumeist Länder mit EU-Außengrenzen wie Italien, Griechenland oder Spanien. Dies ist ein Anreizsystem für verschärfte Abschottungsmaßnahmen, abschreckende Aufnahmebedingungen und rechtswidrige Zurückweisungen. Wir fordern ein gerechtes und faires Verantwortungsteilungsprinzip, das sich nach den Wünschen der Flüchtlinge richtet und Ungleichgewichte bei der Aufnahme entsprechend der Größe und Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten auf finanzieller Ebene ausgleicht. So kann insgesamt eine grundsätzliche Offenheit und Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge in der EU erreicht werden.

Das geltende System führt dazu, dass  Zehntausende zu Flüchtlingen innerhalb der EU werden: Sie versuchen, zum Teil auf sehr gefährlichen Wegen, von einem EU-Land in ein anderes zu gelangen, weil sie die abstrakte Zuweisungsentscheidung des Dublin-Systems nicht akzeptieren oder weil es im Land der ersten Einreise  keine menschenwürdigen oder sicheren Lebensbedingungen oder kein faires Asylverfahren für sie gibt. Im Ergebnis führt dies zur Illegalisierung und Entrechtung von Menschen, sie "tauchen unter", obwohl sie womöglich einen Anspruch auf Schutz hätten. Dies ist das Gegenteil eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, dessen sich die EU in der Innenpolitik immer rühmt!

Fluchtursachen zu beseitigen heißt, für eine gerechte Weltwirtschafts- und Friedenspolitik einzutreten. Hierfür steht die EU gerade nicht – einem Nobelpreis zum Trotz.

linksfraktion.de, 8. Oktober 2013