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Zentrale Positionen voreilig geräumt

Im Wortlaut,

Ausgerechnet hinter einem Wortungetüm wie »Bundesteilhabe« verbirgt sich womöglich eine schwache Stelle in den SPD-Bastionen

Mit zehn Kernforderungen geht die SPD in die Verhandlungen um eine Koalition mit der Union. Sind sie eine Kampfansage der Sozialdemokraten oder voreilige Kapitulation?

Von Marian Krüger

Es war ein riskantes Spiel der CDU-Vorsitzenden. Außer ein paar Bemühenszusagen zum Mindestlohn hatte Angela Merkel ihren Verhandlungspartner Sigmar Gabriel mit nichts in der Hand entlassen, um sich dem Parteikonvent am vergangenen Sonntag zu stellen. Der SPD-Vorsitzende hat die CDU-Vorsitzende dennoch nicht enttäuscht. Denn mit den beschlossenen zehn Kernforderungen für den Einstieg in die Koalitionsverhandlungen leitet die SPD zugleich den Teilrückzug vom eigenen Wahlprogramm ein. Dies tut sie mit der Erwartung, dass auch die Union Kompromissbereitschaft zeigt, auf einen Teil ihrer Ansprüche verzichten wird.

Bevor jedoch auch nur ein Kompromiss mit der Union fixiert wurde, hat die SPD so bereits zentrale Positionen geräumt, ohne dafür irgendetwas zu bekommen. Das betrifft nicht nur die gesamte Steuerpolitik, die zu den profilierten Bereichen des SPD- Wahlprogramms gehörte und die angekündigte Abschaffung des Betreuungsgeldes. Sondern es geht auch um das komplette gesundheitspolitische Programm.

Dass die SPD ihr Projekt der Bürgerversicherung gar nicht erst mit der CDU verhandelt, wird niemanden wirklich erstaunen. Denn dies wäre ein wirklicher Systemwechsel in der Krankenversicherung. Doch es sind weitere Positionen entsorgt worden, die vor allem den Geldbeutel der Arbeitnehmer betreffen: Rücknahme der Zusatzbeiträge, Wiederherstellung der Parität von Arbeiternehmern und Arbeitgebern bei der Beitragszahlung. Damit tragen die Arbeitnehmer weiter kommende Beitragserhöhungen alleine. Dazu passt, dass die SPD jetzt nur noch über eine Erhöhung des Beitrages zur Pflegeversicherung verhandeln will. Auch die Verlängerung des Arbeitslosengel- des I für ältere Arbeitslose will sie nicht mehr verhandeln. Nicht zu den zehn Kernforderungen zählt auch eine Verschiebung der Rente mit 67 bis »mindestens die Hälfte der 60- bis 64-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist«.

Die Union dürfte diese vorauseilende programmatische Abrüstung der SPD aufmerksam registrieren. Aufgrund der Indiskretionen aus der geschlossenen Sitzung des Konvents weiß sie nun auch, dass Gabriel gar nicht erst verhandeln will, wo er bei der Union keinen Bewegungswillen erkennen kann. So fährt die Union den Lohn ihrer Sprödigkeit ein, während aus den Reihen der SPD bereits ehrgeizige Ansprüche auf Regierungsposten nach außen dringen. Bei einer derartigen Kampfansage dürfte die Unionsseite die beschlossenen »unverzichtbaren« SPD-Kernforderungen mit Gelassenheit betrachten.

Sicherlich ist es zu früh, die SPD der Feigheit zu zeihen. In einigen Punkten steuert sie bewusst auf den Konflikt zu. Bei sozialen Themen wie dem Mindestlohn und der »Bekämpfung des Missbrauchs der Leiharbeit«. Auch bei der Ost-West-Rentenangleichung, der Verbesserung der Erwerbsminderungsrente hält sie an ambitionierten Positionen fest. Außerdem gibt es ein augenzwinkerndes Angebot an die Union, die Zustimmung zur Koalition nicht nur an der SPD-Basis, sondern auch bei den Landes- und Kommunalpolitik zu erkaufen. Es verbirgt sich hinter der auf den ersten Blick unverdächtigen Forderung nach einem Bundesteilhabegesetz. Hier geht es um Ausgaben von rund zwölf Milliarden Euro, die der Bund den Kommunen abnehmen könnte. Würde dies Teil der Koalitionsvereinbarung, wäre damit das Wohlverhalten nicht nur der SPD-Landesfürsten, sondern auch zahlreicher Kommunalpolitiker wohl erworben.

Allerdings bleibt bisher die Frage offen, warum die Union der SPD eigentlich entgegenkommen sollte. Die SPD ist zerstritten, subaltern, resigniert. Und damit ein idealer Partner für eine machtbewusste Formation wie die CDU/CSU, die weder die SPD-Basis, noch deren Fraktion mitnehmen muss. Eine unzufriedene SPD ist keine Drohung für sie, solange diese keine Machtoption außerhalb der Großen Koalition ins Auge fasst.

neues deutchland, 22. Oktober 2013