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Zockerei bedroht Schwellenländer – und uns!

Im Wortlaut von Michael Schlecht,

Von Michael Schlecht, wirtschaftspoltischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 



In den vergangenen Wochen und Monaten sind die Währungen einiger Entwicklungs- und Schwellenländer stark unter Druck geraten. So verloren die türkische Lira, der argentinische Peso, der südafrikanische Rand oder der brasilianische Real deutlich an Wert. Das Kapital flieht aus diesen Ländern. Als Grund für die Kapitalflucht werden "hausgemachte Probleme" der Schwellenländer genannt. Doch ist gleichzeitig allen klar: Die "hausgemachten Probleme" sind bloß ein Anlass für die Kapitalflucht. Nicht ihr Grund.

Was ist los? Während in den vergangenen Jahren die etablierten Industrieländer unter Rezession und Finanzkrise litten, lief die Konjunktur in Asien und Lateinamerika flott.

Auf diesen Zug sprang das spekulative Kapital auf. Zum Beispiel über sogenannte Carry-Trades. Dabei nutzen die Spekulanten das niedrige Zinsniveau in den USA, Europa und Japan, nehmen dort billig Kredite auf und investierten das Geld in höherverzinsliche Anlagen der Schwellenländer, zum Beispiel in ihre Währungen. Die Zins-Differenz ist der Spekulations-Gewinn – ein sicheres Geschäft, solange die Schwellenlandwährung nicht fällt. Steigt sie, gibt es sogar einen Extra-Gewinn.

Je höher diese Währungen kletterten, umso mehr Investoren stiegen in das lukrative Geschäft ein und trieben die Währungen immer weiter nach oben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Spekulantenherde ihre Richtung wechseln würde.


US-Notenbank pumpte Milliarden in den Finanzmarkt

Die Wende kam im Mai 2012. Damals kündigte die US-Notenbank (Fed) an, ihre geldpolitische Lockerung zurückfahren zu wollen. Das ließ die Währungen einiger Schwellenländer abstürzen. Warum? Weil die Fed durch ihre Anleihekäufe Milliarden in den Finanzmarkt gepumpt hatte. Seit 2008 hat sie ihre Bilanz um 3000 Milliarden Dollar aufgebläht. Ein Teil dieses Geldes hatte seinen Weg an die Finanzmärkte der Schwellenländer gefunden und dort die Kurse in die Höhe getrieben.

Seit Januar macht die Fed ernst, kauft weniger US-Anleihen und dreht den Geldhahn langsam zu. Mit dem Ende der US-Geldflut – so die Furcht der Spekulanten – wird es auch in Asien und Lateinamerika wieder bergab gehen. Daher flüchtet das Kapital aus den Schwellenländern. Und so wird – typisch Finanzmärkte – aus der Furcht vor dem Absturz der reale Absturz.

Mit fatalen Folgen: Die sinkenden Währungen verteuern für die Länder die Importe, das lässt die Inflation steigen. Um die Inflation zu bekämpfen und den Wert ihrer Währungen zu stabilisieren, haben die Zentralbanken Indiens, Brasiliens, Südafrikas und der Türkei die Leitzinsen angehoben, zum Teil drastisch. Die türkische Zentralbank verdoppelte ihren Leitzins auf zehn Prozent. Voraussichtliche Folge: Kredite werden teurer, die Konjunktur lässt nach, was weitere Kapitalflucht nach sich zieht.

Realwirtschaftlicher Schaden ist milliardenschwer

Das Herdenverhalten der Spekulanten trifft vor allem Länder mit Leistungsbilanzdefiziten – also Staaten, die vom Kapitalimport abhängig sind. Daher heißt es heute, diese Länder seien selbst schuld an der Flucht der Anleger. Doch das ist Unsinn. Denn diese Defizite bestehen schon lange und hatten bislang keinen Anleger abgeschreckt.

Lange flohen die Finanzanleger aus den Süd-Euro-Ländern. Heute sind die Schwellenländer an der Reihe. Die Kapitalbewegungen sind sprunghaft – und riesig: Am Welt-Devisenmarkt werden etwa vier Billionen Dollar umgesetzt, jeden Tag, und ohne Regulation und ohne volkswirtschaftlichen Nutzen, im Gegenteil: Der realwirtschaftliche Schaden, den diese galoppierende Herde anrichtet, ist milliardenschwer.

Die Zeche für die Freiheit der Märkte zahlen die Schwellenländer. Diese produzieren heute mehr als die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung. Und die Gefahren für die deutsche wirtschaftliche Entwicklung sind unübersehbar. Durch den vermehrten Export nach Asien und Lateinamerika gelang es insbesondere den deutschen Unternehmen bislang, den Nachfragerückgang in der Euro-Zone auszugleichen. Sollte sich die Krise der Schwellenländer ausweiten, wäre der deutsche Export1 massiv betroffen und die Wachstumsprognosen der Bundesregierung wären Makulatur.

linksfraktion.de, 5. Februar 2014

 

1Siehe hierzu Michael Schlecht: "2014: Krise oder Aufschwung“, insbesondere Seite 6 bis 8